URI: 
       # taz.de -- Umweltschutz in den USA: Die Radikal-Christin
       
       > Die US-Aktivistin Jessica Reznicek ist gläubig, will die Umwelt bewahren
       > und sabotiert eine Pipeline. Jetzt muss sie in Haft.
       
   IMG Bild: Die 40-jährige Jessica Reznicek wurde zu acht Jahre Haft verurteilt
       
       Des Moines, Iowa, 28. Juni 2021. Im Gerichtssaal ist es still. Bis auf den
       letzten Platz ist der Raum gefüllt – an die 50 Personen, die sich
       eingefunden haben, um der Urteilsverkündung von Jessica Reznicek (40)
       beizuwohnen. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen „Verschwörung zur
       Beschädigung einer Energieproduktionsanlage“ und „böswilliger Verwendung
       von Feuer“ erhoben. Außerdem fordert sie eine Erhöhung des Strafmaßes, da
       Rezniceks Taten als inländischer Terrorismus einzuordnen seien.
       
       Es ist nicht das erste Mal, dass Jessica Reznicek vor Gericht steht. Doch
       dieses Mal blickt sie einer Gefängnisstrafe von bis zu 20 Jahren entgegen –
       und der Bezichtigung, eine „inländische Terroristin“ zu sein.
       
       Ihr gegenüber sitzt die Richterin des United States District Court, Rebecca
       Goodgame Ebinger, der Staatsanwalt und ein FBI-Agent. Zahlreiche Polizisten
       in schusssicherer Weste befinden sich im Saal. Die Angeklagte wird
       aufgefordert, ihre Abschlussrede zu halten.
       
       Jessica hat eine laute, klare Stimme. Sie erzählt von ihrer starken
       Verbindung zum Wasser. In ihrer Kindheit sei sie regelmäßig zum Fluss
       gegangen, um dort zu schwimmen und spielen. Doch das sei nun nicht mehr
       möglich, da die zwei Flüsse, die durch [1][Des Moines] – der Hauptstadt von
       Iowa – fließen, mittlerweile von den Pestiziden und Abfällen der
       Agrarindustrie vergiftet sind.
       
       Aus diesen sehr persönlichen Gründen habe sie sich dazu entschlossen, gegen
       den Bau der Dakota Access Pipeline zu kämpfen, erklärt sie den Anwesenden.
       Mindestens acht Lecks – so Reznicek – hätten die Pipeline 2017 schon
       getroffen, wobei 20.983 Liter Rohöl in Böden und die Gewässer ausgelaufen
       seien. „Ich habe aus Verzweiflung heraus agiert“, erklärt sie ihre
       Motivation zur Sabotage.
       
       „Indigene Tradition lehrt uns, dass Wasser Leben ist. Die Schrift lehrt
       uns, dass Gott am Anfang Wasser und Erde geschaffen hat, und dass es gut
       war.“ Mit diesen Sätzen beendet sie ihr Abschlussplädoyer. Das Urteil folgt
       kurz darauf: acht Jahre Bundesgefängnis, drei Jahre Bewährung und eine
       Geldstrafe über 3.198.512,70 US-Dollar an den Konzern Energy Transfer.
       
       Am 24. Juli 2017, zwei Jahre vor dem Urteilsspruch. In einem verwackelten
       Video ist Jessica Reznicek mit ihrer Mitstreiterin Ruby Montoya, eine
       damals 27 Jahre alte ehemalige Grundschullehrerin, zu sehen. Sie stehen vor
       einer Gruppe von Journalist:innen neben einer stark befahrenen Straße.
       Die Rede, die sie halten, wird ihr Leben auf drastische Art verändern.
       
       Nachdem die zwei Frauen, deren Wege sich später trennen werden, über
       mehrere Monate hinweg im Geheimen Sabotageaktionen an einem der
       umstrittensten Bauprojekte des Landes verübt haben, gehen sie an diesem Tag
       an die Öffentlichkeit. „Wir handelten für unsere Kinder, denn die Welt, die
       sie erben, erfüllt ihre Bedürfnisse nicht. Es gibt mehr als fünf größere
       Gewässer hier in Iowa, und aufgrund der empörenden Verantwortungslosigkeit
       der Konzerne ist keines davon sauber. Nachdem wir alle konventionellen
       Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, einschließlich des Besuchs von
       öffentlichen Anhörungen, Unterschriftensammlungen, Teilnahme an zivilem
       Ungehorsam, Hungerstreiks, Demos, Boykotts und Besetzungen, sehen wir, dass
       unsere Regierung nur unzureichend auf die Forderungen der Bevölkerung
       hört.“
       
       Deshalb verbrennen Jessica Reznicek und Ruby Montoya in einer Nacht im Jahr
       2016 auf einer Pipeline-Baustelle in Iowa fünf Maschinen. Später ändern sie
       ihre Methoden. Mit einem Schweißbrenner nehmen sie die an der Oberfläche
       liegenden Stahlventile der Pipeline auseinander und verzögern die
       Fertigstellung um Wochen. „Nach dem Erfolg dieser ersten Aktion begannen
       wir damit, diese Taktik überall an der Pipeline anzuwenden“, sagen die
       beiden Frauen.
       
       Aber kein Medium hätte über ihre Aktionen berichtet, der Konzern hätte
       andere – falsche – Gründe für die Verzögerung angeführt. Als sie bei einer
       Aktion bemerken, dass bereits Öl in den Rohren fließt, müssen sie sich
       eingestehen, dass es mit dieser Art des Widerstandes vorbei ist, und sie
       entscheiden sich, an die Öffentlichkeit zu treten.
       
       Die zwei Frauen wirken an diesem Tag im Sommer 2017 klar und entschlossen,
       während sie abwechselnd ihren vorformulierten Text vortragen. „Wenn es
       etwas gibt, das wir bereuen, dann, dass wir nicht genug getan haben.“ Damit
       beenden sie ihre Rede und werden kurz darauf von drei Polizisten in
       Handschellen abgeführt.
       
       ## Der Konflikt um die Pipeline
       
       Unter dem Motto „Mni wiconi“, in der Sioux-Sprache Lakota „Wasser ist
       Leben“, organisiert sich 2016, angeführt von den [2][Sioux Native
       Americans], eine breite Bewegung gegen den Bau der Dakota Access Pipeline.
       Insbesondere der Protest des [3][Standing-Rock-Sioux]-Stamms erlangt dabei
       nationale und internationale Aufmerksamkeit.
       
       Diese sehen in dem Bau der Pipeline eine Bedrohung ihrer Wasservorräte, da
       die Leitung unter dem See Oahe verläuft, welcher in der Nähe des Reservats
       liegt. Auch andere Gewässer seien gefährdet, da die Pipeline an vielen
       Stellen Flüsse und Seen unterquert, was bei einem Unfall das Trinkwasser
       vieler Menschen verseuchen könnte. Zudem seien durch die Konstruktion alte
       Grabstätten und heilige Orte von großem kulturellem Wert bedroht.
       Gegner:innen der Pipeline sprechen von ökologischem Rassismus. Nicht
       nur, weil die Selbstverwaltungsrechte von indigener Bevölkerung beschnitten
       würden, sondern auch, weil es durch die Errichtung von sogenannten Men
       Camps – temporären Containerstädten für Arbeiter, die aus anderen
       Bundesstaaten dort hinziehen – zu Prostitution und einer Erhöhung der
       Gewalt an indigenen Frauen käme.
       
       Ihre Regierung – der Sioux Tribe ist eine souveräne Nation – veröffentlicht
       schon 2015 eine Resolution, in der es heißt, dass die Pipeline ein
       „ernstzunehmendes Risiko für das Überleben unseres Stammes ist und
       wertvolle kulturelle Ressourcen zerstören würde“. Der Bau würde zudem einen
       Vertrag brechen, der ihnen die „ungestörte Nutzung und Bewohnung“ des
       Landes garantiere. Doch die Argumente bleiben ungehört.
       
       Die Betreiberfirma erklärt, die Pipeline würde die Umwelt nicht schädigen,
       die Rechte der Indigenen nicht berühren und bedeute auch keine Gefahr für
       die Trinkwasserversorgung. Doch der Protest, der sich über mehrere Staaten
       entlang der Pipeline erstreckt, entwickelt sich zu einer der größten
       Umweltbewegungen der USA. Native Americans aus unterschiedlichen Nationen
       und Reservaten schließen sich an, dazu Landeigentümer:innen,
       Umweltorganisationen und links-autonome Bewegungen.
       
       Als Jessica Reznicek vor sechs Jahren wegen ihres Protests gegen einen
       Waffenlieferanten des US-Militärs in Omaha, Nebraska, nach einem
       zweimonatigen Aufenthalt aus dem Gefängnis entlassen wird, hörte sie zum
       ersten Mal von der Pipeline. Eine Aktivistin ist aus Standing Rock
       gekommen, um Menschen für den Protest zu mobilisieren: „Ich entschloss
       mich, dass ich mehr über indigene Zeremonien lernen wollte, da ich
       verstand, dass ich als weiße Person nicht einfach dort hingehen und meine
       Forderungen stellen kann. Außerdem wollte ich mich darauf konzentrieren,
       das Pipelineprojekt zu stoppen. So fuhr ich in den Norden nach Standing
       Rock.“
       
       ## Bei den radikalen Katholik:innen
       
       Eine Straße am Rand von Des Moines, einer Stadt, die Sitz zahlreicher
       Versicherungsgesellschaften ist. Große Bäume ragen weit über die hölzernen
       Reihenhäuser und spenden Schatten an diesem heißen Tag im Juli.
       
       Über der Veranda eines der Häuser hängt ein kleines Schild mit der
       Aufschrift „Catholic Worker House“. Vor dem hinteren Teil des Gebäudes
       stehen Tische und Bänke, auf denen vereinzelt Menschen sitzen. Musik läuft,
       dazu wird gesungen, jemand liegt auf der Bank und schläft.
       
       In der Küche des Hauses steht Jessica Reznicek vor dem Herd und hantiert
       mit fünf Hühnerbrüsten, die sie von den Knochen befreit. Daneben steht ein
       großer Topf mit Kartoffelpüree, in den sie großzügig Butter verteilt.
       „Unsere Gäste lieben Butter.“ Reznicek lacht. Die Küche schaut aus, als
       wären dort schon viele Mahlzeiten gekocht worden. Hier kleben Plakate mit
       Antikriegsbotschaften und Protestsprüchen. Auf dem Fenstersims vor Reznicek
       steht eine Bischofsstatue mit umgehängtem Rosenkranz.
       
       Zweimal wöchentlich kocht Jessica Reznicek für die obdachlosen Gäste, die
       hierherkommen. Normalerweise wird gemeinsam im Wohnzimmer gegessen, doch
       seit dem Ausbruch der Coronapandemie wird das Essen durch das Fenster
       verteilt.
       
       „Ich mag die Tage, an denen ich für die Küche verantwortlich bin. Das lenkt
       mich von all den Dingen ab, die bei mir los sind“, erzählt Reznicek,
       während sie damit beginnt, einen Berg von Geschirr abzuspülen.
       
       Seit der Bekanntmachung ihrer Aktionen sind zwei Jahre vergangen. Vor einem
       Jahr zog Jessica Reznicek zurück in die Gemeinschaft und verbringt dort die
       Zeit im Hausarrest. Hier, wo alles begann, endet ihre lange Reise. Noch
       eine Woche bleibt ihr bis zum Gefängnisantritt.
       
       Kurz vor der Essensausgabe füllen sich Küche und Wohnzimmer. Zwei Freunde
       von Reznicek sind da, Bewohner:innen des Hauses und Freiwillige von
       außerhalb – gemeinsam beginnen sie, den Gästen das Essen zu servieren.
       
       Seit zehn Jahren geht Reznicek im Haus ein und aus. Die meisten kennen ihre
       Geschichte: „Die, die Pipelines in die Luft gejagt hat?“, sagt Jimmy
       lachend. Dass sie nun bald nicht mehr da sein wird, macht viele der
       Bewohner:innen traurig. Das Gefängnis ist der Mehrheit unter ihnen ein
       vertrauter Ort. Doch so lange wie Jessica Reznicek saß noch niemand hier
       ein.
       
       ## Christentum und Anarchismus sind keine Gegensätze
       
       Das Dingman-Haus, benannt nach einem verstorbenen Bischof in Des Moines,
       ist eines von vier nebeneinander stehenden Gebäuden der
       [4][Catholic-Worker]-Bewegung. Christentum und Anarchismus treffen hier
       aufeinander. In diesen selbstorganisierten, von der Kirche unabhängigen
       „Häusern der Gastfreundschaft“ wird im Geiste der Bergpredigt unter den
       Armen gelebt und gearbeitet. Die christliche Botschaft von sozialer
       Gerechtigkeit und Solidarität mit den Marginalisierten wird zur
       alltäglichen Praxis. Mit der Institution der katholischen Kirche gibt es
       nicht viele Überschneidungen. Im Bad, wo die obdachlosen Gäste duschen
       können, liegen Kondome zur freien Entnahme, trans Personen finden hier
       Obdach und Frauen halten Gottesdienste.
       
       Das gegenüberliegende Berrigan-Haus – benannt nach zwei Priestern, die
       bekannt für ihre direkten Aktionen zivilen Ungehorsams gegen den
       Vietnamkrieg wurden – ist seit jeher ein Ort des Widerstands, von wo aus
       Aktionen geplant werden und Aktivist*innen Unterschlupf finden. Von
       hier aus plante Jessica Reznicek ihre Aktionen gegen die Pipeline.
       
       Wie im Nachbarhaus, sind auch hier die Wände vollgeklebt mit Plakaten, die
       zum Widerstand gegen Krieg, Rassismus und Unrecht aufrufen. Es ist bunt,
       chaotisch und unaufgeräumt. Zu dritt sitzen Jessica Reznicek und ihre
       Freunde Alex (26) und Monty (28) am Tisch im Wohnzimmer. Die beiden gehören
       zu ihren engsten Unterstützer:innen. Gerade haben sie ein Videogespräch mit
       Rezniceks Anwalt geführt, um die letzten Schritte zu besprechen, bevor
       diese ins Gefängnis geht.
       
       Einen Monat nachdem Jessica Reznicek zu acht Jahren Haft verurteilt worden
       ist, starten sie eine Kampagne mit dem Titel „Verteidiger:innen von
       Wasser sind niemals Terrorist:innen“. Innerhalb kürzester Zeit sammeln
       sie Tausende Unterschriften. Ihr Ziel: eine Petition an Präsident Joe Biden
       und den Kongress, in der sie die Niederschlagung des Terrorvorwurfs
       fordern.
       
       ## Vorbereitung auf die Haft
       
       Die Liste der Dinge, die noch zu erledigen sind, bevor Reznicek ins
       Gefängnis geht, ist lang: Die elektronische Fußfessel zurückbringen, das
       High-School-Zeugnis abholen, das sie benötigt, damit sie im Gefängnis nicht
       am Unterricht teilnehmen muss. T-Shirts mit der Forderung nach ihrer
       Freilassung sollen bedruckt werden. Reznicek will außerdem Fotos
       entwickeln, die ihr Alex später ins Gefängnis schicken soll, damit sie ihre
       Zelle damit schmücken kann. Aber auch ihr Lieblingsmusical wollen sie noch
       einmal sehen, noch einmal tanzen gehen, Freund:innen einladen und feiern.
       Es wird viel gelacht, wenn die drei zusammenkommen.
       
       Nach dem Treffen packt Jessica Reznicek einen Staubsauger und
       Putzutensilien ein und macht sich auf den Weg. Mit Erlaubnis ihres
       Bewährungshelfers hat sie vor einem Jahr damit begonnen, private Häuser zu
       reinigen. Auch in einer Pizzeria arbeitete sie hin und wieder.
       
       Warum ist Jessica Reznicek bereit, wegen ihres Einsatzes für sauberes
       Wasser acht Jahre ihres Lebens im Gefängnis zu verbringen? Sie studiert
       Politikwissenschaft in Des Moines und ist verheiratet, als sie 2011 von der
       Bewegung Occupy Wallstreet erfährt. Kurz darauf entscheidet sie sich, zu
       den Protesten nach New York zu fahren. Das bedeutet auch das Ende ihrer
       Ehe. Von der US-Ostküste an beginnt sie eine Art neues Leben, immer
       unterwegs, auf der Suche nach ihrem Beitrag für eine gerechtere Welt.
       
       Zweimal reist Reznicek nach Palästina und Israel, wo sie aufgrund ihres
       Protests für die Palästinenser abgeschoben wird. Sie besucht die Zapatistas
       in Mexiko und verbringt Zeit in Zentralamerika und bei der indigenen
       Bevölkerung Guatemalas. In Südkorea protestierte sie gegen den Bau einer
       US-Navy-Basis. „Ich glaube, dass all diese Erfahrungen in meinem Leben in
       diesem Zeitpunkt gipfelten, als ich von der Dakota Access Pipeline erfuhr.“
       
       Ein wesentlicher Ort ihrer Politisierung war die
       Catholic-Worker-Gemeinschaft in Des Moines. Sie stößt auf die Organisation,
       nachdem sie aus New York nach Iowa zurückkommt. Dort beginnt das, was sie
       später als Konversion bezeichnet: eine Rückkehr zum christlichen Glauben
       und ihren katholischen Wurzeln.
       
       Gleichzeit geht damit eine Radikalisierung im Einsatz gegen Unrecht einher:
       Jesus Christus wird in der Bewegung als Revolutionär betrachtet, der für
       die Entrechteten eintrat, für die Schwachen und Armen. Er wollte die
       Könige vom Thron jagen und Gerechtigkeit bringen. Und er starb am Kreuz,
       ohne sich dem Urteilsspruch zu widersetzen.
       
       ## Auf der Flucht
       
       Drei Monate nachdem Jessica Reznicek 2017 ihre Aktionen öffentlich gemacht
       hat, wird das Berrigan-Haus vom FBI umstellt. „Es war 4.30 Uhr am Morgen,
       sie klopften an der Tür“, erinnert sie sich. „Das Haus hat gebebt. Ich
       rannte nach unten und konnte durch die Fenster die FBI-Agenten mit großen
       Waffen und die Uniformen sehen.“
       
       Als sie die Tür öffnet, wird das Haus von circa 50 Uniformierten gestürmt.
       Sie sei zu Boden geworfen und mit einer Waffe bedroht worden. „Ab diesem
       Zeitpunkt musste ich rennen, so schnell ich konnte. Denn ich musste einen
       Weg finden, mit meinem mentalen Zustand umzugehen, der aus den Schikanen
       der Sicherheitskräfte resultierte“, sagt Reznicek.
       
       Ein Jahr lang verbringt sie im Untergrund. Sie nennt das ihre Wanderschaft.
       „Ich war nicht unbedingt im Untergrund. Ich war auf der Flucht und habe
       mich versteckt, aber nicht nur vor der Regierung. Ich habe mich vor allem
       und allen versteckt.“
       
       Als sie nach zehn Monaten in Colorado zusammenbricht, realisiert sie
       endlich, dass sie Hilfe benötigt. Doch diese werde nicht von Menschen oder
       Orten kommen, sondern von ihrer Beziehung zu Gott, so erzählt Reznicek.
       Nach dieser Erfahrung wird ihr klar, dass sie an einem Ort leben will, an
       dem sie Gott begegnen kann. Sie beschließt, in ein Benediktinerinnenkloster
       als Novizin einzutreten.
       
       Der Wunsch geht nicht in Erfüllung. Reznicek wird erneut vom FBI
       aufgegriffen und angeklagt. Die Zeit bis zum Urteilsspruch soll sie im
       Hausarrest verbringen. Reznicek kehrt zurück nach Des Moines – in das
       Berrigan-Haus.
       
       Die letzten vier Tage vor dem Gefängnisantritt hat Jessica Reznicek die
       Erlaubnis bekommen, die Schwestern in der Klostergemeinschaft in Duluth zu
       besuchen. Nach ihrer Haft möchte sie dort einziehen oder so nahe wie
       möglich beim Kloster leben, falls es nicht möglich sein sollte, dort ganz
       einzuziehen.
       
       Am 11. August fahren die Benediktinerschwestern Jessica Reznicek in das
       vier Stunden entfernte Frauengefängnis in Wascea, Minnesota. 714 Frauen
       leben derzeit hinter den Mauern und Zäunen.
       
       300 Meilen nördlich davon liegt die Stadt Bemidji, Sitz des Energiekonzerns
       Energy Transfer, bei dem Reznicek für den Rest ihres Lebens verschuldet
       sein wird. An diesem Ort wird seit einigen Jahren eine neue Pipeline mit
       dem Namen Line 3 gebaut. Wie bei der Dakota Access Pipeline ist auch hier
       die indigene Bevölkerung – der Stamm der Anishinaabe und Ojibwe – von dem
       Projekt am stärksten betroffen.
       
       „Heute bin ich traurig, da ich mich von meinen Geliebten verabschieden
       muss. Trotzdem bin ich voller Kraft, weil ich weiß, dass ich immer noch mit
       Anstand zu diesem wichtigen Moment in der Geschichte gestanden habe, und es
       in der Tat keinen anderen Ort gibt, in dieser Zeit zu stehen.“ Mit diesen
       Worten verabschiedet sie sich von ihren Freund:innen.
       
       8 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.visittheusa.de/destination/des-moines
   DIR [2] https://blog.nativehope.org/sioux-native-americans-their-history-culture-and-traditions
   DIR [3] https://www.standingrock.org/
   DIR [4] https://www.catholicworker.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cristina Zerr
       
       ## TAGS
       
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Umweltschutz
   DIR Christentum
   DIR GNS
   DIR Energie
   DIR Öl
   DIR Alternativer Nobelpreis
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Urteil gegen Greenpeace: Signalwirkung gegen die Meinungsfreiheit
       
       Eine Jury in North Dakota verurteilt Greenpeace dazu, 660 Millionen Dollar
       an eine Ölfirma zu zahlen. Die Umweltorganisation will sich wehren.
       
   DIR Gerichtsurteil in den USA: Greenpeace soll 660 Millionen Dollar an Ölfirma zahlen
       
       Lange sorgte die umstrittene Öl-Pipeline Dakota Access Pipeline in den USA
       für wütende Proteste. Jahre später fällt nun ein aufsehenerregendes Urteil.
       
   DIR Umweltkatastrophe in den USA: Ölpest vor Kalifornien
       
       Ein Leck in einer Pipeline hat Hunderttausende Liter Öl in den Pazifik
       laufen lassen. Die betroffenen US-Städte warnen vor dramatischen
       Auswirkungen.
       
   DIR Alternative Nobelpreise: „AkteurInnen des Wandels“
       
       Die PreisträgerInnen des „Alternativen Nobelpreises“ 2021 stehen fest. Sie
       haben sich für Frauen, Indigene und Klimaschutz eingesetzt.
       
   DIR Nord Stream 2 Triumph für Putin: Fertig, aber noch nicht genehmigt
       
       Gegen allen Widerstand hat Russland Nord Stream 2 fertiggebaut. Der Kreml
       sieht sich als Sieger, fürchtet aber die nächste Bundesregierung.