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       # taz.de -- Neues Album von The Bug: Ready für die Überwältigung
       
       > Auf „Fire“ stellt The Bug erneut die Ungerechtigkeiten der Welt in Frage.
       > Dies tut er mit musikalischer Pyromanie und Gedankenbomben.
       
   IMG Bild: Kevin Martin alias The Bug fungiert als Produzent, DJ und Selector
       
       „Mein größter Einfluss: regelmäßig mitansehen zu müssen, wie mein Vater
       meine Mutter verprügelt hat“, hat Kevin Martin auf die Frage nach
       musikalischen Schlüsselerlebnissen geantwortet. Mit dieser Erfahrung „kann
       man nicht aufhören, die Ungerechtigkeiten in der Welt infrage zu stellen“.
       
       Kevin Martin hört auch auf [1][„Fire“ nicht auf, dem neuen Album von The
       Bug]. Nach 30 Jahren Musik ist der inzwischen in Brüssel lebende Brite noch
       immer on fire und bleibt dem sprechenden Namen seines Projekts
       verpflichtet. Bug ist die Wanze im Computer, to bug heißt: auf die Nerven
       gehen. Also geht uns Kevin Martin weiter auf die Nerven mit seiner
       Störgeräuschmusik, die Ungerechtigkeiten sind ja nicht weniger geworden.
       
       Seit 1997 lässt er bei The Bug Stile aufeinander prallen, die gemeinhin als
       unvereinbar gelten. Er beruft sich auf den Befreiungsjazz von Pharoah
       Sanders, auf den Götterdämmerungsnoise der Swans und den Wall Of Sound von
       My Bloody Valentine. Vor allem aber ist er Kind der britisch-karibischen
       Soundsystem-Kultur.
       
       Martins Hardcore-Kontinuum reicht von Jah Shaka, seit Langem in London eine
       Autorität in Dub und Reggae, bis zu Equiknoxx, dem jamaikanischen
       Produktionskollektiv, das seit ein paar Jahren die Bassmusik entgrenzt.
       Zwischen Jah Shaka und Equiknoxx liegen alle möglichen Spielarten von
       Jungle, Ragga, Dubstep, Grime, Berliner Dub-Techno, all das hat Kevin
       Martin inhaliert und inkorporiert zu seinem Bug-Sound, eine Klangsignatur,
       so unverwechselbar wie einst die Sirenen der Bomb Squad für Public Enemy
       oder der Dub Noir aus dem Hause Wordsound/Crooklyn.
       
       ## Überwältigungsästhetik mit Schwarzen Gaststimmen
       
       Auf „Fire“ greift The Bug wieder zurück auf seine bewährte
       Überwältigungsästhetik, was die Frage aufwirft: Willst du überwältigt
       werden, wenn ja wie oft und wie doll? Wieder fungiert Martin als Produzent,
       DJ und Selector und rekrutiert überwiegend Schwarze Gaststimmen.
       
       Mit gedämpfter Wut erinnert der Dub-Poet Roger Robinson an „eine der
       größten Tragödien der britischen Gesellschaft“, so Kevin Martin über den
       Feuertod von 72 Menschen im Londoner Grenfell Tower 2017, begünstigt durch
       massives Behördenversagen. Neben Robinson dominieren die Respekt
       gebietenden, wenn nicht Angst (vorm Schwarzen Mann) einflößenden Stimmen
       von Nazamba, Daddy Freddy und Martins Langzeitpartner Flowdan.
       
       Mit einem Ganja-Loblied und der vertrauten
       Babylon-muss-fallen-Revolutions-Rhetorik signalisieren sie sonische
       Militanz. Sonische Militanz repräsentiert auch die auffälligste Gaststimme:
       Moor Mother, die afroamerikanische Künstlerin, die auf ihrem gefeierten
       Album „Black Encyclopedia of the Air“ ähnlichen
       Gegen-das-Unrecht-dieser-Welt-Spirit verströmt wie „Fire“. Mit Moor Mother
       hat Martin schon Konzerte absolviert.
       
       „Wir haben eine gemeinsame Vorliebe für musikalische Pyromanie, verbale
       Intensität und das Abwerfen von Gedankenbomben.“ Neben diesen Vorlieben
       teilen The Bug und Moor Mother den Glauben an die subversive Kraft von
       Schutt-und-Asche-Sounds, Lautstärke, Tiraden, schweren Zeichen, den
       Klangboten von Klaustrophobie und Paranoia, kurz, den Glauben an das
       Inventar einer sonischen Militanz, die uns in ständige Alarmbereitschaft
       versetzt, stets ready für die Überwältigung.
       
       Eine Überwältigung, die in einem Basstempel in tiefer Nacht bei einem
       DJ-Set von The Bug so was von – Entschuldigung: geil überwältigend sein
       kann. Eine Überwältigung aber auch, die auf Tonträger Gefahr läuft, zur
       Instantmilitanz zu regredieren, einem rasenden Stillstand, einer abstrakten
       Radikalität, die überwältigend auf die Nerven gehen kann. Was ja dem
       Konzept The Bug innewohnt.
       
       28 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Walter
       
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