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       # taz.de -- Jurist über den neuen Bußgeldkatalog: „Wir müssen Platz neu verteilen“
       
       > Am Freitag will der Bundesrat die neue Straßenverkehrsordnung
       > verabschieden. Verkehrssünder werden künftig härter bestraft.
       
   IMG Bild: Mahnwache für eine von einem LKW getötete Radfahrerin in Berlin am 31. Mai 2021
       
       taz: Herr Huhn, was wird sich ändern mit dem neuen Bußgeldkatalog? 
       
       Roland Huhn: Vor allem zu schnell fahren wird teurer. Die Bußgelder wurden
       in Teilen sogar verdoppelt. Hinzu kommen einige Strafen, die Fahrradfahrer
       und Fußgänger schützen sollen. Wer zum Beispiel mit dem Lkw mit mehr als
       Schrittgeschwindigkeit nach rechts abbiegt, dem drohen ab jetzt 70 Euro und
       ein Punkt – das ist besonders abschreckend für Berufsfahrer. Geboten ist
       Schrittgeschwindigkeit schon länger, aber erst jetzt wird das Vergehen auch
       mit einem Bußgeld versehen.
       
       Ein Streitpunkt waren Fahrverbote ab 21 km/h Überschreitung. Eigentlich
       hätte das ein einmonatiges Fahrverbot bedeutet, jetzt sind Strafen ab 100
       Euro und ein Punkt vorgesehen. Sind Fahrverbote ab dieser Geschwindigkeit
       übertrieben? 
       
       Nein. Die 21 km/h gelten nach Abzug von eventuellen Messfehlern. Real fährt
       man also mit 74 km/h dort, wo Tempo 50 erlaubt ist. Das sind
       Geschwindigkeiten, die für ungeschützte Menschen potenziell
       lebensgefährlich sind.
       
       Sind Sie zufrieden mit dem neuen Bußgeldkatalog? 
       
       Mit dem Kompromiss kann man leben. Er ist aber nur ein Schritt, denn das
       eigentliche Problem ist eine schlechte Infrastruktur, aus der [1][Gefahren
       für Radfahrende] resultieren. [2][Wir müssen Platz neu verteilen] und eine
       leistungsfähige und sichere Infrastruktur für den Verkehr anlegen, die auch
       das Rad berücksichtigt.
       
       Welche Forderungen stellen Sie an die künftige Bundesregierung? 
       
       Es müssen neue Zielsetzungen vorgenommen werden. Ganz oben: Keine
       Verkehrstoten und Schwerstverletzten mehr. Außerdem müssen alle
       Verkehrsarten gleichgestellt sein, das Auto darf nicht mehr die Priorität
       sein. Auch Klima-, Umwelt- und Gesundheitsziele sollten mit aufgenommen
       werden. Bisher erlauben das Straßenverkehrsgesetz und StVO nur Maßnahmen,
       um die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten, also ein
       möglichst zügiges Vorankommen zu ermöglichen.
       
       Außerdem müssen einige Lücken im Bußgeldkatalog geschlossen werden. Wenn
       ein Auto Radfahrende mit weniger als 1,50 Meter überholt und dabei
       gefährdet, wird dies mit einem Verwarngeld von 30 Euro geahndet. Das ist
       spottbillig. Nur zum Vergleich: Wenn ein Auto an einem anderen vorbeifährt
       und aufgrund von nicht eingehaltener Abstandsregeln einen Seitenspiegel
       beschädigt, kostet das 5 Euro mehr. Der wirklich gefährliche Verstoß ist
       also günstiger.
       
       Das klingt nach einer grundsätzlichen Reform des Verkehrsrechts. 
       
       Genau. Straßenverkehrsgesetz und StVO müssen elementar geändert werden.
       Bisher darf man in den fließenden Verkehr zum Beispiel nur eingreifen, wenn
       eine Gefahr besteht. Radverkehrsanlagen können also nur gebaut werden, wenn
       Kommunen begründen können, dass an der Stelle schon Unfälle passiert sind.
       Um Lücken im Radverkehrsnetz zu schließen oder den Radverkehr zu fördern,
       dürfen sie nicht errichtet werden.
       
       Warum wurde das bisher nicht geändert? 
       
       Der politische Druck hat gefehlt. Jetzt wird klar, dass wir Lösungen
       brauchen, die mehr Verkehr vom Auto auf das Fahrrad verlagern. Kommunen
       haben ein vitales Interesse daran, mehr Radverkehr zu ermöglichen. Dafür
       brauchen sie die gesetzliche Grundlage.
       
       8 Oct 2021
       
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   DIR Lukas Nickel
       
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