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       # taz.de -- Umgang mit Coronaleugner_innen: Es hätte nie so weit kommen dürfen
       
       > Die Gewaltbereitschaft von Corona-Leugner_innen ist kein Geheimnis.
       > Trotzdem begegnen ihnen manche Politiker_innen weiter mit Empathie.
       
   IMG Bild: „Querdenker“ Thomas Brauner und Armin Laschet bei einer Wahlkampfveranstaltung
       
       Neulich saß ich mit [1][einem Corona-Leugner] an einem Tisch. Es war ein
       gemeinsames Abendbrot im Rahmen einer Literaturveranstaltung, an der großen
       Tafel saß er als Begleitung einer Autorin neben mir, und in diesem Moment
       war mir noch gar nicht bewusst, mit wem ich es zu tun habe. Vielleicht
       hatte ich eine leise Ahnung, aber ich befand mich noch im Prozess, mein
       eigenes Bauchgefühl zu unterdrücken und mir einzureden, paranoid zu sein.
       
       Suchen meine Freund_innen bei mir Rat, so neige ich immer zu einem Plädoyer
       auf die Intuition. Sie sollen sich bloß von niemaus erzählen lassen, ihre
       Wahrnehmung sei gestört. Trotzdem gaslightet uns die Gesellschaft
       alltäglich, etwa indem sie faschistoide Dynamiken, Verhaltensweisen oder
       Aussagen verharmlost oder normalisiert. Ich kenne diese Mechanismen, und
       trotzdem erwischte ich mich dabei, wie ich mir die Skepsis gegenüber diesem
       Typen ausgeredet habe.
       
       Stundenlang mit demonstrativ unter die Nase gezogener Maske im Innenraum zu
       hocken macht eigentlich schon ziemlich verdächtig. Für cis Typen, bei denen
       oft unklar ist, ob sie nur dumm tun oder es wirklich sind, ist dieser Style
       zwar auffällig populär – das Manspreading in Zeiten der Pandemie, wie es so
       schön heißt –, aber macht das allein Menschen zu
       Verschwörungstheoretiker_innen? Es könnten schließlich auch nur
       rücksichtslose Arschlöcher sein? Ich überlegte. Der Mann ist Mediziner. Er
       sollte eigentlich wissen, dass das Atmen durch Nase und Mund funktioniert –
       und somit auch aus beiden Öffnungen Aerosole ausgestoßen werden.
       
       Dann die Tischgespräche. Tipps, wie maus auf Zugfahrten durch das Verweilen
       im Bordbistro um das Tragen einer Maske käme. Warum sollte es in meinem
       Interesse sein, im überfüllten ICE ungeschützt rumzusitzen, dachte ich beim
       Zuhören. Und bei seinem Nörgeln darüber, wie anstrengend das Maskentragen
       generell sei, dachte ich nur: Was für eine nervige Memme.
       
       ## Die Warnungen waren sehr früh sehr laut
       
       Auf der Heimfahrt dann die Auflösung: Er ist nicht nur irgendein
       Corona-Leugner, sondern auch noch ein hoher Funktionär der MFG (mit
       freundlichen Grüßen hat diese Partei leider nichts zu tun, sie ist das
       österreichische Pendant zu „Die Basis“). Warum schockierte mich die Info,
       wenn ich ohnehin geahnt hatte, dass er aus diesem politischen Spektrum
       stammen könnte?
       
       Einerseits hatte ich – naiverweise – nicht damit gerechnet, einem
       verschwörungsideologischen Hardliner auf so einem Kultur-Event zu begegnen
       beziehungsweise hatte ich mir die Wahrscheinlichkeit dafür kleiner
       ausgerechnet, weil maus sich das Leben irgendwie aushaltbar machen muss.
       Andererseits steckt in dieser Anekdote eine größere Symptomatik über den
       Umgang mit Corona-Leugner_innen.
       
       Die Warnungen über die Querfront waren sehr früh sehr laut. Die
       Gewaltbereitschaft von Corona-Leugner_innen war kein Geheimnis. Wer sie auf
       eine Maskenpflicht hingewiesen hat, kassierte oft aggressive Reaktionen.
       Weitere Eskalationen häuften sich: Von Angriffen auf Journalist_innen über
       Anschläge auf Impf- und Testzentren bis hin zum Mord an dem
       Tankstellenmitarbeiter Alexander W. in Idar-Oberstein steigerte sich das
       Ausmaß in den letzten gut 1,5 Jahren kontinuierlich.
       
       Anstatt sich zu fragen, wozu eine Gruppe, die Feindeslisten anfertigt und
       in den Bundestag stürmt, noch so fähig ist, [2][setzen rechtsaußenoffene
       Politiker_innen] noch immer auf die Empathieschiene. So auch der
       CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, der in seinem am Montag erschienen
       Wahlkampfspot unter anderem mit dem [3][Coronaleugner Thomas Brauner
       schnackt]. Selbst nach Bekanntgabe des Anschlags von Idar-Oberstein bleibt
       das Video online. In einschlägigen Chat-Gruppen gibt es für die Tat Lob und
       Verständnis. Selbst für die Union, die trotz des rechtsterroristischen
       Mordes an ihrem Parteikollegen Walter Lübcke vor einem „Linksrutsch“ warnt,
       ist diese Anbiederung niederträchtig.
       
       Auf das Bauchgefühl zu hören und trotz Einschüchterung zu intervenieren
       erfordert Mut – den hat Alexander W. am Wochenende bewiesen und musste mit
       seinem Leben bezahlen. Es hätte nie so weit kommen dürfen. Durch ihr
       Appeasement gegenüber Rechten trägt auch die Union Verantwortung – vor
       allem dafür, dass sich eine solche Gräueltat nicht wiederholt.
       
       24 Sep 2021
       
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