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       # taz.de -- Wasserprojekte in Bolivien: Verwundbare Wundergurke
       
       > Bewässerungsprojekte haben das Leben von Bauernfamilien im bolivianischen
       > Torotoro verbessert. Doch nun stehen sie vor neuen Problemen.
       
   IMG Bild: Tumbo, Curuba oder Bananen-Passionsfrucht: viele Namen und viel Vitamin C
       
       Torotoro taz | Die Frucht, die Timoteo Jaillitas Leben verändert hat, sieht
       aus wie eine übergewichtige Essiggurke. Die gelblich-grüne Schale birgt
       orangene Kügelchen, die an Froschlaich erinnern. Tumbo heißt sie in
       Bolivien, auf Deutsch Curuba oder Bananen-Passionsfrucht. Die säuerliche
       Frucht ist eine Vitamin-C-Bombe – und bringt in der [1][nächsten Stadt
       Cochabamba] gutes Geld.
       
       Jaillitas Pflanzen ranken sich in einer kleinen Parzelle in der entlegenen
       Region Torotoro in Bolivien an zwischen Stecken gespannten Drähten in
       mehreren Reihen entlang. Die Tropfen aus der Sprinkleranlage fallen auf die
       gefingerten Blätter – zumindest auf die, die noch übrig sind. Frost und
       Hagel haben Jaillitas kostbaren Tumbo-Garten arg dezimiert. Die meisten
       Zweige sind nackt, die Blätter schwarzbraun, die Früchte zerlöchert. „Mir
       ist fast alles weggestorben“, sagt Jaillita. Nur die Zwiebeln, Kartoffeln
       und Bohnen dazwischen sind noch da.
       
       In Torotoro bauen die Familien traditionell vor allem Kartoffeln, Mais und
       Weizen an und ernten diese einmal im Jahr. Tumbo lässt sich theoretisch 365
       Tage im Jahr ernten – braucht aber [2][regelmäßig Wasser.]
       
       Jaillita ist Bauer in einer Gegend, wo es verwundert, dass überhaupt etwas
       wächst. Unter leuchtend blauem Himmel erstreckt sich bis zur Bergkette eine
       Landschaft aus Felsen, Steinen und ausgedörrtem Land. Ziegen suchen nach
       vereinzelten Grashalmen, die Sonne brennt, gleichzeitig ist die Luft kühl.
       Die wenigen Bäume sehen aus, als ob Riesenvögel darin Nester gebaut hätten:
       Die Bauern schichten nach der Maisernte die Halme in den Kronen auf, um
       Viehfutter für noch kargere Zeiten zu haben. Regen fällt nur in zwei, drei
       Monaten im Jahr.
       
       ## Nach der Korruption kam das Geld
       
       Jaillita wohnt auf 2.900 Metern Höhe in Vila Qasa, einer der 65
       Gemeinschaften, die zu der Gemeinde Torotoro gehören. Die Fahrt vom Dorf zu
       ihm dauert mehrere Stunden und führt über ungeteerte Straßen, die immer
       wieder durch ausgetrocknete Flussbetten verlaufen.
       
       Dass Jaillita heute einen Garten hat, in dem Tumbo wachsen kann, verdankt
       er einem Projekt, das die Gemeinde vor 13 Jahren mit Unterstützung der
       Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) begann.
       Jaillita, seiner Familie und zwei Nachbarfamilien brachte das einen
       Bewässerungsteich, von dem ein Rohr hinunter zu den Parzellen führt. Im
       Gegenzug haben die Familien die Knochenarbeit geleistet und über eine
       Strecke von anderthalb Kilometern eine Leitung vom Teich bis zur Quelle auf
       dem Berg gelegt. Seitdem plätschert das Wasser unentwegt in die mit
       schwarzer Plane ausgelegte Mulde.
       
       Der schlaksige Mann in dem grünen Bolivientrikot, dem Schlapphut und den
       Backen voller Kokablättern ist hier in der Region ein Vorbild, sagt
       Eliodoro Uriona Pardo. Er war bis vor wenigen Monaten Bürgermeister von
       Torotoro und hat das Projekt an Land gezogen. Die vorherigen
       Dorfregierungen seien korrupt gewesen, sagt Uriona. „Deswegen hat Torotoro
       vorher wenig Geld bekommen. Wo es Korruption gibt, zieht sich die
       internationale Kooperation zurück.“ Zur Überzeugung seien viele Treffen und
       Briefe nötig gewesen. Bei unserem Besuch übersetzt er [3][aus der indigenen
       Sprache Quechua ins Spanische].
       
       Zwischen der ersten Vorstellung des Projekts bei der
       Gemeinschaftsversammlung und dem ersten Wasser aus dem Sprinkler vergingen
       Jahre. Bevor der Bau der Anlage überhaupt begann, schleppte Jaillita erst
       einmal monatelang Steine von den Feldern und baute eine 100 Meter lange
       Mauer um seinen künftigen Garten. Das verlangte einen Vertrauensvorschuss,
       war aber die Bedingung, um mitmachen zu dürfen, erklärt der ehemalige
       Bürgermeister: „Ich habe zuvor andere Projekte für Stiftungen begleitet, wo
       dann die Schafe kamen und alles wieder auffraßen – ciao, Investitionen,
       ciao, Projekt.“
       
       Jaillitas Tumbo-Garten hingegen wurde zum Pilotprojekt. Andere Bauern,
       Minister und Gemeinderäte besuchten ihn zum Erfahrungsaustausch. Und
       Jaillita reiste zum Austausch zu Bauernfamilien in anderen Regionen und
       sogar ins Ausland. „Die Bauern hier haben oft höchstens die erste oder
       zweite Klasse besucht“, sagt Uriona. „Wenn sie von Bauer zu Bauer auf
       Augenhöhe miteinander reden, bringt das viel.“
       
       ## Ein Wald für Vila Qasa
       
       Jaillita hastet den Hang hinab. Er will uns seine Terrassen zeigen, auf
       denen er Erdnüsse und Süßkartoffeln anbaut. „Das hilft gegen Erosion, wie
       in Machu Picchu!“, sagt er stolz. Auch Peru hat er zum Erfahrungsaustausch
       besucht. Und er hat noch mehr Pläne: Die Bewässerung will er erweitern, um
       Äpfel und Pfirsiche anzubauen. Früher habe er nur für den Eigenbedarf
       angebaut. Heute habe er Visionen.
       
       Und so hat er auf der anderen Seite des Bergs auf eigene Faust
       weitergemacht: mit Bäumen, die ihm die Gemeinde schenkte, unter der
       Bedingung, dass er mindestens einen Hektar aufforstet. Den hat er längst
       überschritten. 3.000 Bäume sind es schon. „In vier, fünf Jahren ist das ein
       Wald. Damit ziehe ich den Regen an.“
       
       Darunter sind die heimische Erle (Alnus acuminata), die Fliederart Kiswara
       (Buddleja incana), aber auch Eukalyptus und Pinien. In der Regenzeit wächst
       unter ihnen ein Pilz namens K'allampa. „Ich weiß noch nicht, wie man ihn
       zubereitet, das muss ich noch lernen“, sagt Jaillita. Was er allerdings
       weiß: Der Pilz lässt sich in der [4][Stadt Cochabamba] gut verkaufen. „Aber
       dafür brauchen wir hier einen Solar-Trockner.“
       
       Bislang verkauft Jaillita dort und in Torotoro vor allem die Tumbo-Frucht.
       Die Gemeinde kauft den Bauern einen Teil der Ernte ab und lässt daraus in
       der örtlichen Fabrik Saft und Marmelade für das Schulfrühstück herstellen,
       berichtet der ehemalige Bürgermeister. Vorher bekamen die Schulkinder
       Milchpulver und Kekse.
       
       So haben sich durch das Projekt auch die Ernährungsgewohnheiten verändert.
       „Unser Ziel war, dass dank der Bewässerung die Kinder gesund, stark und
       intelligenter werden“, sagt Ex-Bürgermeister Eliodoro Uriona. „Wir haben
       gesehen, dass sie die Schule abschließen, aber die Zugangstests für die Uni
       nicht schaffen. Das ist auch ein Ergebnis der schlechten Ernährung.“
       
       ## Tumbo-Ernte für die Bildung
       
       Zu Hochzeiten verdiente Jaillita mit Tumbo bis zu 5.000 Bolivianos,
       umgerechnet etwa 610 Euro im Monat. Das ist mehr als so mancher Beamter.
       Viele Bauern verdienen gerade einmal 100 Bolivianos. Den Gewinn hat er in
       die Bildung seiner Kinder investiert: „Ich habe allen sechs einen Beruf
       ermöglicht. Wenn ich sterbe, haben sie studiert und Geld.“
       
       Auch Felicidad Rodríguez und ihr Mann Alberto Coyote Aguilario in der
       Gemeinschaft Araría haben das Zusatzeinkommen in die Ausbildung ihrer
       Kinder gesteckt. Ihr kleiner Hof steht an einem steilen Hang mit Blick über
       eine Schlucht und gilt mit dem Tumbo-Anbau ebenfalls als Vorzeigebetrieb.
       Die fünf Jahre alte Sprinkleranlage sieht aus wie neu, so gut pflegen sie
       sie. Die beiden haben alle Haustiere durchprobiert und am Ende
       festgestellt, dass Ameisenscheiße vom Berg der beste Dünger ist. Ein Trick,
       den selbst die IngenieurInnen nicht kannten, die für das Projekt die
       Familien begleiteten, erzählen die beiden.
       
       Seit ihr Hof an die Bewässerungsanlage angeschlossen ist, hat sich das
       Familienleben völlig verändert. Vor allem die Männer der ländlichen
       Berggemeinden sind schon immer Teile des Jahres migriert. Früher, als sie
       nur einmal im Jahr ernteten, musste ihr Mann bis zu vier Monate im Jahr in
       Hunderte Kilometer entfernte Regionen reisen, um auf den Kokafeldern Geld
       zu verdienen, erzählt Rodríguez. Sie blieb alleine mit den fünf Kindern,
       Vieh und Feld zurück. Damals gab es keinen Empfang und keine Möglichkeit,
       mit ihrem Mann zu sprechen. 25 Jahre ging das so.
       
       Seit fünf Jahren ist das anders – weil Tumbo mehr Geld bringt und mehr
       Pflege verlangt. „Wir leben glücklicher als früher“, sagt Rodríguez. Zum
       Verkauf der Ernte muss ihr Mann nicht mehr den Esel bepacken, sondern der
       Zwischenhändler kommt über die neue Straße zu ihnen, ebenso ein rollender
       Gemischtwarenhändler.
       
       Doch ihre Pflanzen bereiten ihnen Sorgen. Als sie sich von dem heftigen
       Hagel vor zwei Jahren endlich erholt hatten, kam die Krankheit. Die
       hinterlässt Flecken, die den Preis mindern. Würmer fressen Löcher in die
       Früchte. Sie müssen spritzen. Der Ertrag ist eingebrochen. Ihr Einkommen
       aus dem Tumbo-Anbau sei auf 1.000 Bolivianos im Monat, etwa 122 Euro,
       gesunken.
       
       Vor allem aber reicht das Wasser aus ihrem Bewässerungsteich auf dem Berg
       nicht mehr. Der Erfolg des Pilotprojekts hatte Folgen. Die anderen Familien
       bauen immer mehr und immer wasserintensivere Pflanzen an, weil sie ihr
       Einkommen ebenfalls steigern wollen.
       
       Auch bei der Wartung des Bewässerungssystems wird geschludert, seit die GIZ
       und die Gemeindeverwaltung keine Techniker mehr schicken. Eigentlich
       müssten die NutzerInnen jeden Monat den Schlauch und die Quelle überprüfen.
       Weil sie sich nicht einigen können, wer mehr Pflanzen hat und
       dementsprechend mehr arbeiten müsste, passiert das bei ihm einmal im Jahr –
       oder wenn es ein Problem gibt, erzählt Timoteo Jaillita.
       
       Bei Felicidad Rodríguez und Alberto Aguilario fallen inzwischen schon die
       Blüten von den Pflanzen ab. „Wir brauchen mehr Wasser“, sagt Aguilario.
       
       20 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wasserversorgung-in-Bolivien/!5805284
   DIR [2] /Waldberater-ueber-Wasser-in-Kolumbien/!5780227
   DIR [3] https://www.giz.de/de/weltweit/22800.html
   DIR [4] /Gruenflaechen-in-Bolivien/!5806721
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Wojczenko
       
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