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       # taz.de -- Laschets Nachfolger Hendrik Wüst: Der Unvermeidliche
       
       > Einst wurde Hendrik Wüst als Generalsekretär der CDU in NRW gefeuert.
       > Jetzt soll er Ministerpräsident und Landesparteichef werden.
       
   IMG Bild: Soll Laschet beerben: Hendrik Wüst, bisher Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen
       
       Bochum taz | Nordrhein-Westfalens neuer Ministerpräsident soll Hendrik Wüst
       heißen. Die Christdemokrat:innen an Rhein und Ruhr haben ihren
       Landesverkehrsminister am Dienstagabend zum Nachfolger des
       CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet ausgerufen – offiziell auf Vorschlag
       von Laschet selbst, der im Bundestagswahlkampf erklärt hatte, er gehe „ohne
       Rückfahrkarte“ nach Berlin. Auch als CDU-Landeschef soll Wüst den
       verschwindenden Laschet beerben: Mit dem Amtsbonus als Ministerpräsident
       und Landesparteichef soll der 46-Jährige als Spitzenkandidat in die
       Landtagswahl im kommenden Mai ziehen.
       
       Um wenigstens in Düsseldorf Einigkeit zu demonstrieren, präsentierte der
       [1][nach der Niederlage im Bund angezählte Laschet] im Landtag Hendrik Wüst
       vor seinem gesamten, im Landtagsfoyer versammelten schwarz-gelben Kabinett.
       Denn der Nominierung war ein monatelanges Machtgerangel vorausgegangen:
       Parteiinterne Konkurrent:innen des Juristen aus Rhede im
       Westmünsterland waren Heimat- und Bauministerin Ina Scharrenbach,
       Innenminister Herbert Reul, Finanzminister Lutz Lienenkämper und
       Landtagsfraktionschef Bodo Löttgen.
       
       Wüst aber galt trotzdem als Favorit für die Laschet-Nachfolge. Denn im
       Gegensatz zu Scharrenbach und Reul verfügt der Vorsitzende der
       nordrhein-westfälischen Wirtschaftsunion über ein Landtagsmandat – und das
       ist laut Landesverfassung Voraussetzung für die Wahl zum
       Ministerpräsidenten. Dennoch gab es vor der verlorenen Bundestagswahl
       Planspiele, wie Wüst verhindert werden könnte. Der innenpolitische
       Hardliner Reul machte sich Hoffnung, Landesparteichef zu werden.
       Fraktionschef Löttgen liebäugelte mit einem halbjährigen Intermezzo als
       Übergangs-Ministerpräsident.
       
       Ausgestattet mit einem Sitz im Parlament hätte nach einer gewonnenen Wahl
       im kommenden Mai dann Heimatministerin Scharrenbach, die auch
       Landesvorsitzende der Frauen-Union in NRW ist, in die Düsseldorfer
       Staatskanzlei einziehen können.
       
       ## Ein erstaunliches Comeback
       
       Mit der [2][heftigen Klatsche der Bundestagswahl] aber war der Machtpoker
       vorbei. Den Christdemokraten wurde schlagartig klar, dass ein
       Ämter-Splitting ihre Regierungsfähigkeit in NRW massiv gefährden würde. Bei
       der Bundestagswahl konnte die CDU auch in der Heimat ihres
       Kanzlerkandidaten Laschet nur 26 Prozent einfahren. Die SPD lag mit 29
       Prozent vorn. „Für einen Neuanfang, einen Aufbruch“ stehe Innenminister
       Reul mit seinen 69 Jahren aber „wohl kaum“, argumentierten Wüsts
       Unterstützer:innen. Und Scharrenbach und Löttgen seien viel zu unbekannt.
       
       Vom Tisch waren damit auch Überlegungen, nach denen
       FDP-Vizeministerpräsident Joachim Stamp die Landesregierung bis zum
       kommenden Mai führen könnte. Eine „Idee für Quartals-Irre“ sei das, fanden
       nicht wenige Christdemokraten. In Partei und Fraktion gebe es den Wunsch
       nach einer „Personenidentität“ des Ministerpräsidenten, des
       Landesparteichefs und des Landtagswahl-Spitzenkandidaten, musste
       Fraktionschef Löttgen deshalb schon vor eine Woche nach einer Sitzung des
       CDU-Landesvorstands einräumen. Wüst gilt damit als unvermeidlich, sein Weg
       in die Staatskanzlei scheint frei.
       
       Wüst, einstiger Landesvorsitzender der Jungen Union, legt damit ein ganz
       erstaunliches Comeback hin. Schließlich schien seine Karriere schon 2010 am
       Ende. Als Generalsekretär der NRW-CDU hatte er versucht, Gespräche mit dem
       damaligen CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers an zahlungskräftige
       Unternehmer:innen zu verkaufen – die „Rent-a-Rüttgers“-Affäre war ein
       Grund für den Wahlsieg der Sozialdemokratin Hannelore Kraft wenige Wochen
       später.
       
       Vorher aber feuerte Rüttgers noch Wüst. Denn die von dem damals erst
       34-jährigen Wüst gemanagte CDU hatte auch einräumen müssen, dass die
       permanente Wahlkampfbeobachtung Krafts nicht aus der Parteizentrale,
       sondern direkt aus Rüttgers' Staatskanzlei gesteuert wurde. Außerdem hatte
       Wüst unrechtmäßig erhaltene Zuschüsse des Landtags zu seiner eigenen
       privaten Krankenversicherung zurückzahlen müssen.
       
       ## Wüst will in die Mitte
       
       Wüst aber überwinterte im Landtag, in den er schon 2005 als damals jüngster
       Abgeordneter eingezogen war. Trotz der von ihm maßgeblich mitverantworteten
       Wahlniederlage wurde er 2010 wirtschaftspolitischer Sprecher seiner
       Fraktion, arbeitete daneben als Geschäftsführer des Landesverbands der
       Zeitungsverleger. 2017 machte Armin Laschet ihn dann zum Verkehrsminister.
       
       Viele hielten das für eine kleine Boshaftigkeit – immerhin ist NRW das
       Stauland Nummer 1, in dem der Berufsverkehr regelmäßig zusammenbricht. Da
       die CSU-Bundesverkehrsminister Bayern regelmäßig bevorzugten, schien für
       Wüst wenig zu gewinnen. Doch als Landesverkehrsminister arbeitete er an
       einem neuen Image. Zwar fließt weiter viel Geld in den Straßenverkehr. Doch
       in Düsseldorf fuhr der Münsterländer viel Fahrrad, nannte den ICE der Bahn
       ein „richtig geiles Gerät“. Auch bei der Eröffnung neuer
       Radweg-Teilstrecken steht Wüst immer gern für Fotos bereit.
       
       Dazu kommt: Der Mann des Wirtschaftsflügels hat begriffen, dass die CDU
       gerade in NRW nur in der Mitte punkten kann. „Bei diesen Wählerwanderungen
       sollte niemand auf die Idee kommen, die Union nach rechts rücken zu
       wollen“, twitterte er einen Tag nach der verlorenen Bundestagswahl.
       Angehängt war eine Grafik, die zeigt, dass die Union fast 1,4 Millionen
       Wähler:innen an die SPD und mehr als 800.000 an die Grünen verloren hat.
       
       Bei seiner Nominierung zum ersten Mann der NRW-CDU massiv unterstützt wurde
       Wüst, der im März zum ersten Mal Vater geworden ist, deshalb auch vom
       Arbeitnehmerflügel. Der Bundeschef der Christlich-Demokratischen
       Arbeitnehmerschaft CDA, Laschets Arbeits- und Gesundheitsminister
       Karl-Josef Laumann, ist Münsterländer wie Wüst – und hat den designierten
       Regierungschef massiv gestärkt.
       
       Beim Parteitag der nordrhein-westfälischen CDU am 23. Oktober gilt eine
       Wahl Wüsts zum Landesvorsitzenden deshalb als sicher. Und wenn Armin
       Laschet nach Konstituierung des neuen Bundestags am 26. Oktober wie in der
       NRW-Verfassung vorgeschrieben als Ministerpräsident zurücktritt, dürfte
       sein Nachfolger auch in der Staatskanzlei Hendrik Wüst heißen –
       vorausgesetzt, alle Abgeordneten von CDU und FDP ziehen mit. Im Landtag hat
       Laschet bisher mit einer hauchdünnen Ein-Stimmen-Mehrheit regiert, verfügt
       Schwarz-Gelb nur über 100 von 199 Sitzen. Verweigert nur ein Christdemokrat
       oder ein Liberaler Wüst die Unterstützung, versenkt sich die selbsternannte
       „NRW-Koalition“ selbst. Wüsts Traum würde platzen – und Nordrhein-Westfalen
       stünde vor Neuwahlen.
       
       Aktualisiert am 6. Oktober 2021 um 10:40 Uhr. In einer früheren Version
       hieß es, Heimatministerin Scharrenbach könne die erste Frau an der Spitze
       einer NRW-Landesregierung sein. Das stimmt nicht, Hannelore Kraft war
       bereits Ministerpräsidentin in NRW. Wir bitten, den Fehler zu
       entschuldigen. d. R.
       
       6 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gruene-und-Union-beraten-ueber-Koalition/!5801550
   DIR [2] /Union-nach-nach-der-Wahl/!5802808
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
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