URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Bollerige Knollen
       
       > Der Deutschen müffelnde Lieblinge kommen im Herbst aus dem Süden. Teurer
       > als Gold, runzlig und gourmetgeadelt: Es ist wieder Trüffelsaison.
       
   IMG Bild: Markentrüffel bestehen den Geruchstest beim Schnüffel-TÜV
       
       Die Jagdsaison auf den Spitzenpilz ist eröffnet: Hochgeschätzt,
       gourmetgeadelt und sündhaft teuer – dabei sind Trüffel eigentlich nur
       Knollen, bollerig daherkommende Erdknollen, so runzlig, wie man es seit dem
       Siegeszug der plastischen Chirurgie nur noch selten zu Gesicht bekommt.
       
       Sie sind teurer als Gold und dennoch die Lieblingsknöllchen vieler
       Deutscher. Trüffel wissen nicht einmal genau, ob ihr Plural nicht doch
       Trüffeln lautet. Die meisten von ihnen machen sich rar, was sie nahezu
       unerschwinglich macht.
       
       Die italienischen Tartufi sind besonders teuer, weil … äh, weil sie halt
       aus Italien kommen. Kaum dass die Dunstglocke der Kirche im piemontesischen
       Alba im Frühherbst läutet, wirft San Pietro hoch droben die gute, alte
       Nebelmaschine an. Manchmal ist die Suppe so dick, dass man sie in Terrinen
       davontragen kann, selbstverständlich eine piemontesische Spezialität.
       
       Aber nicht bloß wegen des Nebels benötigt man Tiere wie die Büffel in der
       spanischen Extremadura, um Trüffel aufzuspüren. In den französischen
       Regionen, wo man die Knollen „truffaut“ nennt, lässt man eher die Sau raus,
       und im Piemont werden preisgekrönte Spürhündinnen eingesetzt, da die
       Trüffel einen männlichen Hormonduft verströmen: Sie müffeln.
       
       ## 100 Jäger
       
       Kurze Zwischenfrage: Wieso will man etwas essen, was schon von einer
       Lagotto-Romagnolo-Hündin vollgesabbert worden ist? Erschwerend kommt hinzu,
       dass Trüffel im Untergrund leben. Die Trüffeljagd in Italien ist ein gutes,
       wenn auch gefährliches Geschäft: Jährlich geht dort eine halbe
       Hundertschaft Jäger verloren. Das sind recht wenig Opfer, angesichts der
       Nebelqualität in der Po-Ebene, wo man oft die Hand nicht vor Augen sieht.
       Sowieso ist das Letzte, was man in so einem Fall sehen möchte, die eigene
       Hand.
       
       Trüffeljäger (trifulau) müssen eine Spezialausbildung durchlaufen, für die
       sie ordentlich büffeln müssen. Es ist eine aufwühlende Tätigkeit, die
       Charakter erfordert. Angst dürfen sie keine haben, weder vor tückischen
       Wurzeln, Wildschweinen noch vor Wildpilzen als Querschlägern. Trifulau sind
       meistens nachts unterwegs, die Trüffel scheuen das Tageslicht, und wie sie
       tatsächlich erlegt werden, bleibt das Geheimnis eines jeden einzelnen
       Waidmanns.
       
       Die Jäger werden mit Drohnen überwacht, und ständig sind Schnüffler
       unterwegs, um den Jagdschein zu überprüfen. Gottlob bewegen sich Trüffeln
       nicht so schnell, und man wird ihrer leicht habhaft, wenn man sie erst
       einmal ausfindig gemacht hat. Einige davon wandern gleich in den
       Pilz-Export. Leider aber stammen die meisten Handelsexemplare aus
       Zuchtanlagen, die den Wald kopieren. Die Wurzeln von Baumschösslingen
       werden mit Trüffelsporen geimpft, bevor sie in Plantagen angepflanzt
       werden.
       
       ## Besser als sie
       
       Die Köche des Piemont gehören, sobald sie sich ihre Sporen verdient haben,
       zu den gehaltvollsten des Landes, und niemand beherrscht das Hobelritual –
       die „grattata“ – besser als sie. Auf jedes Gericht raspeln sie in der
       Hochsaison für etwa 30 Euro Trüffel drauf. Halbwegs erschwinglich sind
       eigentlich nur die Fakes aus China. Wie man echte von unechten
       unterscheidet, findet der Trüffel-TÜV heraus. Buddha starb übrigens
       angeblich an einer Lebensmittelvergiftung. Sein letztes Menü: Trüffel.
       
       Die Trüffelmetropole Alba hat selbstverständlich noch mehr zu bieten,
       eigentlich handelt es sich hier um eine alte Schokoladenresidenz, die
       nordöstliche Stadtmauer besteht noch heute zu 82 Prozent aus bitterem
       Kakao, und der prominentesten Bürgerin, Nutella Muti, hat man auf der
       Piazza San Guinico ein Denkmal errichtet. Wahrscheinlich deshalb gibt es
       Trüffel auch als Praline.
       
       In Deutschland hingegen befinden sich sämtliche Arten der Gattung Tuber, zu
       denen die Trüffel zählen, auf der Roten Liste – es besteht also
       Sammelverbot, außer bei der gemeinen Tuberkulose.
       
       5 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas C. Breuer
       
       ## TAGS
       
   DIR Gourmetküche
   DIR italienische Küche
   DIR Gemüse
   DIR Backen
   DIR Königshaus
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
   DIR Bundestrainer
   DIR Kolumne Die Wahrheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Die Nacht der Radieschen
       
       Bei der mexikanischen „Noche de Rábanos“ wird hemmungslos der Todesmystik
       des Garten-Rettichs gehuldigt.
       
   DIR Die Wahrheit: Nie wieder Stress im Christstollen
       
       „Woke am Ofen“: Es ist höchste Zeit, beim Backen aufzuwachen – was wir
       jetzt brauchen, sind beherzte Weckmänner*Innen.
       
   DIR Die Wahrheit: Dänen lügen nicht
       
       Mutti putzt das Kanzlerinnenamt – schon wieder ist Staatsbesuch angesagt.
       Doch was wollen diese Leute aus dem Norden eigentlich hier?
       
   DIR Die Wahrheit: Die Heimat der Schnapsideen
       
       Da fließt der Wodka in Strömen: Am Dienstag feiert das oft gebeutelte Land
       Armenien seinen Unabhängigkeitstag. Ein feuchter Glückwunsch.
       
   DIR Die Wahrheit: Und der Oscar geht an…
       
       Debütantenball für Hansi Flick – der neue Bundestrainer steht morgen in der
       Partie gegen Liechtenstein erstmals am Spielfeldrand.
       
   DIR Die Wahrheit: Im Mauerblümchenpark
       
       Geteiltes Leid ist geteilte Freude. Ein paar kleine Anmerkungen zu einem
       vor sechzig Jahren errichteten einzigartigen Bauwerk.