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       # taz.de -- KPÖ siegt bei Gemeinderatswahl: Graz hört die Signale
       
       > In Österreichs zweitgrößter Stadt könnte bald eine Kommunistin im Rathaus
       > sitzen. Die KPÖ macht dort seit Jahren bodenständige Sozialpolitik.
       
   IMG Bild: KPÖ-Spitzenkandidatin Elke Kahr (links) bei der Wahlparty am Sonntag
       
       Wien taz | Österreichs zweitgrößte Stadt wird demnächst wahrscheinlich eine
       kommunistische Bürgermeisterin bekommen. Nach dem Erdrutschsieg der KPÖ in
       der steirischen Landeshauptstadt am Sonntag ist der [1][seit mehr als 18
       Jahren regierende Bürgermeister] [2][Siegfried Nagl (ÖVP)] noch in der
       Wahlnacht zurückgetreten. Seine Partei ist mehr als zwölf Prozentpunkte auf
       unter 26 Prozent abgesackt, während sich die KPÖ von 20 auf fast 29 Prozent
       zum ersten Platz katapultierte. Die bisherige Verkehrsstadträtin Elke Kahr
       kann sich eine linke Mehrheit aus Grünen (17,3 Prozent) und SPÖ (knapp
       unter zehn Prozent) suchen.
       
       Während im Grazer Volkshaus bei der Wahlparty der KPÖ begeistert die
       Internationale angestimmt wurde, herrschte bei der ÖVP
       Weltuntergangsstimmung. Auch der bisherige Koalitionspartner, die
       ultrarechte FPÖ, die mit völkischen Plakaten Stimmung gemacht hatte, fand
       sich abgestraft und verlor mit 10,9 Prozent fast ein Drittel ihrer Wähler
       von 2017.
       
       Katerstimmung war auch bei der SPÖ zu verzeichnen, die mit 9,6 Prozent ihr
       miserables Ergebnis vom letzten Mal noch um einen halben Prozentpunkt
       unterschritt und wahrscheinlich ihren Sitz im Stadtsenat verliert. Feiern
       konnten hingegen die von der ehemaligen Nationalratsabgeordneten Judith
       Schwentner angeführten Grünen, die um fast sieben Punkte zulegten. An ihnen
       wird es liegen, ob Elke Kahr die erforderliche Mehrheit im Gemeinderat
       bekommt. In einer ersten Reaktion auf das Wahlergebnis wollte sich
       Schwentner nicht festlegen.
       
       Graz war einst eine Hochburg der illegalen Nazis und wurde in der NS-Zeit
       als „Stadt der Volkserhebung“ geadelt. Auch in jüngerer Zeit schlug das
       Herz der Grazerinnen und Grazer eher rechts. Zehn Jahre lang regierte mit
       Bürgermeister Alexander Götz (1973 bis 1983) ein FPÖler als Bürgermeister.
       
       ## Nicht ganz unerwartet
       
       Dennoch kommt der Triumph der Rathauslinken für alle, die Graz kennen,
       nicht ganz unerwartet. Die KPÖ betreibt dort seit mehr als zwei Jahrzehnten
       bodenständige Sozialpolitik. Wohnbaustadtrat Ernest Kaltenegger hatte schon
       in den 1990er Jahren nicht nur einen Mieternotruf eingeführt und
       höchstpersönlich Mieterberatung betrieben. Er zahlte auch den größten Teil
       seines Gehalts in einen Sozialfonds ein, aus dem die Grazer KPÖ in sozialen
       Notfällen unbürokratisch helfen konnte.
       
       Als Kaltenegger in die Landespolitik wechselte, setzte seine Nachfolgerin
       Elke Kahr diese Politik fort. In ihrem Büro steht zwar eine Lenin-Büste,
       doch den Klassenkampf führt sie niederschwellig und mit hoher persönlicher
       Glaubwürdigkeit. Das haben die Wählerinnen und Wähler jetzt honoriert.
       
       Keine Rolle spielt die KPÖ in Oberösterreich, wo gleichzeitig
       Landtagswahlen stattfanden. Erwartungsgemäß setzte sich die ÖVP von
       Landeshauptmann Thomas Stelzer wieder durch. Allerdings fiel der Zugewinn
       mit 1,3 Prozentpunkten auf 37,6 Prozent bescheidener als erwartet aus.
       Koalitionspartner FPÖ verlor nämlich mehr als ein Drittel seiner
       Wählerschaft und stürzte von 30,4 auf 19,8 Prozent ab.
       
       Das Gros der frei gewordenen Stimmen schöpfte die neue Partei Menschen,
       Freiheit, Grundrechte (MFG) ab, die erfolgreich gegen
       Corona-Einschränkungen und Impfungen Wahlkampf betrieben hatte. Die SPÖ
       stagnierte auf ihrem niedrigen Niveau (18,6 Prozent), die Grünen legten
       zwei Prozentpunkte zu und kamen auf 12,3 Prozent. ÖVP-Mann Stelzer, der aus
       drei möglichen Partnern wählen kann, wird voraussichtlich sein
       Arbeitsübereinkommen mit der FPÖ fortsetzen.
       
       27 Sep 2021
       
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