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       # taz.de -- „Wie in einem Märchenwald“
       
       > Wenn Passanten nachts durch den Park van Morgen in Rotterdam spazieren,
       > gehen kleine Lichter an. Die Pflanzen selbst erzeugen den Strom. Die
       > Gestalterin des Parks, Ermi van Oers, will mit Design die
       > Vorstellungskraft der Menschen anregen
       
   IMG Bild: Grafik: taz, Quelle: Nova Innova
       
       Interview Sara Piazza
       
       Nach einem Abendessen im Garten des Start-up-Campus Keilewerf am Hafen von
       Rotterdam machen wir uns gegen 22 Uhr auf den Weg zum Park van Morgen. Der
       Park ist eines der gemeinsam mit der Firma Plant-e konzipierten Projekte
       von Ermi van Oers, Designerin der „Living Light“, einer Lampe, die ihre
       Energie aus dem Photosyntheseprozess einer Pflanze zieht. Ein Holzsteg
       führt die Besucher durch den weltweit ersten Park, in dem die
       Nachtbeleuchtung aus den dort wachsenden Pflanzen erzeugt wird. Auf einer
       Bank ist auf der Rückenlehne ein Spruch eingeschnitzt: „Die Natur hat es
       nicht eilig, und trotzdem wird alles fertig.“ Finanziert wurde das Projekt
       von der Stadt Rotterdam. 
       
       taz am wochenende: Frau van Oers, die von Ihnen entwickelte Lampe „Living
       Light“ leuchtet nur, wenn man die zugehörige Pflanze berührt. Wie gehen die
       Lichter im Park van Morgen an? 
       
       Ermi van Oers: Obwohl die Technologie für die Stromerzeugung dieselbe ist,
       funktioniert sie im Park anders. Hier reagieren die Pflanzen auf unsere
       Anwesenheit, durch kinetische Energie. Wenn wir auf dem Steg laufen,
       registriert die Technologie die Vibrationen und schickt den Impuls an die
       mikrobielle Brennstoffzelle, die die Stromerzeugung ermöglicht. Wenn man
       vorbeiläuft, gehen kleine Lichter zwischen den Pflanzen an. Fast wie in
       einem Märchenwald. Man fühlt sich mit der Umgebung verbunden, weil sie auf
       uns reagiert.
       
       Wird es danach wieder dunkel? 
       
       Ja. Es ist sowieso viel besser, öffentliche Orte nur dann zu beleuchten,
       wenn wir es wirklich brauchen, auch für die Biodiversität. Insekten und
       Tiere werden so nicht von starkem, konstantem Licht gestört. Und um uns
       sicher zu fühlen, brauchen wir eigentlich nur wenig Licht. Tagsüber sieht
       man im Park nichts von dem ganzen System, und nachts erwacht dann alles zum
       Leben.
       
       Wie aufwendig ist es, so eine Technologie zu entwerfen? 
       
       Als wir mit der Entwicklung angefangen haben, war es alles andere als
       einfach. Vieles lief schief, wir mussten wieder von vorne anfangen. Es
       dauerte viel länger, als wir uns gewünscht hatten. Was aber wirklich schön
       ist an dieser Technologie: Sie kann nicht kaputtgehen. Das bedeutet
       allerdings nicht, dass sie immer funktioniert.
       
       Welche Schwierigkeiten können auftreten? 
       
       Im Winter, wenn das Wasser im Boden komplett gefroren ist, erstarren auch
       die Mikroben. Allerdings sterben sie nicht, sie werden nur sehr langsam,
       ihr Zustand ist dann vergleichbar mit einem Winterschlaf. Wenn die
       Temperatur steigt, werden sie wieder aktiv. Die Technologie repariert sich
       selbst konstant, genau wie die Natur es tut. Es ist kein Gerät, das
       kaputtgehen kann, weggeworfen und wieder neu eingebaut wird. Wenn wir diese
       mikrobielle Brennstoffzelle in den Boden pflanzen, bleibt sie ein Leben
       lang. Und sie ist nicht von anderen Ressourcen wie Sonne oder Wind
       abhängig. Die Tatsache, dass sie nicht immer funktioniert, finde ich auch
       irgendwie poetisch: Warum müssen wir Menschen uns immer als Chef
       aufspielen? Wir sollten verstehen, dass wir die Dinge auch pflegen und uns
       darum kümmern müssen, damit sie funktionieren.
       
       Wie unterscheiden sich der Park van Morgen und die Lampe Living Light
       voneinander? 
       
       Im Vergleich zur Living Light gibt es im Park viel mehr mikrobielle
       Brennstoffzellen, viel mehr Pflanzen und damit viel mehr Energie. Wenn eine
       Zelle nicht funktioniert, gibt es viele andere, die es tun, sie kooperieren
       miteinander. Im Park kann man kontinuierlich Energie aufladen und dadurch
       immer Strom haben, wenn man ihn braucht. Die Living Light ist weniger
       stabil, weil sie ja nur eine mikrobielle Brennstoffzelle hat. Aber in
       beiden Fällen hat diese Technologie sehr viel Potenzial, sie ist nur noch
       nicht bekannt genug. Die Wissenschaftler haben jetzt über zehn Jahre daran
       gearbeitet, und erst seit den letzten vier Jahren haben immer mehr Leute
       davon erfahren.
       
       Wie wichtig ist in diesem Prozess das Design? 
       
       Wir wollen zwar nachhaltig handeln, tun es aber oft nicht, weil wir keine
       sinnvolleren Alternativen kennen. Design kann genau da ansetzen und etwas
       interessanter, attraktiver, nützlicher und funktioneller machen. Warum
       sollten wir uns eine neue Lampe anschaffen, die wir gießen müssen, die so
       empfindlich ist und viel Pflege braucht? Aus diesem Grund haben wir sie so
       schön gestaltet, fast wie ein Kunstwerk, sie wirft Schatten in den Raum.
       Wir können mit Design die Vorstellungskraft der Menschen anregen für das,
       was mit der Technologie möglich ist. Deswegen ist Design für mich so
       wichtig. Zugleich denke ich, dass es entscheidend ist, nicht nur den
       künstlerischen Aspekt zu sehen, sondern auch den Nutzen. Es ist wichtig,
       den Leuten sagen zu können: Hier ist das konkrete Beispiel, und es kann
       dein Zimmer beleuchten! Wenn die Technologie nur im Labor bleibt, wird sie
       niemanden dazu inspirieren, etwas mit ihr zu tun.
       
       Wie war es, als Sie sich zum ersten Mal aus dem Labor herauswagten? 
       
       Als ich meinen allerersten Prototyp der Living Light vorgestellt habe,
       hatte ich keine Ahnung, wie er ankommt. Und dann sah ich die Menschen, sie
       berührten die Pflanze und blieben mit offenem Mund stehen, sie konnten es
       nicht fassen. Für mich war das das größte Kompliment. Sie verstanden es
       sofort, und ich musste nicht mal einen Begleittext schreiben.
       
       Realistisch betrachtet: Wo sehen Sie diese Technologie in 30 Jahren? 
       
       Mein Traum ist, dass wir Designer und Wissenschaftler irgendwann gar nicht
       mehr nötig sind, dass diese Technologie etwas völlig Normales ist, das in
       jede Pflanze eingebaut ist. Und unsere Urenkel uns erstaunt fragen werden:
       Was? Hattet ihr damals keinen Strom aus Pflanzen?
       
       2 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sara Piazza
       
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