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       # taz.de -- Klimaaktivismus im Norden: „Ich hoffe nicht auf die Politik“
       
       > In Kiel protestieren Aktivist*innen schon länger gegen
       > Kreuzfahrtschiffe. Ihr Ziel ist es, den Kreuzfahrttourismus abzuschaffen.
       
   IMG Bild: Bis kein Schiff mehr kommt: Demo der Turbo-Klima-Kampf-Gruppe in Kiel
       
       taz: Julia, du gehörst zur Gruppe TKKG – das steht aber nicht für Tim,
       Karl, Klößchen und Gaby? 
       
       Julia: Nein, sondern für Turbo-Klima-Kampf-Gruppe. Uns gibt es seit etwa
       2015, damals wollten einige der heutigen Mitglieder zu einer Demo ins
       Rheinland fahren und haben dafür in Kiel mobilisiert. Daraus entstand die
       Idee, weiter zusammenzuarbeiten. Wir organisieren Aktionen und
       Veranstaltungen für Umweltschutz und gegen den Klimawandel. Erst ging es um
       überregionale Fragen, aber seit ein, zwei Jahren engagieren wir uns
       verstärkt für lokale Themen und eben gegen die Kreuzfahrt.
       
       Warum dieser Name, der aus einer Jugendserie aus den 80er-Jahren stammt? 
       
       Wir wollten etwas, das witzig klingt und sich abhebt. Aber inzwischen sind
       wir nicht mehr so glücklich damit, weil die TKKG-Serie viele sexistische
       und rassistische Bezüge hat. Wir diskutieren immer mal wieder, den Namen zu
       ändern, aber wir sind inzwischen darunter bekannt, also konnten wir uns
       bisher nicht entscheiden.
       
       Ihr setzt auf ganz unterschiedliche Protestformen: Ihr sprecht
       Passagier*innen an, einmal habt ihr ein Schiff blockiert. Zuletzt habt
       ihr zu einem „Rave gegen Kreuzfahrt“ eingeladen. Was davon ist erfolgreich? 
       
       Es braucht alle diese Formen, sie erfüllen unterschiedliche Zwecke. Es ist
       gut, ins Gespräch zu kommen mit denen, die auf den Schiffen Urlaub machen
       wollen. Die Blockade im Jahr 2019 hat bundesweit das Problembewusstsein
       verstärkt. Ich mache schon länger Politik und ich kann sagen, dass sich
       vorher praktisch keiner für Kreuzfahrt interessiert hat. Seither wird das
       Thema gerade in Kiel immer genannt, wenn es um den Klimawandel geht, und
       darauf reagiert die Kreuzfahrtbranche mit Greenwashing-Maßnahmen, etwa
       durch Zusagen, Landstrom zu nutzen. Der Rave war nach der Coronazeit super
       für die Motivation der Aktivist*innen.
       
       Du sagst, das Bewusstsein habe sich bereits geändert. Woran lässt sich das
       sehen? 
       
       Es ist ein bisschen schwierig, das genau festzumachen. Der
       Kreuzfahrttourismus ist ein globales Problem, die Debatte wird weltweit
       geführt. In Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren der Klimadiskurs
       deutlich verstärkt. Ich denke, uns ist gelungen, Klima mit Kreuzfahrt zu
       verknüpfen. Grade in Kiel kommt man nicht mehr daran vorbei. Wir merken,
       dass wir Druck aufbauen können, und wir sehen auch, dass wir mehr werden:
       Anfangs standen wir mit drei, vier Leuten am Hafen, beim Rave waren einige
       Hundert dabei.
       
       Kiel hat den Klimanotstand ausgerufen, dennoch nimmt die Zahl der Schiffe
       zu, und die Stadtpolitik scheint da keinen Widerspruch zu sehen. Seid ihr
       mit Parteien in Kontakt, was sagen die dazu? 
       
       Wir sind nicht in persönlichen Gesprächen mit Parteien, weil wir uns nicht
       viel davon erhoffen. Kiel setzt auf Gewinne und Tourismus, obwohl sich in
       anderen Städten gezeigt hat, dass diese Hoffnungen fragil sind. Viele
       Städte investieren, um für die Kreuzfahrtbranche attraktiv zu sein, auch
       Kiel hat die subventionierte Landstromanlage aufgebaut. Aber selbst wenn im
       Hafen Ökostrom genutzt wird, bleibt der Stromverbrauch hoch. Und wenn das
       Schiff auf See ist, verbrennt es wieder Schweröl. Ob am Ende wirklich etwas
       für die Stadt herauskommt, ist fraglich. Ich habe nichts gegen Tourismus,
       doch wem bringt es etwas, wenn Leute anlegen, um zwei Stunden durch Kiel zu
       laufen?
       
       Setzt ihr Hoffnungen in die Bundestagswahl? 
       
       Ich wüsste nicht, was die neue Regierung anders machen würde. Selbst wenn
       Grüne beteiligt sind, wird das eher dafür sorgen, dass ihre Politik
       inkonsequenter wird. Schon jetzt in der Opposition setzen sie eher auf
       grünen Kapitalismus nach dem Motto: Die Schiffe dürfen weiterfahren, wir
       malen sie nur grün an. Ich hoffe nicht auf die Politik.
       
       Wer ist dann Adressat*in eurer Aktionen, und was ist das Ziel? 
       
       Dass Kreuzfahrt abgeschafft wird oder sich selbst abschafft, weil Menschen
       diese Form von Tourismus nicht mehr nutzen. Das passiert über
       gesellschaftlichen Druck, wenn der Ruf der Kreuzfahrt so schlecht ist, weil
       jede*r weiß, dass das Modell nicht ohne Ausbeutung und Klimaschäden
       funktioniert.
       
       Gesellschaftlicher Wandel dauert. Habt ihr eine Zeitschiene im Kopf? 
       
       Lieber heute als morgen! Aber eine realistische Schiene zu nennen, ist
       schwer. Auch in anderen Städten gibt es Proteste, in Venedig ist immerhin
       ein Teilverbot erreicht worden. Natürlich ist es ein Anfang, wenn es in
       einem Hafen verboten wird, aber die Branche ist gut darin, neue Märkte zu
       finden und auszuweichen, wenn es irgendwo ungemütlicher für sie wird. Vor
       Corona waren sie gerade dabei, nach Asien zu exportieren.
       
       Wie erlebt ihr Polizei und Gerichte bei illegalen Aktionen wie der
       Blockade? 
       
       Eine Blockade ist nicht illegal! Ich darf auf der Förde herumschippern, und
       inzwischen ist das auch gerichtlich festgestellt: Alle Verfahren rund um
       die Blockade sind eingestellt worden. Aber Polizei und Staatsanwaltschaft
       versuchen auf andere Weise, uns das Leben schwer zu machen. So wurden alle
       Boote beschlagnahmt und teilweise versteigert, sodass die
       Besitzer*innen ihre Sachen zurückkaufen mussten. Wenn wir am Hafen
       Flyer verteilen, gibt es immer wieder Konflikte. Wir sehen daran, das stört
       den Hafen. Schon klar: Urlauber*innen sollen nicht mit einem negativen
       Gefühl an Bord gehen.
       
       Und was sagen die Passagier*innen selbst? 
       
       Teils sagen sie, sie wollen im Urlaub nichts mit Politik zu tun haben.
       Teils haben sie ein Umweltbewusstsein und sagen, dass sie zum Beispiel
       einen CO2-Ausgleich zahlen. Dass man sich auf diese Weise ein gutes
       Gewissen kaufen kann, ist problematisch. Ich will aber nicht mit dem Finger
       auf Passagier*innen zeigen, denn es geht um systemische Veränderungen.
       Um eine Utopie zu zeichnen: Wenn wir in einer Gesellschaft leben würden, in
       der Menschen weniger arbeiten und mehr Freizeit haben, müssten sie nicht
       die Entspannung für ein ganzes Jahr in zehn Tage Kreuzfahrt quetschen.
       
       26 Sep 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geißlinger
       
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