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       # taz.de -- Hohenzollern und Langemarck-Mythos: „Dieser Staat ist unser Staat“
       
       > In Naumburg inszenierten Faschisten und Monarchisten 1933 das
       > Verschmelzen ihrer Organisationen. Ex-Kronprinz Wilhelm agitierte
       > prominent dafür.
       
   IMG Bild: Langemarck-Denkmal auf der Waldschlosswiese des Bürgergartens in Naumburg, Postkarte, 1933
       
       Am 6. September 1933 wurde in Naumburg in Gegenwart des
       Reichsarbeitsministers Franz Seldte, des Ex-Kronprinzen Wilhelm, seines
       Sohnes Wilhelm und zahlreicher Abordnungen des Stahlhelm, des
       Stahlhelm-Studentenrings, der SA und SS das „erste Langemarck-Denkmal in
       Deutschland“ feierlich eingeweiht.
       
       Der Langemarck-Mythos ist heute nahezu vergessen. Zu Unrecht, denn
       Langemarck spielte in der deutschen Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg
       eine bedeutende Rolle. Langemarck stand für den heroischen Opfergang der
       deutschen Jugend, der Gymnasiasten und Studenten für das Vaterland. Bei
       Langemarck, heute Langemark, in Flandern hätten, so behauptete bewusst
       fälschlich die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL), junge Regimenter,
       „Deutschland, Deutschland über alles“ singend, die feindlichen Stellungen
       angegriffen und genommen, obgleich „ganze Garben von der Blüte unserer
       Jugend“ niedergemäht worden seien.
       
       Nach dem verlorenen Krieg, dem als Diktat empfundenen Versailler Frieden
       und der Gründung der Weimarer Republik verbreiteten die antidemokratischen
       Vereinigungen, die nationalen Verbände und Parteien, allen voran der
       Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten, DNVP und NSDAP, aber auch Teile der
       Studentenschaft den von der OHL während des Ersten Weltkriegs in die Welt
       gesetzten Mythos vom freudig hingenommenen Opfertod der Jugend. Nur aus der
       vollständigen Hingabe von Leib und Leben für das Vaterland, behaupteten
       sie, könne die wieder geeinte deutsche Nation entstehen.
       
       Die Errichtung eines Ehrenmals im Naumburger Bürgergarten war in dieser
       Hinsicht ein großer, symbolischer, richtungweisender Schritt. Geplant
       worden war das Denkmal, ein Betonklotz mit angedeuteter Schießscharte,
       nachempfunden einem Maschinengewehrbunker, vom Stahlhelm-Studentenring.
       
       ## Stahlhelm und NSDAP
       
       Vom Zeitpunkt des Beschlusses im Mai 1932 bis zu seiner Weihe im September
       1933 hatten sich die politischen Verhältnisse im Deutschen Reich
       grundlegend und offen in Richtung Gewaltherrschaft weisend verändert. Weder
       der Stahlhelm noch der Stahlhelm-Studentenring waren noch selbstständig,
       von unabhängig nicht zu reden. Sie waren in den Formationen der NSDAP
       aufgegangen.
       
       Und damit hatte man sich abgefunden. „Was Adolf Hitler äußerte, ist das
       nicht daselbst, was den Stahlhelmer all die Jahre hindurch bewegt hat?“,
       hieß es jetzt, die einstige Rivalität überspielend. Und: „Die Art, wie sich
       der Führer über Rassen und ihre Aufgaben ausließ, und über Wertung des
       Vergangenen sprach, aber auch das Verkennen dieses Wortes tadelte, ist das
       nicht alles etwas, was der Stahlhelmer aber auch so restlos bejahen kann,
       wie es nur irgendwie denkbar ist? Dieser Staat ist unser Staat.“
       
       Man hatte sich damit aber nicht nur arrangiert, sondern den Anschluss an
       Hitler und seine Bewegung sogar gewollt. Zu der Überzeugung, dass Adolf
       Hitler forderte, aussprach und erzwingen wollte, was die Stahlhelmer
       bewegte, war das Mitglied des Stahlhelm Ex-Kronprinz Wilhelm schon Ende
       März 1932 gelangt.
       
       Schon vor dem für den 10. April angesetzten zweiten Wahlgang der
       Reichspräsidentenwahl hatte er an Franz Seldte, den „Ersten
       Stahlhelm-Bundesführer“, sowie den Vorsitzenden der DNVP, Alfred Hugenberg,
       Briefe geschickt, in denen er vor einer Enthaltung im zweiten Wahlgang
       warnte [1][und dazu aufforderte, Hitler zu unterstützen].
       
       ## Aufruf für Hitler
       
       Schließlich hatte er sich an die Öffentlichkeit gewandt und erklärt:
       „Wahlenthaltung im zweiten Wahlgang ist unvereinbar mit dem Gedanken der
       Harzburger Front. Da ich eine geschlossene nationale Front für unbedingt
       notwendig halte, werde ich im zweiten Wahlgang Hitler wählen“. Die
       Telegraphen-Union hatte diese Erklärung verteilt; am 3. April war sie
       reichsweit in der Presse erschienen.
       
       Mit dieser bewussten, [2][gezielt unternommenen Kundgebung hatte sich der
       Ex-Kronprinz] nicht nur gegen das rechtsgerichtete Lager, die nationalen
       Verbände und Parteien sowie den Thüringer Landbund gestellt, die sich gegen
       eine Hitler-Diktatur ausgesprochen hatten, sondern ausdrücklich auch gegen
       die Stahlhelm-Führung. Tatsächlich konnte Hitler in der Folge seinen
       Stimmenanteil um über 2 Millionen Stimmen erhöhen, was der Ex-Kronprinz
       sich auf die Fahne schrieb – nicht zu Unrecht, wie schon am 19. April 1932
       in der Presse zu lesen war.
       
       Nachdem Seldte offenbar geworden war, für wen „seine“ Stahlhelmer sich
       mehrheitlich entschieden hatten, stellte sich nun auch er auf die Seite
       Hitlers, trat am 30. Januar 1933 in dessen Kabinett ein, wurde
       NSDAP-Parteimitglied. Am 21. Juni 1933 unterstellte er den Jungstahlhelm
       dem Obersten SA-Führer, was der Ex-Kronprinz wenige Tage später implizit
       begrüßte. Drei Wochen zuvor war schon der Stahlhelm-Studentenring mit
       Seldtes Einverständnis offiziell dem NS-Studentenbund unterstellt worden.
       
       Die Einweihung des Naumburger Langemarck-Ehrenmales am 6. September 1933
       war somit von Anfang an keine reine Stahlhelm- und schon gar keine
       Stahlhelm-Studentenring-Veranstaltung mehr. Es war eine von Stahlhelm und
       Studentenring inszenierte Feier im Sinn und in der Sinngebung des „neuen
       nationalsozialistischen Staates“, die „die Disziplin und die Ordnung, die
       Zucht und das Einordnungsvermögen“ der deutschen Jugend beschwor und sie
       beispielgebend zu „Treue, Hingabe und Begeisterung für das Reich“ anspornen
       wollte.
       
       ## Ehrengast aus dem Hohenzollern-Clan
       
       Die Jugend sollte „ein Bekenntnis ablegen zum Geist des Opfers … für den
       kommenden Kampf“. Ihr Wehrwille sollte für den nächsten Krieg, der nach
       nationalsozialistischer wie nach radikalnationaler Ideologie geführt werden
       musste, gestärkt werden. Dass es auch dem Ehrengast aus dem Haus
       Hohenzollern, dem Ex-Kronprinzen, mit seinem Erscheinen und öffentlichen
       Auftreten um diese Sinngebung und um diese „Werte“ ging, hatte schon sein
       Brief an Hitler Ende 1932 bewiesen.
       
       In dem Schreiben hatte er nicht nur sein Eintreten für den „Führer der
       nationalsozialistischen Bewegung“ im zweiten Wahlgang der
       Reichspräsidentenwahl 1932 hervorgehoben, sondern auch seine tiefe
       Überzeugung kundgetan „SA, SS und Stahlhelm [seien] die Träger des
       Wehrgedankens“.
       
       Bereits am 4. und 5. September 1933 war ein Großteil der Studenten in
       Naumburg eingetroffen, sämtlich mit Hakenkreuzbinde am linken Arm, dem
       ursprünglich einzigen Abzeichen der Angehörigen der NSDAP. Unter ihnen war
       Prinz Wilhelm von Preußen, der erstgeborene Sohn des Ex-Kronprinzen; auch
       er mit Hakenkreuzarmbinde. Am 6. September dann trafen, ebenfalls mit
       Armbinde geschmückt, Franz Seldte und der Ex-Kronprinz ein – rechtzeitig
       zum Empfang im Rathaus, zusammen mit Vertretern des „neuen Staates“ aus SA,
       SS und der NSDAP.
       
       Das alte System, so dort der Festredner des Stahlhelm, sei gestürzt, neue
       und beste Männer seien an seine Stelle getreten. Aber die Revolution habe
       gerade erst begonnen, der Kampf gehe weiter. Das waren Worte, wie sie
       Hitler, Goebbels und Göring seit ihrer Machtübernahme und wenige Tage zuvor
       auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg auch gesprochen hatten.
       
       ## Das neue „wir“
       
       Und der Redner fuhr fort und sprach damit ausdrücklich für sämtliche
       Vertreter des Stahlhelm und des Studentenringes mit Seldte, [3][dem
       Ex-Kronprinzen und Prinz Wilhelm an der Spitze], man glaube fest, dass in
       diesem Sinn „wir“, die alten und doch noch jungen Kämpfer im Stahlhelm, in
       der SA und SS, dem Führer in dem nächsten Jahrzehnt die besten und
       getreuesten Helfer sein werden. Der Führer wisse, dass er sich auf seine
       Soldaten verlassen könne.
       
       Im Anschluss erfolgte die Ehrenmalweihe mit einer Rede Seldtes unter dem
       Motto „Begeisterung, Opferfreudigkeit, Tapferkeit, Vaterlandsliebe“. Danach
       wurden die Kränze niedergelegt, erst von Seldte, dann vom Ex-Kronprinzen –
       sein Kranz war den ganzen Tag über öffentlichkeitswirksam im Schaufenster
       der Buchhandlung Ratsch ausgestellt, offensichtlich um seine Identifikation
       mit Ablauf, Sinn und Ziel der Feierlichkeiten jedermann deutlich zu machen.
       Schließlich die des NS-Studentenbunds, dessen Vertreter an Horst Wessel und
       Leo Schlageter erinnerte, der Kreisleitung der NSDAP, des Studentenrings,
       der Deutschen Burschenschaft und des Stahlhelm-Gaus Naumburg.
       
       Dann wurden das Deutschlandlied, das Horst-Wessel-Lied und das
       Stahlhelmbundeslied intoniert. Zum Ausklang marschierten die Formationen in
       geschlossenen Kolonnen, Reichswehr, gefolgt von Studentenbataillonen,
       Abteilungen der SA, der SS, des Stahlhelm-Gaues Naumburg sowie der
       Wehrsportgruppen des Gaues hinunter auf den Marktplatz der Stadt zum Großen
       Zapfenstreich und dem Vorbeimarsch am Kronprinzen.
       
       Diese Inszenierung der Ehrenmalweihe hat die beabsichtigte Wirkung
       erreicht. Der Sinn des Opfers von Langemarck sei endlich verstanden worden,
       hieß es in einer Pressebilanz der Feierlichkeiten und Reden.
       
       Die Jugend, das sollten die Weihe, die Ehrengäste, die Reden und Ansprachen
       in Naumburg belegen und unterstützen, sei – wie soeben beim Nürnberger
       Parteitag verkündet – bereit für ihren Führer zu leben, zu handeln, und
       wenn es sein müsse, in den Tod zu gehen, denn Adolf Hitler sei Deutschland.
       Diese Einstellung zu befördern, für sie einzustehen, waren Seldte, der
       Ex-Kronprinz und sein Sohn eigens nach Naumburg gekommen.
       
       31 Oct 2021
       
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