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       # taz.de -- Atomkraft in Frankreich: Flucht nach vorn
       
       > Präsident Emmanuel Macron kündigt die Entwicklung von
       > SMR-„Kleinreaktoren“ an – auch für den Export. Das hat auch mit der Wahl
       > 2022 zu tun.
       
   IMG Bild: Emmanuel Macron präsentiert den Investitionsplan „France 2030“ im Elysee-Palast
       
       Paris taz | Es war der Clou in der Rede des französischen Präsidenten
       Emmanuel Macron am Dienstag vor französischen Unternehmern und
       Studierenden: Im Rahmens des von ihm angekündigten Investitionsprogramms
       „France 2030“ sollen französische Firmen mit einer Subvention von erstmal
       rund 100 Millionen Euro „Mini-Reaktoren“ für die einheimische
       Stromproduktion und für den Export entwickeln. „Nuward“ heißt die Parole,
       sie steht für „Nuclear Forward“.
       
       Sehr treffend, denn es handelt sich um eine Flucht nach vorn [1][der
       französischen Atomindustrie], die spätestens seit den Unfällen von
       Tschernobyl und Fukushima sowie dem absehbaren Debakel mit dem EPR, der
       letzten Reaktorgeneration, total in die Defensive gedrängt wurde.
       
       Eigentlich hatte man auch in Frankreich gedacht, der Ausstieg werde jetzt
       eingeleitet. Macron selber hatte die Vorgabe seines Vorgängers, den Anteil
       der mit Kernenergie produzierten Elektrizität von 75 auf 50 Prozent zu
       reduzieren, als mittelfristiges Ziel in etwa übernommen.
       
       Stattdessen sieht nicht nur der heutige Staatschef [2][zur Einhaltung der
       Klimaziele] und als Antwort auf steigende Erdölpreise in den AKWs plötzlich
       wieder eine „Chance“ und eine Energie mit Zukunft.
       
       ## Zweifellos ein Wahlkampfthema
       
       Das sehen auch in der Bevölkerung viele so. Der Anteil der Leute, die für
       die Energieproduktion mit Reaktoren ist, ist laut Odoxa-Umfrage für Le
       Parisien von 47 Prozent im Jahr 2018 auf 59 Prozent gestiegen. Das ist auch
       Macron, der im April kommenden Jahres wiedergewählt werden möchte, nicht
       entgangen. Die AKW-Frage, die in Frankreich auch die politische Linke
       spaltet, wird zweifellos ein Wahlkampfthema sein.
       
       Die Trumpfkarte, die Macron dabei ausspielen möchte, ist die
       SMR-Technologie (Small Modular Reactor). Diese ist für die französische
       Rüstungsindustrie dank der Atom-Unterseeboote kein Neuland. Aus diesem
       Grund sind unter der Leitung von EDF (Electricité de France) und dem
       staatlichen Atomenergiekommissariat CEA mit der Naval Group und
       TechnicAtome (einer Tochter von Areva) zwei erfahrene Unternehmen mit dem
       nuklearen Antrieb der U-Boote seit den 70ern beteiligt.
       
       Sie könnten nach Ansicht von Macron in relativ kurzer Zeit in der Lage
       sein, solche „Minireaktoren“ mit einer Leistung von 170 MW (anstelle der
       900 bis 1450 MW der heutigen Monster) zu bauen. Diese möchte Frankreich
       dann in nicht allzu ferner Zukunft als „atomare Führungsmacht“ in alle Welt
       exportieren.
       
       Politisch lässt sich dies als Erfolg der nationalen Industrie gut
       verkaufen, erst recht mit dem arg strapazierten Slogan „Small is beautiful“
       in den Medien. Obwohl zweifellos die Kosten eines solchen SMR wesentlich
       geringer sein werden als beim EPR, dessen verzögerter Bau in Flamanville
       statt der ursprünglich vorgesehenen 3,3 Milliarden bereits fast 20
       Milliarden Euro verschlingt, bedeutet eine kleinere Leistung nicht kleinere
       Risiken.
       
       ## Breiter gestreut
       
       Im Gegenteil: Gerade beim Export einer Vielzahl von Klein-AKW wird die
       Gefahr von nuklearen Unfällen bloß breiter gestreut. Und für die Entsorgung
       des Atommülls gibt es immer noch keine glaubwürdige Lösung.
       
       Frankreich ist weder das einzige noch das erste Land, das auf SMR setzt.
       Auch die USA, Russland, Südkorea und China haben in diese Technologie
       investiert, mit der vor allem veraltete Kohlekraftwerke ersetzt werden
       sollen.
       
       Die Grünen (Europe Ecologie Les Verts) verweisen darauf, dass es bisher
       kaum eine Nachfrage für die „Mini-Reaktoren“ gebe und dass Frankreich
       frühestens 2040 Klein-AKW mit SMR ausrüsten könnte. Bis dahin aber müssten
       statt in diese mehr als fragwürdige Kerntechnologie in die erneuerbaren
       Energiequellen investiert und der Ausstieg aus der Abhängigkeit vom Uran
       fortgesetzt werden.
       
       15 Oct 2021
       
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