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       # taz.de -- Volle Opernsäle in Berlin: Biblische Wüste und Theaternebel
       
       > Opernpremieren in Berlin: „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ an der
       > Komischen Oper und „Cosi fan tutte“ an der Staatsoper.
       
   IMG Bild: Allan Clayton (Jim Mahoney) und Jens Larsen (Dreieinigkeitsmoses) und Ensemble
       
       Worum es in der zweiten Oper geht, die Kurt Weill und Bertolt Brecht
       zusammen geschrieben haben, scheint seit der Uraufführung von 1930
       festzustehen. „Mahagonny“ gilt als Manifest gegen den Kapitalismus,
       worunter eine Gesellschaft zu verstehen sei, in der das Geld alles und der
       Mensch nichts sei. „O Moon of Alabama“ und paar andere Ohrwürmer sorgen
       dafür, dass diese arg schlichte Botschaft immer wieder auf den Spielplan
       gesetzt und guten Gewissens bejubelt wird.
       
       Barrie Kosky räumt an der Komischen Oper damit auf. Die Bühne von Klaus
       Grünberg ist leer, schwarze Vorhänge engen das Spielfeld zu einem Dreieck
       ein. Jens Larsen und Ivan Turšic stecken ihre Köpfe aus einem Loch in der
       Drehbühne. Der Dreieinigkeitsmoses und sein Prokurist Fatty stecken fest.
       Hinter ihnen die Polizei, vor ihnen die Wüste. Auch Nadine Weissmann
       klettert auf diesen Boden der Tatsachen. Dann bleiben wir eben hier, sagt
       die Witwe Leokadja Begbick.
       
       Es schadet nichts, dabei an Beckett zu denken. Die drei warten in ihrer
       Netzestadt, deren Ruf um die ganze Welt geht. Sie warten nicht auf Godot,
       aber auch nicht auf das Geld. Schon mit dieser ersten Szene öffnet Kosky
       den Horizont eines Stücks, der weit über alles hinausgeht, was sich gewiss
       zu Recht und jederzeit gegen die Herrschaft des Profits einwenden lässt.
       Sie warten auf das Ganze, vielleicht auch auf gar nichts. Sie spielen um
       die Existenz und führen eine Parabel über die menschliche Natur auf, die
       biblische Ausmaße hat.
       
       ## Es gibt nichts zu lachen
       
       Die biblischen Vorlagen in Brechts Versen sind in keiner Aufführung zu
       übersehen, werden aber stets als Satire gelesen. Kosky nimmt sie ernst. Es
       gibt nichts zu lachen, am wenigsten über den religiösen Glauben an
       Erlösung. Erst kommen die Nutten, angeführt von Nadja Mchantaf als Jenny
       Hill, dann die Holzfäller: Alan Clayton, Philipp Kapeller, Tom Erik Lie und
       Tijl Faveyts. Glücklich werden sie miteinander nicht, der Whisky ist zu
       teuer, die Frauen sind langweilig.
       
       Mahagonny ist pleite, aber dann kommt der Hurrikan. Eine göttliche Laune
       des Klimas lenkt ihn um die Stadt herum. Die Vorhänge an den Bühnenseiten
       öffnen sich für die Spiegel, die dahinter verborgen waren. Es gibt keine
       Stadt, nur Männer und Frauen in schwarz glitzernden Kostümen einer
       Chorusline, die sich endlos spiegelt.
       
       Alan Clayton jedoch, der gewichtige Tenor, behält die dreckigen Kleider des
       Holzfällers Jim Mahoney. Er hat mit Jenny das Lied vom Kranich und der
       Wolke gesungen, kann aber am Ende die Rechnung nicht bezahlen. „Wir können
       einem toten Mann nicht helfen“, singen die anderen. Gott schaut als
       Spielzeug-Äffchen im Rollstuhl nach dem Rechten.
       
       ## Kosky inszeniert Weill
       
       „Ja, sagten die Männer von Mahagonny“, am Ende aber „Nein“. Es gibt keinen
       Ausweg, keine Hoffnung, nichts. Kosky, der Musiker, der er auch ist, hat
       Kurt Weil inszeniert und den Text als Libretto behandelt, das nun mal
       dazugehört. Orchester, Chor und Solostimmen klingen unter der Leitung
       Ainars Rubikis wunderbar, jedes Tempo und jede Choreografie laden zum
       Verstehen des Werkes ein.
       
       Am Sonntag danach war in der Staatsoper zu sehen, was alles schiefgehen
       kann. Daniel Barenboim will alle drei Opern von Mozart dirigieren, für die
       Lorenzo da Ponte den Text schrieb. Im Frühjahr war „Die Hochzeit des
       Figaro“ der Coronapandemie zum Opfer gefallen, vor ausverkauftem, wieder
       vollen Saal stand jetzt „Cosi fan tutte“ auf dem Programm. Barenboim
       überrascht mit einer kammermusikalisch kleinen Besetzung der Staatskapelle,
       die elegant mit abgeklärter Ruhe Mozarts Musik spielt, für die es
       bekanntlich keine Worte gibt.
       
       Am Anfang strapazieren die Frauen ihre Stimmen mit Geschrei, während dem
       Tenor auch mal der Ton ganz wegbleibt. Im zweiten Akt jedoch sind solche
       Mängel verschwunden. Zu hören ist ein intimes Fest junger Musikerinnen und
       Musiker. Höhepunkt ist eine Frau, die von der Treue zu ihrem Geliebten
       singt, an die sie nicht mehr glauben kann. Mozart hat dafür eine Arie
       geschrieben, die sämtliche Konventionen des Stils auflöst in eine hörbar
       messerscharfe Analyse des seelischen Konflikts.
       
       ## Barenboim hat den falschen Regisseur erwischt
       
       Es gibt nichts Vergleichbares in der gesamten Musikgeschichte, aber
       Barenboim hat den falschen Regisseur erwischt. Vincent Huguet war einmal
       Assistent bei Patrice Chéreau. Für Da Pontes „Schule der Liebenden“ füllt
       er die Bühne mit Designerramsch aus den 70er Jahren des letzten
       Jahrhunderts. Junge Leute von damals zappeln darin herum mit wilden Gesten
       unter der Aufsicht eines alten Besserwissers. Es kommen weitere hinzu, die
       nichts sagen, sich aber ausziehen, weil es um Sex und Gefühl geht.
       
       Dann muss Fiordiligi ihre Arie singen. Federica Lombardi kann es sehr gut.
       Sie ist 32 Jahre alt, ihre junge Stimme bringt das erwachsene Gefühl
       besonders schön zum Ausdruck. Nur muss sie dabei unbedingt auf einem
       unförmigen Floß mit Geländer herumturnen, dichter Theaternebel verhindert
       alsbald jede Frage nach dem Sinn. Der Applaus war trotzdem freundlich.
       Barenboim und sein Ensemble haben ihn redlich verdient.
       
       6 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Niklaus Hablützel
       
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