# taz.de -- Abstiegskampf in der Frauen-Bundesliga: Leiden, Schaffen, Leidenschaften
> Im Abstiegskampf muss man kratzen und beißen, und vor allem von
> Leidenschaft sprechen. Intellekt, Schönheit und Freude sind nur weiter
> oben erlaubt.
IMG Bild: Wer sagt, dass Abstiegskampf nicht auch mit eleganter Technik geht? Lina Hausicke am Ball
Als Lina Hausicke [1][nach dem mühsam errungenen 1:0-Sieg der Bremerinnen
über die SGS Essen] von Mikrofon zu Mikrofon geschoben wurde, hat sie es
auch wieder gesagt, das Wort. Hausicke, Torschützin des 1:0 und damit
Erzielerin aller Bremer Tore (nun zwei) sprach gegenüber der Deutschen
Welle davon, man habe Essen „mit ganz viel Mentalität“ bearbeitet, „den
Kampf angenommen“, und natürlich: Man habe gesehen, „dass wir viel
Leidenschaft haben.“ Das Wort des Abstiegskampfes, das Wort aller
Abstiegskämpfe. Leidenschaft.
Aber was eigentlich soll das schon heißen, dieses Kämpfen und Leiden, die
Leidenschaft? Spielen alle anderen etwa leidenschaftslos, stehen die
Münchnerinnen achselzuckend an der Tabellenspitze? Haben die
Leverkusenerinnen sich nicht in höhere Gefilde, ja, vorgekämpft? Was für
ein absurdes Wort. Es ist nicht so, als hätte Lina Hausicke das Wort
erfunden. In jeder Liga der Welt gibt es eine Zweiteilung: Oben wird mit
dem Verstand gespielt.
Da gibt es Taktiken und Systeme, da gibt es Matchpläne, Schachzüge, Rauten,
da kann man einander auscoachen und sich selbst vercoachen. Wer unten
dagegen von schönem Spiel spricht, wer ein kleines bisschen Intellekt
durchscheinen lässt, wird wahrscheinlich standrechtlich erschossen. Unten
wird gebissen, gekratzt und gekämpft, unten gibt es Mentalität und vor
allem Leidenschaft. Warum eigentlich?
Das Wort Leidenschaft, so weiß das Internet, sei etymologisch ein Lehnwort
des französischen „Passion“, was nicht umsonst sowohl Leiden als auch
Leidenschaft im Sinne der Begeisterung bedeutet. Enthusiasmus, Feuer,
Manie, abgeleitet aber vom Leiden. Und was sich vielleicht ursprünglich mal
an die unerreichbare Liebste richtete, ist eigentlich ja wohl die
Verkörperung des Abstiegskampfes schlechthin: Fans und Spielerinnen leiden,
und aus dem Leiden heraus entfacht man ein Feuer der Begeisterung.
Jedenfalls in der Theorie.
## Spaß wäre eine verdächtige Emotion
Die Werder-Frauen, ein Klub immerhin, dessen Männer-Fanszene gemeinhin als
progressiv gilt, ziehen die wenigsten Fans in der Liga an. Auch in Relation
zum mäßig besuchten Rest ist ein [2][Schnitt von 171 Menschen], wenn der
Kicker nicht lügt, schlicht peinlich. Die Abstiegspassion ist also
erklärbar. Die Wortwahl aber suggeriert, die Teams unten arbeiteten ohne
Strategien, ohne Taktiken, und vor allem: ohne Schönheit. Die Schönheit
steht ja stets im Ruf, verschwenderisch zu sein. Eitel, nichtig. Wenn es um
Titel geht, wird sie eingefordert, wenn es ums Überleben geht, gilt sie als
abkömmlich, ja, hinderlich.
Der Verein in Not ist die Arbeitslose unter den Teams, stets unter
Verdacht, sich nicht genug anzustrengen. Ein Klub, der gegen den Abstieg
ringt, muss geradezu versprechen, nicht schön spielen zu wollen. Er muss
sich in Spiele reinkämpfen, es so richtig ernst meinen, und vor allem darf
er dabei nicht allzu viel Spaß haben. Spaß wäre ja auch eine verdächtige
Emotion. Die Reden von Mentalität und Leidenschaft sind selbst ausgestellte
Arbeitszeugnisse, und nebenbei vorweggenommene Entschuldigungen: Wir
verlieren, aber seht her, wir bemühen uns doch. Wer ständig enttäuscht,
muss permanent betonen, wie sehr er sich anstrengt, mehr als alle anderen
da oben.
## Sie hat „Spielfreude“ gesagt
Der Abstiegskampf hat eine sehr politische Komponente. Die Bremerinnen, die
erstmals in der zweiten Saison hintereinander die Klasse halten möchten
(„die Klasse halten“ ist auch so eine interessante Formel), haben sich mit
dem ersten Saisonsieg nun etwas Luft verschafft. Der Plan ist klar. „Den
Rest der Saison mit viel Leidenschaft und Mentalität auftreten“, sagt
Hausicke. „Aber auch mit Spielfreude, wie man hoffentlich gesehen hat.“
Sie hat tatsächlich Spielfreude gesagt. Und sie möchte, dass man sie sieht.
Das ist doch mal eine gute Nachricht des Spieltags. Denn der Freudentaumel
ist ja offiziell erst später erlaubt: beim Klassenerhalt.
18 Oct 2021
## LINKS
DIR [1] https://www.weser-kurier.de/bremen/sport/frauen-bundesliga-werder-bremen-erkaempft-sich-ersten-saisonsieg-doc7hzeb8w57cyn4nih8w9
DIR [2] https://www.kicker.de/frauen-bundesliga/zuschauer
## AUTOREN
DIR Alina Schwermer
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