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       # taz.de -- Die Wahrheit: Immer den Popo mitnehmen
       
       > Wegen der Ansteckungsgefahr sind viele Aktivitäten ins Freie verlegt
       > worden. In vormals stillen Parks sind deswegen seltsame Kommandos zu
       > hören.
       
       Der Park vor meiner Haustür ist zum Exerzierplatz geworden. Ein Outdoor Gym
       veranstaltet seine Bootcamps neuerdings direkt vor meiner
       Lieblingslesebank. Meine Lieblingslesebank ist die mit der Abendsonne. Ein
       Bootcamp ist dagegen ein Umerziehungslager. So steht es bei Wikipedia, und
       so klingt es auch. Ich würde es vorsichtig als Sportkurs in unhöflich
       beschreiben.
       
       „Auf jetzt! Und hopp!“, ruft die Vorturnerin ihren Delinquenten zu, die in
       Kreisformation aufmarschiert sind, dann bläst sie in ihre Trillerpfeife und
       alle müssen hüpfen. In der Pandemie haben die Leute eine hartnäckige
       Indoor-Allergie entwickelt. Auch intimste Verrichtungen müssen jetzt unter
       freiem Himmel und damit unter den Augen der Öffentlichkeit vollzogen
       werden. Ich fürchte, dass bald der erste Outdoor-Proktologe seine Praxis in
       meinem Park eröffnet, weil sich niemand mehr in geschlossenen Räumen
       untersuchen lassen will.
       
       Ich könnte mich natürlich woanders hinsetzen, aber ich war zuerst in diesem
       Park. Ich bin hier schon durch die Prärie geritten, als friedliche
       Kifferstämme das Kriegerdenkmal bewohnten und das stolze Volk der Säufer
       den Kinderspielplatz besiedelte, der aus einer einzigen Schaukel mit
       abgerissener Kette bestand, deren Anblick wirklich jeden zum Trinken
       verleitete. Heute liegen die Yogamatten bis zum Horizont ausgerollt und die
       Bleichgesichter haben Unterschriften gesammelt, worauf der große weiße
       Vater im Rathaus Spielplatz und Grünflächen saniert hat. Jetzt schieben
       Kinderwagen in langen Kolonnen über frisch geschotterte Wege zu pädagogisch
       wertvollem Spielgerät.
       
       Dies alles habe ich hingenommen, denn das Kind muss zu seinem Spielrecht
       kommen, bevor es unleidlich wird. Auch der Mittelschichtspapa und die
       Mittelschichtsmama brauchen Auslauf. Ich will ja nur in Ruhe auf meiner
       Lieblingsbank lesen bis die Sonne untergeht und keinen Klassenkampf auf
       öffentlichen Grünflächen anzetteln. Doch es kann der Frommste nicht in
       Frieden lesen, wenn das Leid dieser Welt lautstark vor ihm herumturnt.
       
       „Und den Popo immer mitnehmen“, ranzt die Vorturnerin ihre hinterrücks
       offenbar saumselig Turnenden an. Die Information elektrisiert das ganze
       Viertel. Spaziergänger schütteln entsetzt die Köpfe, Vögel kreischen, ein
       Kind weint in seine Eiswaffel. Im Wiesenrund ist der Popo nicht mitgenommen
       worden. Was nun?
       
       Bislang glaubte ich, das Gesäß sei als Grundausstattung mit Flügelschrauben
       am serienmäßig mitgelieferten Steiß montiert, aber offenbar irrte ich. Der
       Arsch sitzt so locker, dass er eigens mitgenommen werden muss, sonst reißt
       er aus und drückt sich auf beiden Backen in der Gegend herum. Weil ich mir
       keine Blöße geben will, bleibe ich auf meinem sitzen, bis es dunkel wird
       und der Sport eingestellt wird. „Und den Popo immer mitnehmen“, sage ich zu
       mir selbst, als ich endlich aufstehe. Auf Latein bestimmt ein schöner
       Wappenspruch.
       
       5 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Bartel
       
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