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       # taz.de -- Kritik an Schriftstellerin Sally Rooney: Literarischer Boykott
       
       > Autorin Sally Rooney ist bei Millennials ein Star. Nun lehnte sie die
       > Anfrage eines israelischen Verlags ab, ihr Buch ins Hebräische zu
       > übersetzen.
       
   IMG Bild: Sally Rooney hat aus ihrer politischen Haltung zu Israel nie ein Geheimnis gemacht
       
       Für viele ist Sally Rooney ein Star. Die 30-jährige Autorin aus Irland, die
       sich selbst als Marxistin bezeichnet, schafft es, mit ihren
       lebensweltlichen Geschichten Millionen Menschen zu erreichen. Ihre ersten
       beiden Romane, „Gespräche mit Freunden“ und „Normale Menschen“, waren
       weltweite Bestseller und wurden in 46 Sprachen übersetzt. Das neue Buch
       „[1][Schöne Welt, wo bist du]“ erschien vor Kurzem und war in den ersten
       Tagen in vielen deutschen Buchläden vergriffen. Egal ob Rooney ein neues
       Buch veröffentlicht, eine Serie erscheint oder sie ein Interview gibt –
       Fans stürzen sich darauf. Doch seit Montag scheint Rooney eine große Menge
       an Anhänger:innen verloren zu haben.
       
       Was war passiert? Verschiedene Medien berichteten, dass Rooney eine
       Veröffentlichung ihres neuen Romans auf Hebräisch ablehnte. Von einem
       Übersetzungsverbot war die Rede. Sie bezogen sich dabei auf einen Bericht
       der israelischen Zeitung Ha’aretz, in dem der Verlag Modan Publishing
       House, der ihre ersten beiden Romane in Israel auf den Markt brachte, die
       Nachricht bestätigte. Weiter hieß es darin: Rooney unterstütze den Boykott
       israelischer Kultur aus Solidarität mit Palästina und wolle den Roman
       deswegen nicht auf Hebräisch veröffentlichen.
       
       Rooneys Romane sind intimer Lifestyle-Marxismus: Intelligente junge
       Menschen sinnieren über das Leben im 21. Jahrhundert. Es geht um Liebe, Sex
       und Einsamkeit. Die Protagonist:innen fühlen sich immer ein bisschen
       verloren und geben unter anderem dem Kapitalismus die Schuld daran.
       
       Rooney ist für die Generation Y-Z nicht nur Literaturtalent, sondern die
       gefundene Stimme ihrer selbst. Was aber, wenn ebendiese Stimme eine Haltung
       zeigt, mit der man politisch nicht übereinstimmt? Man reagiert enttäuscht
       bis wütend. Rooneys Entscheidung ist in Deutschland das Topthema auf
       Twitter, viele Leser:innen distanzieren sich von der Autorin.
       
       Dabei kommt es nicht überraschend. Rooney hat aus ihrer politischen Haltung
       zu Israel nie ein Geheimnis gemacht. Im Juli unterzeichnete sie kurz nach
       der militärischen Eskalation im Gazastreifen zusammen mit Tausenden
       Künstler:innen einen offenen Brief, der Israel der „Apartheid“
       beschuldigt. Rooney unterstützt außerdem die BDS-Bewegung, eine
       transnationale Boykottkampagne, mit der Israel unter Druck gesetzt und
       isoliert werden soll.
       
       Auch in ihren Büchern taucht die Thematik immer wieder auf. Rooneys
       Charaktere sind links und gehen in „Normale Menschen“ auch gern mal auf
       eine Anti-Israel-Demo während des Gazakriegs 2014. In ihrem Debut behauptet
       die Protagonistin Bobbi, dass es in Beziehungen stets um Macht gehe, aber
       die Leute sich immer nur für „Nettigkeit“ interessierten.
       
       ## War das deutsche Feuilleton geblendet?
       
       Sie sagt: „I mean this is an issue in public discourse. We end up asking
       like, is Israel 'nicer’ than Palestine.“ (dt.: „Ich meine, das ist ein
       Problem des öffentlichen Diskurses. Am Ende des Tages fragen wir, ob Israel
       ‚netter‘ ist als Palästina.“) Rooneys Bücher sind eher abstrakt, nicht
       dezidiert politisch – deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass Passagen
       wie diese in den Dialogen ihrer Charaktere vorkommen.
       
       Die auflagestärksten deutschen Medien schwärmten in der Vergangenheit von
       der Autorin und rätselten über den Rooney-Hype. Einig sind sich alle darin,
       dass sie es schafft, dem Gewöhnlichen die Banalität zu nehmen, indem sie
       die Leser:innen ungewöhnlich nah in die Gedankenwelt der Charaktere
       eintauchen lässt. War das deutsche Feuilleton etwa geblendet von Rooneys
       sprachlicher Leichtigkeit, die die politische Schwere übertünchte? Warum
       wurde in den Dutzenden Berichten und Interviews nie auf ihre Haltung zu
       Israel eingegangen?
       
       Nun macht die Kritik am Staat Israel allein noch keinen Menschen zur
       Antisemitin und auch eine Autorin wie Sally Rooney hat das Recht, ihre
       Meinung öffentlich zu kundzutun. Doch insbesondere in Zeiten, in denen der
       Hass gegen Juden und Jüdinnen immer häufiger öffentlich zu Tage getragen
       wird, wäre der Ausschluss der hebräischsprachigen Leser:innenschaft ein
       starkes antisemitisches Zeichen.
       
       Es wäre eine Form des Ausschlusses, der in der Kultur nichts zu suchen hat.
       Erst letzte Woche wurde der jüdische Musiker Gil Ofarim in einem Leipziger
       Hotel antisemitisch angefeindet. Fast genau [2][zwei Jahre nach dem
       antisemitisch motivierten Terroranschlag in Halle].
       
       ## Rooneys Entscheidung ist ein Doppelstandard
       
       Nachdem die Aufregung vor allem in den sozialen Medien am Dienstag
       hochkochte, äußerte sich Rooney selbst zu den Vorwürfen. [3][In einem
       Statement, aus dem der Guardian zitiert], sagt sie, sie sei „sehr stolz“
       darauf, ihre bisherigen Romane auf Hebräisch veröffentlicht zu haben. Aus
       Solidarität mit der BDS-Bewegung habe sie jedoch entschieden, die
       Übersetzungsrechte für ihr aktuelles Buch nicht an einen israelischen
       Verlag zu verkaufen. Sie fühle sich nicht wohl, mit einer israelischen
       Firma zusammenzuarbeiten, die sich nicht öffentlich von der Apartheid
       distanziere.
       
       Rooney lehnt also nicht, wie es anfangs verbreitet wurde, generell die
       Übersetzung des neuen Buchs ins Hebräische ab. Ihre Entscheidung gegen eine
       Kooperation mit einem israelischen Verlagshaus gilt es dennoch zu
       verurteilen. Denn solange sich nicht ein Verlag außerhalb Israels findet,
       der das Buch auf Hebräisch verlegt, bleibt ihre Entscheidung ein
       ausschließendes Moment für viele Juden und Jüdinnen, denen ein Kulturgut
       bewusst verweigert werden soll.
       
       Sichtbar wird in Rooneys Entscheidung also ein Doppelstandard. Bislang ist
       von keinem anderen Land, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden,
       die Rede, in dem ihr dritter Roman lieber nicht veröffentlicht werden soll.
       Rooneys Entscheidung ist deswegen anti-israelisch und kein politisches
       Mittel im Kampf für eine gerechtere Welt – die sich doch auch ihre
       Protagonist:innen stets wünschen.
       
       12 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Roman-Schoene-Welt-wo-bist-du/!5796031
   DIR [2] /Antisemitischer-Anschlag-von-Halle/!5803902
   DIR [3] https://www.theguardian.com/books/2021/oct/12/sally-rooney-beautiful-world-where-are-you-israeli-publisher-hebrew
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nele Sophie Karsten
       
       ## TAGS
       
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