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       # taz.de -- Warnstreik an 28 Berliner Schulen: Streiken macht Schule in Berlin
       
       > Die Pflegekräfte streiken schon für bessere Arbeit, jetzt fordern auch
       > Lehrkräfte einen „Tarifvertrag Gesundheitsschutz“. Warnstreik am
       > Mittwoch.
       
   IMG Bild: Streikerprobt: Die Gewerkschaft GEW, hier auf einer Kundgebung 2019
       
       Berlin taz | Für einige Berliner SchülerInnen fällt am heutigen Mittwoch
       der Unterricht einfach mal aus, und schuld ist dieses Mal nicht die
       Pandemie: Immerhin [1][28 Berliner Schulen] sind einem Streikaufruf der
       Lehrergewerkschaft GEW gefolgt, der zu einem eintägigen Warnstreik
       trommelt. Grund ist der Lehrkräftemangel, der an den Schulen längst
       chronisch ist, bundesweit wie auch in Berlin – und ganz konkrete
       Auswirkungen hat: auf die Klassengrößen, auf die Unterrichtsqualität und
       damit letztlich auch wieder auf die Attraktivität des Lehrerberufs.
       
       Die GEW verschärft mit dem Warnstreik ihre [2][Forderung nach einem
       Tarifvertrag Gesundheitsschutz] aus dem Juni. Konkret will die Gewerkschaft
       Obergrenzen für die maximal erlaubte Anzahl von SchülerInnen pro Klasse
       festschreiben. Bisher gibt es im Berliner Schulgesetz nur unverbindliche
       Richtgrößen, zum Beispiel 24 Kinder pro Grundschulklasse. Oft sind die
       Klassen aber voller – weil Personal oder der Raum oder beides fehlen.
       
       „Uns ist klar, dass unsere Forderung nicht von heute auf morgen umsetzbar
       ist“, sagt GEW-Landesvorsitzender Tom Erdmann der taz. Denn natürlich
       würden kleinere Klassengrößen den Lehrkräftebedarf erst mal nur noch weiter
       verschärfen. Man schlage deshalb die Diskussion über einen „Stufenplan“
       vor. Und es gehe natürlich grundsätzlich, auch mit Blick auf die anstehende
       Tarifrunde der Länder im November, um „ein Statement“, sagte Erdmann. Für
       Berlin führt dort Noch-Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) die
       Verhandlungen.
       
       Ob man Obergrenzen für Klassenstärken – also Lern- und Arbeitsbedingungen –
       überhaupt tarifvertraglich regeln kann, ist strittig. Die Position der
       Finanzverwaltung ist von jeher, unabhängig von der Frage der Zulässigkeit:
       Einen tarifrechtlichen Alleingang für Berlin kann es aus Prinzip nicht
       geben, man sei immerhin Mitglied der Tarifgemeinschaft.
       
       ## Pflegekräfte machen es vor
       
       Die Gewerkschaft Verdi fordert allerdings gerade Vergleichbares für die
       Pflegekräfte an Charité und Vivantes, die seit über drei Wochen im
       unbefristeten Arbeitskampf sind. Verdi will für die Beschäftigten einen
       [3][Tarifvertrag Entlastung] erstreiten, der einen Freizeitausgleich für
       die Arbeit in Unterbesetzung festschreibt – und damit den Kliniken Druck
       macht, Personalmindestbesetzungen einzuhalten. Mit der Charité hat man sich
       bereits geeinigt, nach fünf Tagen Arbeit in Unterbesetzung einen Tag
       Freizeit zu gewähren.
       
       Udo Mertens, Tarifexperte bei der GEW Berlin, sagt auf taz-Nachfrage dazu,
       es müsse auch bei einem Tarifvertrag Gesundheitsschutz für Lehrkräfte
       natürlich „Überlegungen geben, wie man Verstöße sanktionieren kann“. Das
       sei allerdings dann „Gegenstand von Verhandlungen“.
       
       Erdmann formuliert dasselbe so: „Wir wollen den Finanzsenator an den
       Verhandlungstisch zwingen.“ Man sei dafür auch bereit, den Streik
       auszuweiten. Dass das Arbeitsgericht den Streik Stand Dienstagnachmittag
       nicht untersagt habe, werte man im Übrigen auch als Hinweis, dass die
       eigene Forderung legitim oder zumindest „nicht ganz abwegig“ sei.
       
       Der Streikaufruf stößt allerdings auch bei Schulleitungen nicht unbedingt
       auf Verständnis: „Völlig unsinnig“, sagt Ralf Treptow, Schulleiter am
       Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Pankow. Dort hätten laut Treptow elf Lehrkräfte
       bereits gesagt, dem Streikaufruf folgen zu wollen. Er gehe aber davon aus,
       dass Gesundheitsschutz nicht tarifvertraglich regelbar sei.
       
       Unterdessen ist der Lehrkräftemangel in Berlin drastischer, als noch [4][zu
       Schuljahresbeginn im August vermutet]. Nachvollziehbare Zahlen der
       bezirklichen Personalräte kommen auf 413 Vollzeitstellen, die derzeit nicht
       besetzt sind. Bei der GEW rechnet man angesichts einer Teilzeitquote von 10
       bis 15 Prozent mit mindestens 454 Personen, die deshalb akut in den Schulen
       fehlen.
       
       Die Bildungsverwaltung hatte im August lediglich 80 vakante Stellen
       angegeben, zudem liefen noch 150 Einstellungsverfahren. Der aktuelle Bedarf
       sei seitdem aber „noch einmal deutlich angestiegen“, sagte ein Sprecher von
       Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) der taz. Grund seien mehr
       Kündigungen als erwartet (862 statt 700) seit Schuljahresbeginn,
       Schwangerschafts- sowie und Dauerkrankmeldungen. Letztere lägen immer erst
       einige Wochen nach Schuljahresbeginn verlässlich vor. Außerdem hätten
       „viele, aber nicht alle“ der 150 Einstellungsverfahren am Ende realisiert
       werden können.
       
       Die Bildungsverwaltung wies auch darauf hin, dass die Berliner Schulen
       gerade im Bundesländervergleich überdurchschnittlich viele Lehrkräfe „on
       top“ für Sprachförderung und Inklusion hätten. Die offiziellen Zahlen gebe
       es wie jedes Jahr im November. Bis dahin gelte: „Wir stellen weiter ein“,
       so Scheeres' Sprecher.
       
       5 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gew-berlin.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=110084&token=38441be7992d949d85c956bc5883b18a5827b7d2&sdownload=&n=Streikaufruf-TV-Gesundheitsschutz06102021.pdf
   DIR [2] /Forderung-nach-kleineren-Schulklassen/!5777329
   DIR [3] /Arbeitskampf-bei-Vivantes-und-Charite/!5805354
   DIR [4] /Schulstart-in-Berlin/!5786451
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Klöpper
       
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