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       # taz.de -- Publikum im Profifußball in der Pandemie: Vollkommen oder voll daneben?
       
       > Vereine und Fans sind uneins, ob ungeimpft Getestete in die Stadien
       > gelassen werden sollen. Manche fühlen sich von der Politik
       > instrumentalisiert.
       
   IMG Bild: Wieder in nächster Nähe: Gladbach-Fans bei ihrer Unterstützungsarbeit am vergangenen Spieltag
       
       Der Trend im deutschen Profifußball geht mancherorts wieder stark zum
       vollen Stadion. In Nordrhein-Westfallen etwa, dem Bundesland mit den
       meisten Erst- und Zweitligisten, hat man am Donnerstag wegen sinkender
       Inzidenzzahlen eine neue Coronaschutzverordnung erlassen, die schon für
       dieses Bundesligawochenende sehr auflockernd wirkt.
       
       Theoretisch könnte Borussia Dortmund sein Heimspiel gegen Augsburg schon
       vor etwa 67.000 statt bislang 25.000 Zuschauern austragen. Die Zeit ist nur
       etwas zu knapp, um das zu organisieren. Zweitligist Werder Bremen rechnet
       für das Freitagabendspiel gegen Heidenheim mit 30.000 Zuschauern und könnte
       nach neuester Bremer Gesetzeslage sogar alle 42.300 Plätze besetzen. Und
       auch in Hamburg soll es bald die vollen Kartenkontingente geben.
       
       Andernorts erlauben die lokalen Coronaverordnungen den freizügigen Verkauf
       von Eintrittskarten dagegen nicht. Selbst für die großen Stadien in
       Stuttgart, München und Berlin gilt nach wie vor die Maximalauslastung von
       25.000 Zuschauern. Allein dieser Umstand der ungleich sprudelnden
       Einnahmequellen könnte die nächsten Wochen für Diskussionsstoff sorgen.
       
       Zudem werden mögliche ökonomische Konfliktlinien von einer derzeit
       zentralen gesellschaftlichen Streitfrage überlagert, die mit den zu
       erwartenden steigenden Corona-Inzidenzzahlen im Herbst vermutlich heftiger
       denn je debattiert wird. Wer darf die Tore zu kulturellen und sportlichen
       Veranstaltungen passieren und wer nicht? [1][Hier deutet sich ein Trend zur
       2G-Regelung an], die in der gebräuchlichsten Version nur vollständig
       Geimpften und Genesenen (nach dem Robert Koch-Institut etwa 70 Prozent der
       Bevölkerung) sowie Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre und medizinischen
       Ausnahmefällen die soziale Teilhabe ermöglicht.
       
       ## „Wir sind eine Sport-Gemeinschaft“
       
       Dieses in deutschen Stadien bislang noch eher zaghaft angewendete Modell
       treibt etliche Anhänger auf die Barrikaden. Die bekannte Dresdner
       Gruppierung Ultras Dynamo ruft etwa alle Fans zum Boykott des
       Auswärtsspiels am Sonntag beim FC St. Pauli auf, der die 2G-Regelung
       umsetzt.In einer Stellungnahme erklärt die Fanvereinigung: „Wir sind eine
       (Sport-)Gemeinschaft, dass heißt: Jedem Dynamofan muss es ermöglicht
       werden, egal ob geimpft, genesen oder getestet, seine Mannschaft
       unterstützen zu können.“ Auch die Dortmunder Ultras haben in den letzten
       Wochen ihren Unmut gegen die 2G-Regelung im eigenen Stadion demonstriert.
       
       „Das ist eine komplizierte Diskussion“, sagt Thomas Kessen von der
       bundesweiten Fanorganisation Unsere Kurve e. V. Es gebe eine breite
       Meinungspalette und neben Gegnern auch Befürworter der 2G-Regelung in den
       eigenen Reihen. Das Streben als Bündnis mit einer Stimme zu sprechen, habe
       zum kleinsten gemeinsamen Nenner geführt, generell niemandem von einem
       Fußballspiel ausschließen zu wollen. Bei politischen Parteien sei das
       manchmal auch so, dass man trotz interner Differenzen Beschlüsse gemeinsam
       nach außen vertrete.
       
       Dass die Debatte aus dem Ruder laufen und spaltend auf die Fanszene wirken
       könnte, fürchtet er nicht. Kessen erinnert daran, wie vernunftsorientiert
       die Diskussionen bislang geführt worden seien. Stimmen wie man sie von den
       „Querdenkern“ kenne, habe es nicht gegeben. Sollten die doch auftreten,
       setzt Kessen auf die Selbstreinigungskräfte der Kurve.
       
       Breit ist auch das Spektrum der Positionen, welche die Vereine in der Liga
       einnehmen. [2][Bereits zu Saisonbeginn im August entschied sich der 1. FC
       Köln] als erster Klub für die 2G-Regelung, ohne dass es von politischer
       Seite damals schon Anreize gegeben hätte, dafür mehr Zuschauer hineinlassen
       zu dürfen. Geschäftsführer Alexander Wehrle begründete dies mit der
       „Verantwortung für die vielen, vielen FC-Fans und Dauerkarteninhaber, die
       geimpft sind“ und Erwartungen an den Verein hätten, dass das Stadion bald
       wieder komplett ausgefüllt werden kann. Die durchaus nachvollziehbaren
       Erwartungen des Vereins, bald wieder Einnahmen wie vor der Pandemie zu
       erzielen, verschwieg er vornehm.
       
       ## Gift fürs gesellschaftliche Klima
       
       Dagegen erklärte Jan Mayer, der Mitglied der Geschäftsführung der TSG
       Hoffenheim ist: „Wir halten nichts davon, aus 3G schleichend ein 2G zu
       machen. Das wäre eine Impfpflicht durch die Hintertür. Wir sollten uns hier
       nicht für politische Zwecke instrumentalisieren lassen.“ Ihm schweben wohl
       Lockerungen im Rahmen der 3G-Regelung vor, so wie sie das Land
       Nordrhein-Westfalen eben am Donnerstag verabschiedet hat. Sitzplätze dürfen
       ab 1. Oktober dort voll besetzt werden.
       
       Auch Dirk Zingler, Präsident vom 1. FC Union Berlin, steht der 2G-Regelung
       kritisch gegenüber. Im Sommer 2020 schüttelten noch viele über den Verein
       den Kopf, weil die Köpenicker mit einem Konzept vorpreschten, das volle
       Ränge bei einem komplett durchgetesteten Publikum vorsah, obwohl die
       Testkapazitäten im Land noch knapp waren. Vor gut zwei Wochen sprach sich
       Zingler grundsätzlich dagegen aus, Getestete den Stadionbesuch zu
       verwehren. Er halte einen Ausschluss „großer Teile der Bevölkerung vom
       gesellschaftlichen Leben“ für unverhältnismäßig. Dies vergifte das
       gesellschaftliche Klima.
       
       Was die Debatte erheblich verkompliziert, sind die höchst heterogenen
       Verhältnisse jeweils vor Ort. Die von den jeweiligen Bundesländern
       ausgestalteten Coronaschutzverordnungen haben einen recht bunten
       Flickenteppich von Regelwerken entstehen lassen. [3][Das freiwillig
       gewählte 2G-Modell beim 1. FC Köln] wäre in seiner Ausgestaltung etwa nicht
       auf die Berliner Vereine übertragbar, weil die Verordnung in der Hauptstadt
       vorsieht, dass neben den Zuschauern auch die Vereinsmitarbeiter, das
       eingesetzte Personal aller Dienstleister, Behörden, Verbände und des
       Gastvereins geimpft oder genesen sein müssen. Eine Umsetzung dieser
       Vorschriften sei nicht realistisch, heißt es bei Union.
       
       Mehr Engagement, diesem Wirrwarr unterschiedlichster Regelwerke
       entgegenzuwirken, hätte sich Thomas Kessen, Sprecher von Unsere Kurve, von
       der Deutschen Fußball-Liga und dem Deutschen Fußball-Bund gewünscht. Zu
       Beginn der Pandemie seien die Verbände dank ihrer Lobbyarbeit schließlich
       schon erfolgreich gewesen mit ihrem Hygienekonzept und der Weiterführung
       des Spielbetriebs. „Auch jetzt hätten einheitliche Mindeststandards
       festgelegt werden können, mit denen die Vereine auf die jeweils lokalen
       Gesundheitsbehörden hätten zugehen können.“
       
       ## Aufgehalste Probleme
       
       Dass die Eigenwilligkeiten des föderalen deutschen Systems durch die Macht
       des Fußballs überwunden werden könnten, ist womöglich eine recht
       optimistische Annahme. Dort, wo mehr gelockert wird, reagieren die Vereine
       derzeit eher mit untertänigen Grußbotschaften. „Das Vertrauen der
       NRW-Landesregierung freut uns sehr“, erklärte etwa Hans-Joachim Watzke, der
       Geschäftsführer von Borussia Dortmund, am Donnerstag nach dem Erlass der
       gelockerten Coronaschutzverordnung. Unter vorgehaltener Hand wird mitunter
       aber auch kommuniziert, man habe das Gefühl, Probleme aufgehalst zu
       bekommen, die man stellvertretend ausfechten muss, weil sie von politischer
       Seite gerade nicht gelöst werden können.
       
       Es wäre ein Kampf mit hohem Symbolwert angesichts des großen Interesses am
       Profifußball. Ein Vertreter eines Bundesligavereins berichtet, lokale
       Politiker hätten gegenüber dem Klub erklärt, sie hätten Bedenken
       hinsichtlich der 2G-Regelung, weil sie juristisch „nicht sauber“ sei. Für
       die Vereine sei das Modell doch wiederum unbedenklich in der Umsetzung,
       weil sie in ihren Stadien über das Hausrecht verfügten.
       
       An manchen Bundesligastandorten versucht man mit Mischmodellen eine
       friedliche Lösung in der polarisierenden Debatte hinzubekommen. Beim FSV
       Mainz 05 etwa favorisiert man das 2G-Plus-System, das neben Geimpften und
       Genesenen auch eine Mindestzahl von lediglich getesteten Personen in einem
       Extrabereich des Stadions vorsieht.
       
       Gut möglich ist aber, dass bei steigenden Corona-Inzidenzzahlen im Herbst
       und Winter die Vereine zur 2G-Regelung verpflichtet werden. In
       Baden-Württemberg ist beispielsweise bereits jetzt festgeschrieben, dass
       bei einer gewissen Hospitaliserungsinzidenz von an Corona erkrankten
       Menschen das 2G-System dann auch bei Fußballspielen obligatorisch ist.
       
       In Wien hat Bürgermeister Michael Ludwig vor einigen Tagen verkündet, dass
       bei Veranstaltungen mit mehr als 500 Menschen im Oktober der 2G-Nachweis
       erbracht werden muss. Begründet wurde das mit den steigenden
       Coronapatientenzahlen in den Krankenhäusern. Anhänger vom Block West von
       Rapid Wien haben daraufhin erklärt, sie werden in der Zeit das Stadion
       meiden.
       
       Sinnvoll wäre es sicherlich, die unterschiedlichen Einlassmodelle in
       Deutschland wissenschaftlich unter die Lupe zu nehmen, um ihren Einfluss
       auf das Infektionsgeschehen genauer bemessen zu können. In Zeiten der
       personalisierten Tickets ist die Nachverfolgung schließlich kein Problem.
       
       2 Oct 2021
       
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