URI: 
       # taz.de -- Lehren aus dem Afghanistan-Krieg: Im Schatten der Sondierung
       
       > Die Regierung lässt über die Bilanz des Bundeswehr-Einsatz diskutieren.
       > Bundestagsabgeordnete bleiben fern. Sie stören sich am Zeitpunkt.
       
   IMG Bild: Chaos nach dem Abzug: Wartende Afghanen im August am Flughafen von Kabul
       
       Berlin taz | Der Chef des Bundeswehrverbands sieht die entscheidenden
       Fehler im deutschen Afghanistaneinsatz nicht bei den Soldat*innen,
       sondern in der Politik. Etwa in Sachen Transparenz: „Viele Soldatinnen und
       Soldaten haben einen Unterschied wahrgenommen zwischen den militärischen
       Berichten, die sie abgegeben haben, und dem, was in der politischen
       Kommunikation daraus gemacht wurde“, sagt André Wüstner. Im Klartext: Die
       Bundesregierung hat die Situation in Afghanistan schöngerdet. „Da gilt es
       jetzt einiges aufzuarbeiten“, sagt Wüstner.
       
       Was der Verbandschef an diesem Mittwoch im Verteidigungsministerium
       vorträgt, ist einer der Erklärungsansätze für das Scheitern in Afghanistan,
       aber bei Weitem nicht der einzige. Das Ministerium hat zu einer
       Diskussionsveranstaltung eingeladen: „20 Jahre Afghanistan – Startschuss
       für eine Bilanzdebatte“. Auf verschiedenen Podien sitzen
       Interessenvertreter wie Wüstner, Generäle, eine Menschenrechtlerin, eine
       Expertin der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemalige Bundestagsabgeordnete.
       Derzeitige Abgeordnete fehlen dagegen:
       Verteidigungspolitiker*innen aller Bundestagsparteien waren zwar
       angefragt, sagten aber ab.
       
       „Ich finde den Zeitpunkt unglücklich gewählt“, sagt Agnieszka Brugger
       (Grüne). „Für die Aufarbeitung braucht es öffentliche Aufmerksamkeit, aber
       die liegt im Moment voll auf der Regierungsbildung.“ Sie wittert eine
       Alibiveranstaltung, da der Wille zur Aufarbeitung in der Regierung bisher
       kaum ausgeprägt war. „Über zwölf Jahre haben alle Regierungskoalitionen
       unsere Anträge nach einer unabhängigen Evaluation abgelehnt. Jetzt so eine
       Veranstaltung zu machen, erweckt den Eindruck, dass es eher um den Schein
       geht als um Substanz.“
       
       Fraktionsübergreifend hatten sich Abgeordnete für eine Verschiebung
       starkgemacht. Auf ihren Druck hin zog am Montag Außenminister Heiko Maas
       (SPD) sein eigentlich schon zugesagtes Grußwort zurück. Bis zuletzt stand
       sogar eine komplette Absage der Veranstaltung im Raum. Dagegen standen nach
       Angaben des Verteidigungsministerium zwei Argumente: Die Nato will schon
       Ende des Jahres ihren eigenen Evaluierungsprozess abschließen, bis dahin
       müsse die Bundesregierung ihren Beitrag liefern. Und die Soldat*innen, die
       in Afghanistan Opfer gebracht haben, sollen nicht länger auf eine Bilanz
       warten müssen.
       
       Die Abgeordneten finden trotzdem: Gründlichkeit wäre besser als
       Schnelligkeit. „So was macht man sachlich und nüchtern“, sagt Marie-Agnes
       Strack-Zimmermann (FDP). „Es bedarf eines neuen Auftrags der neuen
       Regierung und des Parlaments, sich mit den Lehren Afghanistan zu
       beschäftigen. Das ist nicht mit einer Nachmittagsveranstaltung getan,
       sondern bedarf beispielsweise einer Enquetekommission.“ In so einem Gremium
       würden Abgeordnete und externe Sachverständige gleichberechtigt arbeiten.
       Die Grünen-Abgeordnete Brugger fordert „eine breite, selbstkritische und
       umfassende Evaluation von außen“.
       
       ## Bilanz auf vielen Gleisen
       
       Auch wenn die genaue Form noch offen ist: In den Ampel-Verhandlungen könnte
       es hier eine Einigung geben, zumal sich die SPD gegen eine gründliche
       Bilanz nicht sperrt. Zusätzlich fordern Grüne und FDP einen
       Untersuchungsausschuss, der speziell die Fehler während des Truppenabzugs
       [1][und der Evakuierung] in den Blick nimmt. Unangenehm für die SPD, aber
       wohl kaum vermeidbar – die beiden kleineren Parteien hatten [2][den
       U-Ausschuss im Sommer nachdrücklich eingefordert] und sind davon bisher
       nicht abgerückt.
       
       Die Aufarbeitung des Afghanistankriegs wird also auf mehreren Gleisen
       stattfinden – zumal neben dem Verteidigungsministerium auch das Außen-,
       Innen- und Entwicklungsministerium vorgeprescht sind. Sie haben vor einer
       Woche eine „ressortgemeinsame Evaluierung des zivilen
       Afghanistan-Engagements“ extern ausgeschrieben. Veranschlagt für den
       Auftrag sind 625 Arbeitstage. Eine zusätzliche Feldforschung vor Ort hängt
       laut Projektbeschreibung von „der weiteren Entwicklung in Afghanistan“ ab.
       
       Die Noch-Opposition hält allerdings auch dieses Vorhaben für unglaubwürdig.
       „Jedes Haus will sich gerade retten und der jeweils eigenen Partei
       signalisieren: Wir sind da und handlungsfähig“, sagt Strack-Zimmermann.
       „Deswegen dieses Gehudel, nachdem man sich jahrelang kein Jota bewegt hat.“
       
       6 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Evakuierung-aus-Afghanistan/!5796816
   DIR [2] /Untersuchungsausschuss-zu-Afghanistan/!5794152
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Bundeswehr
   DIR Verteidigungsministerium
   DIR Militär
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Sondierung
   DIR Kolumne Red Flag
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Kolumne Ernsthaft?
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Afghanistaneinsatz
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes: Lektion nicht gelernt
       
       Die Verantwortlichen beschönigen die Afghanistan-Politik noch immer. Am
       Montag übertraf sich der Ex-Innenminister de Maizière dabei sogar selbst.
       
   DIR Ende des Afghanistan-Einsatzes: Zapfenstreich vor dem Reichstag
       
       Die Politik ehrt am Mittwoch deutsche Soldat*innen. Kritik an den
       Zeremonien kommt von Linken und aus der evangelischen Kirche.
       
   DIR Evakuierungen aus Afghanistan: Engagement für bedrohte Frauen
       
       Frauen- und Geschlechterforscher*innen fordern vom Auswärtige Amt,
       mehr bedrohte Afghan*innen in Deutschland aufzunehmen.
       
   DIR Ampelkoalition und Kulturkampf: Weg mit dem Diskursmüll!
       
       Ist das Tempolimit ein Angriff auf die Freiheit? Mit einem Ampelbündnis
       besteht die große Chance, dass in die Debatte über Klimaschutz mehr
       Vernunft einzieht.
       
   DIR Schwerpunkte der nächsten Koalition: Dasselbe in Grün
       
       Im Wahlkampf spielten Polizeigewalt und rechtsextreme Netzwerke kaum eine
       Rolle. Auch mit der nächsten Regierung dürfte sich das nicht ändern.
       
   DIR Explosion in afghanischer Moschee: Dutzende Tote in Kundus
       
       Bei einer Explosion während des Freitagsgebets sind Dutzende Menschen
       getötet und verletzt worden. Bisher hat sich niemand zum Anschlag bekannt.
       
   DIR Nach dem Abzug aus Afghanistan: Lessons learned?
       
       Es wird jetzt viel über die Lehren aus dem Einsatz in Afghanistan
       gesprochen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass dadurch etwas besser
       würde.
       
   DIR Nach dem Afghanistan-Desaster: Diskussion um EU-Eingreiftruppe
       
       Lehren aus Afghanistan? Die EU-Verteidigungsminister:innen debattieren
       Pläne für eine Interventionseinheit. Doch es gibt Widerstand.
       
   DIR Ex-Grünen-MdB über Afghanistan-Abzug: „Man nennt das Niederlage“
       
       Als der Bundestag 2001 den Einsatz in Afghanistan beschloss, stimmte
       Winfried Nachtwei für die Grünen zu. Nun zieht er Bilanz.