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       # taz.de -- Umnutzung des Flughafens Tempelhof: Eine Flughafenvision
       
       > Die Initiative THF.Vision will, dass das Gebäude des einstigen Berliner
       > Flughafens allen gehört. Außerdem sollen es für Kultur genutzt werden.
       
   IMG Bild: Das Flughafengebäude vom Flughafen Tempelhof in Berlin von außen
       
       In Berlin baut man Flughäfen am liebsten mitten in die Stadt und wundert
       sich, dass sie nicht für die Ewigkeit sind. Das war schon im
       Nationalsozialismus so, als der Flughafen Tempelhof das Deep Space Nine der
       Nazis sein sollte. Es ist später in Tegel, wenngleich bescheidener, nicht
       viel anders gewesen. Viele meinten, die Welt geht unter, wenn der Flughafen
       Tegel geschlossen wird. Und die Zukunft des BER sieht auch nicht rosig aus,
       zumal die Vergangenheit schäbig war.
       
       Egal wo: Am Ende hat man riesige Gebäude rumstehen und muss sich überlegen,
       was damit machen.
       
       Während [1][für Tegel konkrete Pläne vorliegen], gilt das für das
       Nazigebäude des 2008 geschlossenen Flughafens Tempelhof nicht. Immerhin,
       eine kleine Gruppe von Menschen hat eine Vision: Die Flughafengebäude
       sollen allen gehören, die zukunftstaugliche Ideen haben, nicht
       marktwirtschaftlich denken und Platz brauchen. Von dem gibt es im Flughafen
       Tempelhof mit seinen 7.260 Räumen genug. Ihre Vision erweitert das, was
       [2][mit dem Tempelhofer Feld erreicht wurde], auch auf das Gebäude.
       
       Ein Ortsbesuch mit Fragen. Und Antworten.
       
       Wer sind die Leute, die eine Vision für den Naziflughafen haben? 
       
       Die Initiative, die das Flughafengebäude für nachfolgende Generationen
       sichern möchte, nennt sich [3][THF.Vision]. THF war der Code der
       Internationalen Luftverkehrsgesellschaft IATA für den Flughafen. Eine der
       Visionärinnen ist die studierte Lehrerin Heike Aghte.
       
       Wo findet man Heike Aghte? 
       
       Das Gelände des stillgelegten Flughafen Tempelhof ist äußerst belebt.
       Interessierte kommen, um sich im einstigen Flughafengebäude die Ausstellung
       „Ein weites Feld“ der Topographie des Terrors über die bewegte
       [4][Geschichte des Flughafens] anzusehen oder Räume des noch immer nicht
       ganz erschlossenen 55 Hektar großen Komplexes zu besichtigen. Vor dem
       Torhaus am Columbiadamm sitzt Heike Aghte und genießt die Sonne. Immer
       wieder bitten Menschen die Gesellschafterin von THF.Vision um Auskünfte:
       „Wer hier sitzt, wird für die Pforte gehalten.“
       
       Was ist THF. Vision? 
       
       Die Initiative und gemeinnützige Unternehmergesellschaft THF.Vision wurde
       „von Menschen gegründet, die sich für eine gemeinwohlbasierte Umnutzung des
       Gebäudes einsetzen.“ Der Initiative, betont Aghte, gehe es nicht um eigene
       Räume, sondern darum, die Räume „für Menschen zu öffnen, die eine
       gemeinnützige, enkeltaugliche urbane Lebens- und Versorgungsweise
       entwickeln und eine commonsbasierte Kultur etablieren möchten.
       
       Was meint die Initiative mit einer commensbasierten Kultur? 
       
       Commons heißt [5][Gemeingut]. Eine commonsbasierte Kultur setzt auf einen
       sozialen und demokratischen Aufbau durch die Allgemeinheit, auf
       Nutzungsrecht anstelle von Eigentumsrecht: „Dann gehört das Gebäude allen
       und man bildet Strukturen, es zu verwalten, die nicht so hierarchisch
       sind“, erklärt Aghte.
       
       Warum wollen Sie das Gebäude des Flughafen Tempelhof zu so einem Common
       machen? 
       
       Der Flughafen, meint Aghte, habe eine geschichtliche Verantwortung. Er ist
       [6][ein Nazibau]. Als Antwort auf die Vergangenheit müsse man
       zukunftsgerichtet denken und aus dem Gebäude ein Transformationszentrum
       machen, in dem die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele verfolgt würden, die
       die Vereinten Nationen in der Agenda 2030 festgelegt haben: „Das Gebäude
       soll genutzt werden, die Abwehrkräfte gegen Antisemitismus, Rassismus und
       Hass zu stärken.“
       
       Welche geschichtliche Verantwortung meint THF.Vision? 
       
       Heute wird der Flughafen Tempelhof vor allem [7][mit der Luftbrücke
       assoziiert, bei der die Amerikaner die Berliner*innen über den Luftraum
       versorgten]. Der Flughafen ist also positiv besetzt. Doch der Nazibau steht
       für viel Negatives. Im KZ Columbia, [8][einem der ersten
       Konzentrationslager am nördlichen Rand des Feldes], lernten KZ-Aufseher
       quasi „ihr Handwerk“. Und bis Kriegsende verloren tausende
       Zwangsarbeiter*innen der Lufthansa und der Weser GmbH auf dem Gelände
       durch Ausbeutung für die Rüstungsindustrie ihre Gesundheit oder ihr Leben.
       
       Was geschah nach dem Krieg? 
       
       Gebäude und Gelände wurden in einen amerikanischen Militär- und einen
       Zivilflughafen unterteilt. Bis 2007 flogen hier jährlich bis zu 350.000
       Fluggäste. Der östliche Teil des Areals war bis zum Abzug der Alliierten
       Stützpunkt der US-Luftwaffe. Hier überwachten die Amerikaner die
       Luftkorridore Berlins. Zur Zerstreuung bauten sie für die Soldaten eine
       Squash-Halle, einen Basketballplatz, Bars und mehr. Wer in das Areal rein
       wollte, musste sich an der Pforte legitimieren, vor der Aghte nun sitzt.
       Das 55m² große Pförtnerhäuschen ist mittlerweile selbstverwalteter
       Community Space.
       
       Und wie wird der Rest des Flughafengebäudes derzeit genutzt? 
       
       In dem 300.000 Quadratmeter großen Gebäude sind Dienststellen der Polizei,
       eine Tanzschule, eine private Universität, eine Kita, eine soziale
       Einrichtung für Jugendliche, ein Fundbüro und eine Handvoll Gewerbe. Die
       meisten Räume stehen jedoch leer. Für die Entwicklung der Nachnutzung, das
       Standortmanagement sowie die Organisation der Baumaßnahmen hat das Land
       Berlin die Tempelhof Projekt GmbH beauftragt. Politisch beschlossen ist für
       die Nachnutzung derzeit ein grobes Konzept der GmbH zur perspektivischen
       Nutzung durch Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft.
       
       Wie unterscheidet sich das Nutzungskonzept von THF.Vision? 
       
       Für THF.Vision steht Nachhaltigkeit an erster Stelle: „Unsere Vision ist
       es, die Nutzung umweltbewussten Unternehmen und Forschungseinrichtungen
       sowie gemeinnützigen Projekten und Initiativen zu ermöglichen, die sich
       gegenseitig befruchten und die Nachhaltigkeitsziele voranbringen, sich also
       für Abschaffung von Armut und für Klimaschutz, starke Bürgerschaft,
       Gleichberechtigung und mehr einsetzen“, sagt Aghte. Sie alle sollen „ein
       Zentrum zur Immunabwehr schaffen.“ Kunst und Kultur seien da auch Mittel:
       „Nachhaltigkeit ohne Kunst und Kultur ist gar nicht denkbar.“
       
       Wie genau soll dies geschehen? 
       
       Schritt für Schritt, meint Aghte. Die freie Szene der Künstler*innen
       etwa möchte eine Art Umsonst-Materiallager errichten, im Sinne der Zero
       Waste-Bewegung. In den fünf Küchen sollen Schulküchen, Kantinen und
       Verteilstationen mit regionalen Lebensmitteln entstehen. Zuletzt hat die
       Initiative dem Senat ein Konzept zur Nutzung der Küchen vorgelegt, der
       daraufhin Bedarf für einen Ernährungscampus anmeldete.
       
       Ist die THF.Vision so etwas wie die Parallelbewegung des Flughafengebäudes
       zum Tempelhofer Feld, das in einem Volksentscheid ebenfalls zu einem Common
       erklärt wurde? 
       
       Die Bestrebung, die Nutzung zu einem Common zu machen, ist gleich. Ein
       Volksentscheid aber, so Aghte, sei das letzte Mittel, zu dem man nur
       greife, „wenn alle anderen Optionen ausgereizt“ sind. Weil ein
       Volksentscheid langwierig ist. Und weil die Politik ihm nicht folgen muss:
       „In einer repräsentativen Demokratie ist es üblich, dass die Politik selbst
       etwas zum Ziel macht.“ Vor einem Volksentscheid stünde daher
       Überzeugungsarbeit.
       
       Was hat THF.Vision bisher erreicht? 
       
       2018 ist es THF. Vision gelungen, das Nutzungsrecht für das Torhaus zu
       bekommen. Aus dem ehemaligen Pförtnerhaus ist ein partizipativer Ort
       geworden, mit eigenem Radiosender, Workshops, einer
       Nahrungsmittelverteilstation und mehr: „Dort nehmen wir im Kleinen in
       Angriff, was im Großen gemacht werden soll.“ Um Räume im Flughafengebäude
       selbst zu erhalten, müssten diese den heutigen Sicherheitsbestimmungen wie
       Brandschutz genügen: „Das tun sie nicht.“
       
       Welche Hürden gibt es? 
       
       Zunächst, meint Aghte, müsse das gesamte Flughafengebäude saniert werden.
       Das aber steht unter Denkmalschutz. Heißt: kein Abriss, keine Veränderungen
       ohne Absegnung durch das Denkmalamt. Die Sanierung wird zentral gesteuert.
       Gerade wird das Dach der Tanzschule denkmalkonform saniert. Demnächst
       stehen die Räume der Polizei an.
       
       Wie kann man mitmachen? 
       
       Einfach über die Webseite der Initiative Kontakt aufnehmen. Das Wichtigste
       aber sei derzeit, das Konzept bekannt zu machen und das Gespräch mit
       Abgeordneten des Senats zu suchen: „Die sind letztlich verantwortlich.“ Die
       kommende Legislaturperiode, ist Aghte überzeugt, werde entscheidend.
       
       10 Feb 2022
       
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