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       # taz.de -- Naturkatastrophe auf Insel La Palma: Wenn sich die Lava nähert
       
       > Auf der Kanaren-Insel La Palma droht ein Vulkan Wälder und Gebäude zu
       > vernichten. Goyo Cordobés schaut zu, wie die Zerstörung an sein Haus
       > heranrückt.
       
   IMG Bild: Glühende Lava bahnt sich den Weg durch Plantagen und Siedlungen auf La Palma
       
       Madrid taz | Wann immer ich kann, bin ich bin hier oben auf der
       Dachterrasse“, sagt Goyo Cordobés. Der 56-jährige Familienvater hat ein
       Fernglas dabei. Auf dem Video, das den Korrespondenten in Madrid via
       WhatsApp von der rund zweitausend Kilometer entfernten Insel La Palma
       erreicht, ist zu sehen, wie Cordobés zu dem Bergrücken schaut, dort wo seit
       genau einem Monat der Vulkan Cumbre Vieja wütet. Aus drei großen Öffnungen
       spuckt er unaufhörlich Lava, ein riesiger Berg mit einem Krater ist schon
       entstanden. Mehrere Lavaflüsse haben mittlerweile rund 2.000 Gebäude und
       etwas mehr als 800 Hektar unter sich begraben. Ganze bewaldete Berghänge,
       Ackerland und Dörfer sind verschwunden.
       
       La Palma, ganz im Nordwesten der zu Spanien gehörenden Kanaren gelegen, ist
       die grünste Insel der im Atlantik liegenden Gruppe. Vor dem Vulkanausbruch
       zog „La Isla Bonita“ – die schöne Insel – vor allem Natur- und
       Wanderbegeisterte an. Jetzt muss der Inselflughafen immer wieder wegen der
       Rauch- und Aschewolken geschlossen werden.
       
       Der Lärm der vom Vulkan herüberkommt, ist unerträglich laut. Das Grollen
       und Röhren des Berges wird immer wieder von Explosionen unterbrochen.
       Mehrmals am Tag bebt die Erde. Von der Küste, dort, wo die Lava ins Meer
       fließt, steigen weiße Rauch- und Dampfschwaden auf. Heute hat zumindest der
       Wind gedreht. Die Luft ist sauberer als an anderen Tagen.
       
       „Die nördlichste Lavazunge ist nur noch rund hundert Meter von meinem Haus
       entfernt und dreißig Meter von dem meiner Schwiegermutter“, sagt Cordobés
       und schaut einmal mehr durchs Fernglas dorthin, wo er mit seiner Frau
       dreißig Jahre lang gelebt hat und wo sein Sohn groß geworden ist. „Wir
       wurden am Tag des Ausbruchs, dem 19. September, evakuiert“, fährt der
       Portier eines Privatclubs mit Restaurant und Freizeitanlagen fort. Seine
       Frau ist bei ihrer Schwester untergekommen, der Sohn mit Freundin bei einer
       Schwägerin und er und die ebenfalls evakuierte Schwiegermutter bei seiner
       Schwester Ana Cecilia und deren Mann Pedro Padrón. Auf ihrer Dachterrasse
       in Los Llanos steht er jetzt.
       
       „Das Haus ist unser Lebenswerk“, sagt Cordobés. „Wir haben es nach und nach
       selbst gebaut.“ Zweihundert Quadratmeter Wohnfläche inmitten von 1.500
       Quadratmeter Bananenplantage, mit Schwimmbecken und einer Sitzecke mit
       gemauerten Grill nennt Cordobés sein eigen – „noch“ – wie er immer wieder
       betont. „Acht Jahre Kredit stehen aus“, sagt er. Immerhin würde die
       Versicherung den Schadensfall übernehmen. „Aber mit dem, was sie mir dann
       noch auszahlen, werden wir wohl kaum neu anfangen können, zumal wir ja auch
       das Grundstück verlieren“, fügt er mit gedrückter Stimme hinzu.
       
       Als erste Freunde und Angehörige gleich nach dem Ausbruch ihr ganzes Hab
       und Gut verloren, konnte sich Cordobés nur schwer vorstellen, dass ihn
       dieses Schicksal auch ereilen könnte. „Jetzt muss ich mich wohl an diese
       Idee gewöhnen“, sagt er. Manchmal kämen ihm die Tränen. „Doch als
       Familienvorstand musst du stark bleiben, den anderen Hoffnung machen. Das
       ist die Rolle, die dir zukommt.“
       
       Das letzte Mal war Goyo Cordobés in der vergangenen Woche mit einem
       Passierschein der Behörden drüben im Haus, „ein paar letzte Sachen holen“.
       Auf den Fotos, die er mitgebracht hat, ist überall schwarze Asche zu sehen.
       Sie bedeckt den Boden, Pflanzen, Dächer, die Plane auf dem Schwimmbecken.
       
       ## Mühsame Wege und Bananenstauden ohne Wasser
       
       Sein Schwager Pedro Padrón hat Cordobés bei der Evakuierung geholfen. „Ich
       habe zwei gesunden Arme und ein Pick Up Truck“, sagt er. Padrón unterstützt
       Angehörige und Freunde, ist morgens dort, wo Freiwillige, die Hilfskräfte
       aus Armee, Feuerwehr und Polizei mit Frühstück versorgen. „Ich habe jetzt
       viel Zeit“, erklärt der 53-jährige Bananenbauer. Seine Plantage befindet
       sich in der Sperrzone. Er kann nur noch mit Passierschein dort hin, und das
       höchstens zwei Mal die Woche, zum Bewässern der Pflanzen.
       
       Die Ländereien liegen auf der anderen Seite des Lavafeldes. 15 Minuten
       waren es früher mit dem Auto – vor dem Ausbruch. Jetzt dauert es zwei
       Stunden auf kleinen Landstraßen über die Höhen der Insel, um den Vulkan
       herum. „Ich habe anderthalb Hektar“, erklärt Padrón. Dann benutzt auch er
       dieses Wort – „noch“.
       
       Zwar fließt die Lava derzeit nicht auf seine Grundstücke zu, dennoch hat er
       immense Probleme. Die Bewässerungssysteme sind unterbrochen. Tanklaster und
       mobile Entsalzungsanlagen sollen helfen. Wie lange das gut geht, hängt
       davon ab, wie groß die Fläche wird, die so bewässert werden muss.
       Bananenstauden brauchen viel Wasser.
       
       Mindestens ein Fünftel des Bananenanbaus auf La Palma ist mittlerweile
       direkt von der Lava oder indirekt durch Hitze, Asche oder Wasserprobleme
       vom Vulkanausbruch betroffen. Etwa zehntausend Familien sind direkt vom
       Bananenanbau abhängig. Zu Erntezeiten arbeiten auf den Plantagen mehr als
       dreißig Prozent der Bevölkerung aus den umliegenden Gemeinden.
       
       Die Hauptproduktionszeit lief gerade an, als der Vulkan ausbrach. Die
       150.000 Tonnen Bananen pro Jahr machen 41 Prozent der gesamten
       landwirtschaftlichen Produktion auf La Palma aus.
       
       „Es ist eine Katastrophe ohnegleichen“, sagt Landwirt Padrón, der seinen
       Betrieb gerade auf Ökoanbau umstellte, als die Katastrophe begann. Ohne
       Bananen bleibt nur das Gehalt seiner Frau, die als Briefträgerin arbeitet.
       „Wir brauche dringend Hilfe, damit die Insel nicht im Elend versinkt“, fügt
       er hinzu. Er hofft auf die Regierung in Madrid, aber auch auf die
       Europäische Union und dort vor allem auf Deutschland. „Es leben so viele
       Deutsche hier, da muss Deutschland doch einfach etwas tun“, meint er.
       
       „Das Ganze ist eine Achterbahn der Gefühle. Jeden Tag neue und noch
       schlechtere Nachrichten, dramatische Veränderungen am Vulkan“, sagt Padrón.
       Die angespannte Stimmung wirke sich auch auf seinen Sohn aus. „Ich weiß
       nicht, wie der zehnjähriger Pedro das alles verkraften wird, erst die
       Pandemie, der Lockdown und jetzt das“, sagt der Vater von drei Kindern.
       „Der Kleine schläft seit dem Vulkanausbruch sehr schlecht und dann auch nur
       bei uns im Bett. Ich hoffe, dass das keine dauerhaften Auswirkungen auf
       seine Persönlichkeit und auf seinen schulischen Werdegang hat“, sagt
       Padrón.
       
       Der psychologische Notdienst auf der Insel warnt seit Wochen vor den Folgen
       des Vulkanausbruchs, nicht nur für Kinder, sondern auch für die
       Erwachsenen. Naturereignisse, die für den Menschen nicht kontrollierbar
       sind, würden ganz besonders starke Verunsicherungen auslösen. Die
       Psychologen warnen vor posttraumatischem Stress, vor allem bei den
       Familien, die ihr ganzes Hab und Gut verloren haben. Je länger der Ausbruch
       andauert, je größer auch die psychologischen Spätfolgen.
       
       „Wie lange das noch geht, weiß keiner. Man muss mit Voraussagen sehr
       vorsichtig sein. Die Wissenschaft ist noch nicht so weit, dass wir Dauer
       und Stärke einer Eruption seriös voraussagen können. Wir sind in der Lage,
       einen Ausbruch ziemlich genau vorherzusagen, aber nicht, wann er vorbei
       ist“, erklärt der Vulkanologe Peter Diethelm von der Eidgenössischen
       Technischen Hochschule in Zürich. Er reist zu Vulkanausbrüchen, egal auf
       welchem Kontinent, um Eindrücke, Proben und Daten zu sammeln. Zwei Wochen
       arbeitete er auf der Insel in El Paso, der größten Gemeinde von La Palma,
       die nun direkt an der Grenze zur Sperrzone liegt. „Die Türen und Fenster
       vibrierten die ganze Zeit. Wir mussten Lappen einklemmen, damit wir etwas
       Ruhe hatten, um ein wenig zu schlafen“, erinnert er sich.
       
       ## Ausbruch könnte länger dauern
       
       „Dass das Ganze schnell vorübergeht, wie viele am Anfang hofften, dafür
       gibt es keine Anzeichen, ganz im Gegenteil“, sagt Diethelm. „Das Magma
       kommt aus sehr großer Tiefe, aus rund dreißig Kilometern.“ Dies sei eines
       der Indizien, die dafür sprechen, dass es noch länger dauern wird, bis der
       Vulkan wieder Ruhe gibt. Der Inselboden habe sich um rund 25 Zentimeter
       angehoben. Hinzu kämen die ständigen Erdbeben; insgesamt waren es es bisher
       25.000. Es bestehe die Gefahr, dass immer neue Spalten aufgehen und Lava
       austritt. Damit könnte sich die von Lava betroffene Fläche wesentlich
       vergrößern.
       
       „Allerdings gilt der Vulkan auf La Palma als wenig explosiv. Diese
       sogenannten strombolianischen Vulkane verursachen große Sachschäden, aber
       meist keine Personenschäden“, versucht er der Katastrophe eine positive
       Seite abzugewinnen. Es sei allerdings überraschend, wie viel Lava im
       Vergleich zu früheren Eruptionen bereits jetzt ausgetreten ist.
       
       Vulkanologe Diethelm macht ein Rechenspiel auf: „Wenn wir sie in
       40-Tonner-Lkws abtransportieren wollten, würde der Konvoi eineinhalbmal um
       die Erde reichen. Und wir können nicht abschätzen, wie groß das Reservoir
       dort unten noch ist“, resümiert der Schweizer.
       
       Dem um seinen Besitz bangenden Goyo Cordobés ist klar, dass da noch viel
       auf ihn und die gesamte Inselbevölkerung zukommen kann. Er steht immer noch
       auf der Dachterrasse und schaut hinüber. „Ein Chaos der Gefühle“ überkomme
       ihn dabei, sagt er: „Wenn ich mal für ein paar Minuten meine Sorgen
       verdrängen kann, dann betrachte ich einfach nur dieses großartige
       Naturschauspiel, das es trotz der Tragödie ist“, sagt er mit einer Stimme,
       als schäme er sich dafür. Doch diese Momente dauerten nie lange, dann holt
       ihn die bedrückende Realität wieder ein. „Manchmal hoffe ich auf ein
       Wunder, dann wieder denke ich: Und wenn das Haus verschont bleibt, aber
       rundum von Lava umgeben ist, dann können wir auch nicht hin. Und dann ist
       mir plötzlich alles egal. Soll die Lava doch endlich alles mitnehmen, dann
       ist dieses Martyrium vorbei“, beschreibt Goyo Cordobés seinen
       Seelenzustand, während sein Leben am Fernglas an ihm vorüberzieht.
       
       20 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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