URI: 
       # taz.de -- Mikroplastik in der Brillenfertigung: Das Problem vor Augen
       
       > Beim Bearbeiten von Linsen aus Kunststoff entstehen Schleifrückstände.
       > Das Problem: Übers Schmutzwasser gelangt davon auch ein Teil in die
       > Natur.
       
   IMG Bild: Den Blick schärfen: Schleifrückstände gefährden die Umwelt
       
       Brillengläser aus Kunststoff bieten viele Vorteile: Sie sind unempfindlich
       gegen Bruch, leichter als Glas, gut zu verarbeiten und ohne Fassung
       verwendbar. Doch beim Schleifen entstehen Rückstände, die als Mikroplastik
       ins Abwasser gelangen können. Über das Ausmaß herrscht allerdings mangels
       Studien Unklarheit.
       
       Im Jahr 2019 wurden 40 Millionen Brillengläser verkauft – und der
       Marktanteil von Kunststoff liegt [1][laut Zentralverband der Augenoptiker
       und Optometristen] (ZVA) mittlerweile bei 96 Prozent. Mineralische Gläser
       fristen also nur noch ein Nischendasein.
       
       Unterschieden werden muss zwischen Brillenlinsenherstellern und
       niedergelassenen Optiker*innen. Denn während Erstere in der Regel gute
       Filtersysteme verwenden, ist dies bei niedergelassenen Optiker*innen,
       die die Rohlinge des Herstellers an das Brillengestell anpassen, nicht
       immer der Fall. Offizielle Zahlen dazu, wie viel Mikroplastik beim
       Einschleifen vor Ort entsteht und wie viel davon im Wasser landet, gibt es
       allerdings nicht.
       
       Die Firma Wardakant, die Filteranlagen herstellt und vertreibt, errechnete,
       dass bei diesem Prozess jährlich 200 Tonnen Mikroplastik entstehen.
       Geschäftsführer Niklas Warda führte dafür nach eigenen Angaben einen
       Versuch mit einem Rohglas aus Kunststoff mit 70 Millimetern Durchmesser und
       -0,50 Dioptrien durch – also mit einem Brillenglas für eine geringe
       Sehschwäche. Dieses sei dann auf eine eher große Brillenform geschliffen
       worden.
       
       ## Rund die Hälfte ist Schleifabfall
       
       Ergebnis des Versuchs: Das Rohglas habe knapp über 10 Gramm gewogen, das
       geschliffene Glas nur noch rund die Hälfte. „Somit waren etwa 5 Gramm
       Schleifabfall“, so Warda. Diese 5 Gramm multiplizierte er mit den jährlich
       40 Millionen verkauften und somit bearbeiteten Gläsern. In der Summe fielen
       aber eher mehr Schleifrückstände ab, denn die Regel seien Stärken von 2 bis
       3 Dioptrien. Je nach Art des Glases, der Dicke und der Fassung unterscheide
       sich die Abfallmenge daher erheblich.
       
       Für Jürgen Bertling vom [2][Fraunhofer-Institut Umsicht], das unter anderem
       zu Mikroplastik forscht, klingen die Zahlen zunächst „realistisch“, sie
       stellten „zumindest eine Annäherung an das Problem dar“. Im Vergleich etwa
       zum Reifenabrieb mit weit mehr als 100.000 Tonnen pro Jahr in Deutschland
       sei das zwar wenig, aber dennoch eine „relevante Menge“.
       
       „Es ist einfach gut zu wissen, wo Mikroplastik überall entsteht. Wir
       müssen das Bewusstsein schärfen, dass es nicht nur in den mittlerweile
       bekannten Feldern – Reifenabrieb, Kosmetikprodukte – ein Problem
       darstellt“, findet Bertling. Denn viele würden immer noch denken, es
       beträfe sie nicht.
       
       Grundsätzlich gehe er davon aus, dass das abgeschliffene Mikroplastik, wenn
       es mit dem Schmutzwasser „entsorgt“ würde, in der Kläranlage zu über 95
       Prozent abgeschieden wird. „Von der abgeschiedenen Menge könnten etwa 20
       Prozent mit dem Klärschlamm in die landwirtschaftliche Verwertung gelangen.
       Der Rest ginge dann in die Klärschlammverbrennung“, erklärt Bertling.
       
       Wie viel der Schleifreste jedoch tatsächlich ins Wasser gelangen und nicht
       in den Haus- oder Sondermüll, ist nur schwer zu beziffern.
       Optiker*innen verwenden die unterschiedlichsten Schleifsysteme.
       Ausgestattet sein können sie mit Absetzbecken, Filtersocken oder auch
       ganzen Filtersystemen.
       
       ## Nur wenige Zahlen vorhanden
       
       Auch macht es einen Unterschied, ob die Schleifsysteme mit Frischwasser
       betrieben werden oder Umwälzanlagen vorhanden sind. Niklas Warda geht davon
       aus, dass gut 80 Prozent der 200 Tonnen nicht rausgefiltert würden. Also
       erst einmal ins Abwasser gelangen.
       
       Die Rechnung der Firma Wardakant ist holzschnittartig, aber es sind die
       einzigen Zahlen, die vorliegen. Sowohl die Optikerbranche selbst als auch
       die Behörden haben Mikroplastik von Brillengläsern nur sehr vereinzelt bis
       gar nicht auf dem Schirm. Weder dem Bundesverband der Energie- und
       Wasserwirtschaft noch der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft,
       Abwasser und Abfall liegen Informationen dazu vor.
       
       Das Umweltbundesamt (UBA) schreibt, dass selbst wenn die Zahlen stimmen
       sollten, die 200 Tonnen eine geringe Menge in Relation zu anderen
       Umwelteinträgen darstellten und Kläranlagen über 90 Prozent des
       Mikroplastik entfernten. „Unsere Fachleute halten die Umweltbelastung daher
       für vergleichsweise wenig gravierend, zumal der Nutzen für die
       Brillentragenden ja recht hoch ist“, so ein Sprecher des UBA.
       
       Ebenso hat auch der Optikerverband ZVA keinerlei Daten zu
       Schleifrückständen oder dazu, „wie groß der Anteil derer ist, die das
       Schleifwasser zusätzlich filtern“, und „wie viele Optiker mit einem
       geschlossenen System arbeiten und wie viele mit einem Frischwassersystem“.
       
       ## Uneinigkeit bei den Schätzungen
       
       Aufgrund von eingesetzten Absetzbecken und Reststoffbehältern, wo sich die
       Rückstände ablagern und anschließend im Müll entsorgt werden können, sowie
       Filtersocken gelangten aber „keineswegs die gesamten Rückstände ins
       Abwasser, sondern nur ein kleiner Teil, der im Schleifwasser enthalten
       ist“. Deshalb schätze der ZVA die Belastung des Abwassers eher als gering
       ein.
       
       Die Ansicht, dass manche Mengen vernachlässigbar seien, „hat uns zu dem
       Punkt gebracht, an dem wir uns mittlerweile befinden“, kritisiert Warda.
       „Feinste Mikroplastikpartikel sind von den höchsten Berggipfeln bis hin zu
       den tiefsten Stellen des Meeres zu finden und jeder von uns verzehrt pro
       Woche eine Kreditkarte an Plastik, einfach so nebenbei.“
       
       ## Geschlossene Kreisläufe und Recycling
       
       Mit seiner Filteranlage TideKlar will er gegensteuern: Sie würde
       Mikroplastik beim Einschleifen in einem komplett geschlossenen Kreislauf
       herausfiltern. Außerdem werde das Mikroplastik wiederverwertet. Ein
       Recyclingdienstleister verarbeite die Schleifrückstände dann etwa zu
       Zaunpfählen.
       
       Viele Firmen gebe es im Bereich der Filteranlagen nicht, so Warda.
       „Wirkliche Filteranlagen für optische Schleifautomaten gibt es von zwei
       Anbietern auf dem Markt: Essilor und Nidek.“ Andere Kleinlösungen wie
       Filtersocken gebe es daneben auch nur wenige.
       
       Und Filteranlagen ließen sich untereinander nur schwer vergleichen, da
       sie von Wirkungsgrad und eingesetzter Filtertechnik komplett
       unterschiedlich seien. „Wir hoffen, dass ein Umdenken in der Optikerbranche
       stattfindet und Filteranlagen zum Standard werden.“
       
       5 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.zva.de/brillenstudie
   DIR [2] https://www.umsicht.fraunhofer.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mareike Andert
       
       ## TAGS
       
   DIR Mikroplastik
   DIR Optiker
   DIR Kunststoff
   DIR Gewässer
   DIR Umweltverschmutzung
   DIR Upcycling
   DIR Landwirtschaft
   DIR Rohstoffe
   DIR Plastik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Müllskulpturen-Ausstellung: Mit Ästhetik gegen die Müllflut
       
       Das Berliner Künstler:innenkollektiv „Planet Trash“ zeigt „Wasted
       Creatures“ in einer Ausstellung. Manchmal führt der Weg zum Handeln über
       die Phantasie.
       
   DIR Nach Notfallzulassung eines Pestizids: Bienenkiller außer Kontrolle
       
       Agrarministerin Klöckner erlaubte ein für Bienen hochgiftiges, von der EU
       verbotenes Pestizid. Jetzt verbreitet es sich unkontrolliert in der Umwelt.
       
   DIR Investitionen in Boden: Landgrabbing nimmt wieder zu
       
       In Zeiten niedriger Zinsen und steigender Rohstoffpreise versprechen
       Investitionen in Boden hohe Renditen. Ein Report dokumentiert das Ausmaß.
       
   DIR Petition der Woche: Plastik in aller Munde
       
       Wer Kaugummi kaut, kaut oft unwissentlich auf Plastik rum. Ein Hersteller
       fordert biologisch abbaubare Alternativen und startet eine Petition.