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       # taz.de -- taz-Talk zum Enteignen-Volksentscheid: Der Terrier unter den Initiativen
       
       > Debatte mit Tiefgang statt Argumenten-Hopping: In der taz klärten
       > Initiativen-Sprecher Taheri und Grünen-Chef Graf, was ein „Ja“ bedeuten
       > würde.
       
   IMG Bild: Die Stimmung ist gut in der Initiative
       
       Berlin taz | Deutsche Wohnen und Co enteignen dürfte inzwischen die
       bekannteste Mieter-Initiative der Welt sein. Schon jetzt haben die Berliner
       Aktivist*innen hinter dem Volksentscheid, der private,
       renditeorientierte Wohnkonzerne vergesellschaften will, Interviewanfragen
       für den Montag nach der Abstimmung, die parallel zu den Wahlen stattfindet.
       Das japanische Fernsehen möchte ein Gespräch; das Wall Street Journal aus
       New York ebenso. Umso spannender werden die Interviews natürlich, wenn
       tatsächlich eine Mehrheit der Berliner*innen für die Vergesellschaftung
       auf Basis des Grundgesetzartikels 15 stimmen.
       
       Oder wie es Rouzbeh Taheri, Sprecher des Bündnisses Deutsche Wohnen und Co
       enteignen, am Montagabend [1][beim taz Talk in der Kantine der Zeitung]
       ausdrückte: „Es wird ein Signal um die ganze Welt gehen: Berlin ist riskant
       für Spekulanten.“
       
       Im Falle eines erfolgreichen Volksbegehren würden Spekulant:innen um
       Berlin erstmal einen großen Bogen machen, führte Taheri weiter aus auf dem
       Podium mit dem Landeschef der Grünen, Werner Graf, und taz Berlin-Leiter
       Bert Schulz. Die [2][letzten Umfragen] sahen eine knappe Mehrheit für
       Enteignungen.
       
       Es entspann sich eine sachliche Debatte mit Tiefgang und Ausredenlassen –
       mal ganz schön nach multithematischem Kratzen an der Oberfläche in den
       TV-Triellen für die Bundestagswahl. Aber obwohl auch Graf sagte, dass er
       für Enteignungen stimmen werde – anders als Annalena Baerbock, grüne
       Spitzenkandidatin im Bund – arbeitete sich das Podium permanent an
       Gegenargumenten ab.
       
       Etwa am Giffeyʼschen Mantra: „Von Enteignungen entsteht keine einzige neue
       Wohnung.“ Richtig, ebenso wenig Wohnungen also wie durch abgeschriebene
       Doktor- oder Masterarbeiten einer potenziellen Wissenschaftssenatorin und
       Regierenden Bürgermeisterin. Werner Graf sagte dazu: „Ich finde es falsch,
       das eine gegen das andere auszuspielen. Wir müssen bauen, weil Wohnungen
       fehlen, und wir müssen trotzdem die Mieten im Bestand senken.“ Taheri
       ergänzte: „Neubau und bezahlbare Wohnungen sind zwei Beine der sozialen
       Wohnraumversorgung – man kann nur auf zwei Beinen stehen.“
       
       Auch mit dem anderen schlagenden Argument, den vermeintlich hohen Kosten,
       wurde bisher jedes Volksbegehren konfrontiert, so Taheri: „Beim Tempelhofer
       Feld sollte die Nichtbebauung – warum auch immer – angeblich 500 Millionen
       Euro kosten. Die Maßnahmen des Mietenvolksentscheids sollten 3 Milliarden
       kosten. Letztlich kosteten sie lediglich 200 Millionen.“ Jedenfalls Graf
       teilte dann auch dessen Auffassung, dass Enteignungen günstiger als zum
       spekulativen Marktpreis erfolgen könnten.
       
       Dass die Finanzierung kein Problem sei und auch dank niedriger Zinsen
       langfristig haushaltsneutral möglich ist, unterstrichen beide.
       Unfreiwillige Argumentationshilfe lieferte dafür nicht zuletzt das
       [3][jüngste Wahlkampfgeschenk der SPD] an ihre Wähler:innen: Denn während
       die Sozialdemokraten das Enteignungsvolksbegehren ablehnen, hat sich
       Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) exakt dieses Finanzierungskonzept zu
       eigen gemacht, um im Wahlkampf 2,4 Milliarden Euro für knapp 15.000
       Wohnungen in die Hand zu nehmen. Und – man ahnt es – auch durch diese nicht
       ganz geringe Investition ist keine einzige neue Wohnung entstanden.
       
       Dass die Grünen ihrerseits nicht eindeutig sind in der Enteignungsfrage,
       kam auch zur Sprache: [4][Spitzenkandidatin Jarasch hatte einen
       Mietenschutzschirm vorgestellt], den sie mit dem Damoklesschwert Enteignung
       nach einem positiven Ausgang der Volksentscheids unter Beteiligung der
       privaten Wohnungswirtschaft durchsetzen will: Welcher Wohnungskonzern nicht
       kusche und sich sozialen Zielen verpflichte, werde schließlich enteignet,
       so der Plan, den auch Graf verteidigte. In Berlin bekennt sich lediglich
       die Linke ohne Abstriche zu den Zielen des Volksbegehrens.
       
       Rouzbeh Taheri sagte dazu: „Ich habe ein Problem damit, dass man unsere
       Initiative benutzt, um eine solche Einteilung einzuführen“, womit er den
       grünen Mietenschutzschirm meinte. Ziel des Volksbegehrens sei es, große
       Player aus dem Markt zu nehmen, die sich aufgrund ihrer Übermacht kaum
       regulieren ließen. Man stelle erstmals die Eigentumsfrage von unten. Das
       sei zwar gewissermaßen revolutionär, aber man beziehe sich ja ausdrücklich
       auf das Grundgesetz. Deswegen sei es in den vergangenen Wochen schon
       komisch gewesen, dass man im Wahlkampf das Grundgesetz gegen CDU und FDP
       habe verteidigen müssen, so Taheri.
       
       Was allerdings werde man tun, falls die in den Umfragen führende
       SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey, Volksbegehren hin, direkte
       Demokratie her, einen erfolgreichen Entscheid ignorieren würde? Man werde
       sich festbeißen, bekräftigte Taheri, sich weder mit Zeitschinderei noch
       absichtlich schlechten Gesetzesentwürfen abspeisen lassen: „Wir kennen die
       Tricks mittlerweile. Ein Terrier ist nichts gegen uns.“
       
       21 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Enteignungs-Volksentscheid-in-Berlin/!vn5797383
   DIR [2] https://www.rbb24.de/politik/wahl/volksentscheid-wohnen/beitraege/berlintrend-enteignungs-volksentscheid-mietkauf-modelle-klimaschutz.html
   DIR [3] /Berlin-kauft-knapp-15000-Wohnungen/!5799502
   DIR [4] /Mietenschutzschirm-der-Gruenen/!5786041
       
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   DIR Gareth Joswig
       
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