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       # taz.de -- Koalitionen in den Berliner Bezirken: Sonderzug aus Pankow
       
       > Eigentlich haben in Pankow die Grünen die Wahl gewonnen. Dennoch könnte
       > der Linke Sören Benn Bezirksbürgermeister bleiben.
       
   IMG Bild: Sören Benn hat gute Chancen, Berlins größten Bezirk weiter zu regieren
       
       Berlin taz | Sechs Grüne im Amt einer Bezirksbürgermeisterin oder eines
       Bezirksbürgermeisters: Bis Mittwoch konnten die Berliner Grünen davon
       träumen, jeden zweiten Chefsessel in den zwölf Berliner Bezirksämtern zu
       besetzen, doch dann war der Traum jäh ausgeträumt. [1][In einer
       Pressemitteilung] gaben die Linken in Pankow bekannt, dass die
       Verhandlungen für eine Zählgemeinschaft mit Grünen und SPD gescheitert
       seien. Stattdessen wollen SPD und Linke den bisherigen Bezirksbürgermeister
       und Linkenpolitiker Sören Benn wiederwählen.
       
       Es war ein Paukenschlag, wenn auch nicht ganz überraschend. In der
       Begründung erklärten die linke Kreischefin und der Fraktionschef der Partei
       in der BVV, Sandra Brunner und Matthias Zarbock: „Das grüne Personal konnte
       keine klaren politischen Prioritäten für den Bezirk Pankow formulieren.“
       
       ## Schlechte Amtsführung der Grünen
       
       In Pankow wirkt darüber hinaus immer noch die Amtsführung des scheidenden
       Baustadtrats der Grünen, Vollrad Kuhn, nach. Der wird nicht nur für den
       Verkauf des Kinos Colosseum verantwortlich gemacht, sondern auch für die
       zögerliche Ausübung des bezirklichen Vorkaufsrechts. „Sören Benn hat
       vieles, was bei Vollrad Kuhn liegen blieb, übernommen“, sagt Fraktionschef
       Zarbock und nennt als Beispiel die Bebauung des Pankower Tors.
       
       Die Grünen wiederum wittern einen Verrat am Wählerwillen. „Bei der Wahl zur
       Bezirksverordnetenversammlung erhielten wir Bündnisgrünen 12.000 Stimmen
       mehr als die Linkspartei“, was 5,3 Prozent der Stimmen entspreche, heißt es
       [2][in einer Erklärung]. „Den Vorschlag eines linken Bürgermeisters für
       Pankow können wir nach dem deutlichen Wahlgewinn unserer Partei in Pankow
       nicht nachvollziehen“, heißt es weiter. Zur Kritik an der Amtsführung ihres
       Stadtrats äußerten sich die Grünen nicht. Bei den Bezirkswahlen hatten die
       Grünen 24,7 Prozent erreicht, die Linke kam mit 19,4 auf Platz zwei,
       gefolgt von der SPD mit 17,1 Prozent.
       
       Nun hoffen Linke und SPD bei der Wahl am 4. November auf die CDU. Ganz
       schlecht stehen die Chancen, dass sich die CDU-Abgeordneten in der Pankower
       BVV enthalten, nicht. Denn die Wahl von Sören Benn würde auch bedeuten,
       dass der grüne Machtblock im Rat der Bürgermeister bröckelt. Das freut
       nicht nur die CDU, sondern auch die SPD.
       
       ## Ohne CDU im Rathaus
       
       Bei der CDU dürfte es aber auch die einzige Freude sein. Denn es mehren
       sich die Zeichen dafür, dass die Christdemokraten erstmals kein einziges
       Rathaus in Berlin mehr führen werden. Zwar wurde die CDU in drei Bezirken
       stärkste Partei – in ihren traditionellen Hochburgen Reinickendorf und
       Steglitz-Zehlendorf, aber erstmals auch in Marzahn-Hellersdorf.
       
       In Steglitz-Zehlendorf haben sich Grüne, SPD und Linkspartei allerdings
       offenbar darauf geeinigt, dass die Grüne Maren Schellenberg die bisherige
       Bürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski ablösen soll. Die Grünen lagen bei
       der Wahl im Bezirk erstmals vor der SPD, wenn auch äußerst knapp mit bloß
       0,7 Prozentpunkten. Unterschrieben war die Vereinbarung am Donnerstag nach
       Grünen-Angaben zwar noch nicht, aber das Projekt ist dem Vernehmen nach in
       trockenen Tüchern.
       
       In Reinickendorf hingegen kommen die drei Parteien, die auf Landesebene
       über eine Fortsetzung ihrer bisherigen Koalition verhandeln, alleine nicht
       auf die nötige Mehrheit von 28 Sitzen in der immer 55-köpfigen
       Bezirksverordnetenversammlung.
       
       Daher kommt ein anderes Modell zum Zuge: „Wir haben uns geeinigt“, sagte
       SPD-Kreisvorsitzender Jörg Stroedter am Donnerstag der taz, „wir machen
       eine Ampel mit Grünen und FDP.“ Die Linke steht dem nach seiner
       Einschätzung wohlwollend gegenüber. Bleibt es dabei, wird SPD-Mann Uwe
       Brockhausen Bürgermeister. Und die CDU als stärkste Kraft geht leer aus.
       
       In Marzahn-Hellersdorf wiederum, wo bei früheren Wahlen die Linkspartei
       dominierte, fehlt SPD, Linkspartei und Grünen mit zusammen 27 Mandate ein
       Sitz zu einer Mehrheit im Bezirksparlament. Für die könnten nun die
       Tierschutzpartei oder die FDP sorgen, die je drei Sitze haben.
       SPD-Kreischefin Iris Spranger kündigte für den Donnerstagabend nach
       Redaktionsschluss Verhandlungen darüber an. Man verhandle „mit beiden“,
       sagte Spranger der taz.
       
       Die Sozialdemokraten hatten am Wahltag am 26. September hinzu gewonnen,
       lagen aber 0,5 Prozentpunkte hinter der CDU, die daraufhin wohl erfolglos
       den Bürgermeisterposten für sich reklamierte. Den übernimmt nun mutmaßlich
       der Sozialdemokrat Gordon Lemm.
       
       Der neue Marzahner Bundestagsabgeordnete Mario Czaja, der auch
       CDU-Kreisvorsitzender ist, kritisierte gegenüber der taz, dass sich die
       drei größten Parteien – CDU, SPD und Linkspartei – nicht wie nach früheren
       Jahren üblich, gemeinsam auf eine Aufteilung der sechs Stadtratsressorts im
       Bezirksamt geeinigt hätten. Die SPD wolle der CDU erst am Freitag
       mitteilen, welche Bereiche für sie gedacht sind.
       
       Hintergrund ist, dass in den Bezirken die Zählgemeinschaften nur den
       Bürgermeister wählen. Die weiteren fünf Posten in der Bezirksregierung
       werden aber nach Proporz vergeben, also nach dem Wahlergebnis vom 26.
       September auf die im Bezirksparlament vertretenen Parteien verteilt,
       
       Allerdings geht die Kritik der CDU historisch zumindest ins Leere. Denn es
       waren die Christdemokraten, die in den 90er Jahren das Modell einer
       Zählgemeinschaft ins Spiel gebracht hatten, bei dem auch die zweitstärkste
       Partei das Rathaus erobern kann. Damals ging es der CDU darum, mit diesen
       Mini-Koalitionen auf Bezirksebene die Linke vom Posten der
       Bezirksbürgermeister und Bezirksbürgermeisterinnen fernzuhalten – nun
       trifft es die CDU selbst.
       
       ## Mitte macht Verkehrswende
       
       Dass es aber nicht nur um Macht gehen kann, sondern auch um Inhalte, zeigt
       die Vereinbarung die Grüne und SPD in Mitte getroffen haben. Beide Parteien
       im grün geführten Rathaus wollen unter anderem jeden vierten Parkplatz in
       einen „nachbarschaftlich genutzten Stadtraum umwandeln“. Darüber hinaus
       soll die Parkraumbewirtschaftung auf den ganzen Bezirk ausgedehnt werden.
       Ziel ist es laut Zählgemeinschaftsvereinbarung „die Weichen für einen
       klimaneutralen Bezirk zu stellen“.
       
       29 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.die-linke-pankow.de/politik/nachrichten/detail/news/linke-schlaegt-soeren-benn-als-buergermeister-vor/
   DIR [2] https://gruene-pankow.de/home/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
   DIR Stefan Alberti
       
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