# taz.de -- Kontroverse um Sarah-Lee Heinrich: Falsch bleibt falsch
> Die Grünen verhalten sich weiter wie eine kleine Oppositionspartei. Und
> sind überrascht, dass sich politische Gegner Schwachstellen zunutze
> machen.
IMG Bild: Erfurt am Samstag: Sarah-Lee Heinrich spricht beim 55. Bundeskongress der Grünen Jugend
Schon in wenigen Wochen werden die Grünen Deutschland mitregieren, aber
noch immer benehmen sie sich wie eine kleine Oppositionspartei, für die die
Öffentlichkeit sich nur am Rande interessiert. Es kann doch nicht wirklich
überraschen, dass die politischen Gegner die neuen Gesichter der grünen
Jugend genauestens unter die Lupe nehmen und nach Angriffspunkten suchen.
Nur: Warum ist da wieder einmal niemand drauf gekommen und hat das junge
Führungsduo entsprechend vorbereitet? [1][Wie schon bei Kanzlerkandidatin
Annalena Baerbock] sollte „Opposition Research“ für eine Partei mit Macht-
und Gestaltungsanspruch zur politischen Routine gehören. Stattdessen rufen
viele Parteigranden jetzt „Rassismus“ und „Sexismus“ oder auch
„Grünen-Hasser“ und wischen die Kritik an den teils gar nicht so harmlosen
Äußerungen der beiden neuen Bundessprecher*innen einfach weg.
Mag sein, dass [2][Sarah-Lee Heinrich] noch sehr jung war, als sie „Heil“
unter einen Post mit Hakenkreuz gesetzt hat. Mag sein, dass sie „schwul“,
„Tunte“ und „behindert“ irgendwie anders gemeint hat. Aber als sie von
„ekliger weißer Mehrheitsgesellschaft“ oder „Judenzeug“ spricht oder von
Weißen, die sie aus Afrika rausfegen will, ist sie nicht mehr 13 oder 14
Jahre alt.
Natürlich sind die jungen Leute von heute nicht zu beneiden, weil das Netz
nichts vergisst und einem jeder Fehltritt um die Ohren gehauen wird. Es ist
eine gnadenlose und brutale Realität, mit der noch keine
Politiker*innengeneration vor ihnen konfrontiert war. Aber mal
ganz ehrlich: Würden wir [3][Philipp Amthor] oder Christian Lindner, der ja
bereits mit 21 Jahren Landtagsabgeordneter wurde, solche Äußerungen in
jungen Jahren durchgehen lassen? Falsch bleibt falsch, ganz egal, wer etwas
Falsches sagt.
Die Fehltritte rechtfertigen selbstredend nicht den abstoßenden Shitstorm,
der nun wieder hässlich und enthemmt aus allen Ecken hervorquillt. Aber
jetzt so zu tun, als seien Fehler keine Fehler und die empörten Reaktionen
nur Ausdruck der Angst, die die eklige weiße Männer- und/oder
Mehrheitsgesellschaft vor starken Schwarzen Frauen hat, zeugt nur von der
Unfähigkeit zur Selbstkritik.
Und bevor Ulf Poschardt (Welt) und Jan Fleischhauer (Focus) jetzt zu früh
frohlocken, sei noch ein kleiner Hinweis in Sachen umgekehrter Rassismus
hinzugefügt: Diskriminieren kann nur, wer Macht hat. Schwarze Menschen
haben in Deutschland – oder Europa – keine Macht. Von daher kann Heinrich
vielleicht Geschmacklosigkeit und mangelnde Einsicht, nicht aber
umgekehrter Rassismus vorgeworfen werden.
Schwarze, die sich negativ über Weiße äußern, und Weiße, die negativ über
Schwarze reden – das wird nie das Gleiche sein, nicht in 100 Jahren. Queers
dürfen Heteros ablehnen, aber nicht umgekehrt. Frauen dürfen Männer nicht
dabeihaben wollen, aber nicht umgekehrt. Behinderte Menschen dürfen über
Nichtbehinderte lästern, aber nicht umgekehrt. Jüdinnen und Juden dürfen
sich über nichtjüdische Deutsche lustig machen – umgekehrt keinesfalls.
11 Oct 2021
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## AUTOREN
DIR Silke Mertins
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