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       # taz.de -- Bundesverfassungsgericht zu Schulwahl: Inklusion nicht um jeden Preis
       
       > Das BVerfG lehnt die Klage einer Mutter ab, die ihr überfordertes Kind
       > auf der Regelschule lassen wollte. Ihr war das Sorgerecht teils entzogen
       > worden.
       
   IMG Bild: Das Bundesverfassungsgericht lehnt die Klage einer Mutter zur Schulwahl ihrer Tochter ab
       
       Freiburg taz | Das Recht auf inklusiven Unterricht kann nicht
       rechtfertigen, dass eine Mutter ihre leicht behinderte Tochter schulisch
       überfordert und damit das Kindeswohl gefährdet. Das entschied das
       Bundesverfassungsgericht in einem jetzt veröffentlichten Beschluss. Es
       lehnte die Klage einer rheinland-pfälzischen Mutter ab, der das Recht auf
       Auswahl der Schule ihrer Tochter entzogen wurde.
       
       Die heute 16-jährige Tochter war in dem Gutachten als „leicht intellektuell
       behindert“ eingestuft worden. Mehrere Tests hatten einen
       Intelligenzquotient von etwa 70 festgestellt. Trotzdem meldete die
       alleinerziehende Mutter das Kind nach der Grundschule im Gymnasium an. Das
       Mädchen erhielt aber bald einen Schulverweis, weil es Mitschüler:innen
       malträtiert hatte.
       
       Seither besucht die Tochter eine Realschule plus, das ist der
       rheinland-pfälzische Name für den Zusammenschluss von Haupt- und
       Realschule. Doch auch dort hat das Mädchen laut Jugendamt massive Probleme.
       Es zeige sich permanent überfordert, traurig, verzweifelt und ohne
       Lebenslust, es habe sogar schon Suizidgedanken geäußert. Die Mutter setze
       das Kind unter massiven Leistungsdruck. Bei schlechten Noten habe das
       Mädchen Angst, von der Mutter geschimpft und geschlagen zu werden. Aus
       Stress reagiere das Kind aggressiv auf Mischüler:innen und
       Lehrer:innen.
       
       Das Jugendamt beantragte daher 2019, der Mutter einen Teil des Sorgerechts
       zu entziehen, sodass sie nicht mehr die Schulart des Kindes bestimmen kann.
       Das Kind solle besser eine Förderschule besuchen. Das Amtsgericht Koblenz
       und auch das dortige Oberlandesgericht segneten dies ab.
       
       ## Leistungsdruck sei normal, so die Mutter
       
       Dagegen erhob die Mutter Verfassungsbeschwerde und berief sich auf ihr
       Elternrecht. Sie habe sich für eine [1][inklusive Beschulung] der Tochter
       auf einer Regelschule entschieden, das dürfe nicht gegen sie verwandt
       werden. Zum einen sehe das rheinland-pfälzische Schulrecht ein freies
       Wahlrecht der Eltern vor. Zum anderen folge aus [2][der
       UN-Behindertenrechtskonvention] ein Recht auf inklusive Beschulung von
       behinderten Kindern an Regelschulen. Dass Eltern Leistungsdruck auf ihre
       Kinder ausübten, sei normal, dies könne nicht die Annahme einer
       Kindeswohlgefährdung rechtfertigen.
       
       Das Mädchen habe keine geistige Behinderung, nur Förderbedarf in der
       „sozial-emotionalen Entwicklung“ und in Mathematik, so die Mutter. Die
       Annahme einer „Lernbehinderung“ lehne sie ab, weil der Begriff
       stigmatisierend sei. Das Jugendamt übernehme ungeprüft die Aussagen der
       Lehrkräfte, die das Mädchen loswerden wollen, weil sie nicht ausreichend
       für inklusiven Unterricht ausgebildet seien.
       
       Eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts lehnte die Klage der Mutter nun
       jedoch ab. Selbst wenn es ein Recht auf inklusive Beschulung gebe – was die
       Richter:innen offen ließen –, könne das Jugendamt dennoch eine
       Kindeswohlgefährdung feststellen, wenn das Verhalten der Eltern zu schweren
       Belastungen des Kindes führe. Weil die Mutter auch Fördermaßnahmen an der
       Realschule plus ablehnte, etwa zieldifferenzierten Unterricht für ihre
       Tochter, könne die Tochter von der inklusiven Beschulung im Ergebnis auch
       gar nicht profitieren.
       
       Eine Benachteiligung der Tochter wegen ihrer Behinderung liege schon
       deshalb nicht vor, weil Grund des staatlichen Eingriffs nicht die
       Behinderung der Tochter war, sondern das Verhalten ihrer Mutter.
       
       14 Oct 2021
       
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