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       # taz.de -- Kunsttipps der Woche: Noch einmal mit Gefühl
       
       > Britta Thie porträtiert Kameraequipment und verleiht ihm Wesen, Wu Tsang
       > trägt ein kraftvolles „Anthem“ über die Liebe von New York nach Berlin.
       
   IMG Bild: Wu Tsang, „∞“, 2021, Videoprojektion, 40 Min
       
       Es liegt freilich auch am Licht, das Britta Thie in ihren Bildern einfängt.
       Dessen Nuancen – in einer fahlen Nacht, als kühles Neon, seine Reflexion
       auf nassem Teer – unterstreichen noch die Stimmung, die von ihren Sujets
       ausgeht. Geduldig, stumm, einsam stehen sie herum, bis sie wieder gebraucht
       werden: Kamerawagen, Scheinwerfer, Akkuladegeräte, Technikequipment unter
       Regenschutz. Britta Thie begegnete ihnen beim Dreh einer Fernsehserie in
       Budapest, als sie selbst, als Schauspielerin gebucht, am Rande des Sets auf
       ihre nächste Szene wartete. Sie fotografierte die Geräte zunächst, malte
       sie dann im Anschluss ganz klassisch mit Öl auf Leinwand.
       
       Thies Bilder als Stillleben zu beschreiben käme ihnen nicht gerecht.
       Vielmehr ähneln Gemälde wie „High-Five“ (2021) Porträts, solchen, die man
       in Auftrag gibt, solchen aus einer Ahnengalerie vielleicht. Es sind Bilder,
       die versuchen, die Persönlichkeit der Abgebildeten einzufangen, die
       Wesenhaftigkeit, zwar nicht von Menschen, aber von Maschinen im Dienste von
       Menschen.
       
       Thie wurde eigentlich mit Videokunst bekannt, mit der Serie „Grip“, die
       zunächst im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden zu sehen war (aufgrund des
       Lockdowns jedoch nur ganz kurz gezeigt wurde) und jetzt im [1][Projektraum
       Fragile] auf der Leipziger Straße, ist sie zur Malerei zurückgekehrt,
       erstmals seit ihrem Studium. Mit hineingespielt hat da die spezielle
       Situation der vergangenen anderthalb Jahre, in der das Filmen nicht mehr so
       leicht möglich war, einige Künstler*innen jedoch offenbar Muße fanden,
       sich anderen Medien zuzuwenden, einem anderen Tempo auch.
       
       Fast wie ein Kommentar, nicht zuletzt auch auf ihre eigenen Arbeiten,
       lassen sich die Porträts lesen. Letztlich geht es eben doch um
       Vergänglichkeit. Sie setzen zu der rasenden digitalen Bilderflut, die in
       Thies Kunst immer schon Echo fand, einen Kontrapunkt. Ebenso spiegelt sich
       in den Bildern die immer schnellere, immer aufwendigere
       TV-Serienmaschinerie, die pausenlos weiterläuft, um dem nimmersatten
       Streamingpublikum Nachschub zu liefern – Nachschub, der ein paar
       Produktionen später wahrscheinlich längst wieder vergessen ist.
       
       ## Copeland voller Liebe
       
       Von der Unterhaltungsindustrie erzählt auch Wu Tsangs Ausstellung
       „Lovesong“, die aktuell bei [2][Isabella Bortolozzi] zu sehen und zu hören
       ist. Die Multikanal-Sound- und Video-Installation mit skulpturalen
       Elementen „Anthem“ umkreist den US-amerikanischen Jazz-Sänger, Komponisten
       und Transgenderaktivisten [3][Beverly-Glenn Copeland].
       
       Ursprünglich war „Anthem“ für die Rotunde des New Yorker Guggenheim Museums
       konzipiert worden. Für die Version in der Galerie musste sie an deren
       Räumlichkeiten angepasst werden. Platz für den riesigen Vorhang, auf den im
       Guggenheim der von der Liebe singende Copeland projiziert wurde, war da
       nicht, doch auch in der kleineren Form entfaltet die Stimme ihre Wirkung,
       ihre Wärme, ihre Kraft. Unterstützt wird diese Stimme dabei unter anderem
       von der Musikerin [4][Kelsey Lu]. Künstler*innen zusammenzubringen ist
       ja seit geraumer Zeit wichtiger Teil von Wu Tsangs Arbeiten, wunderbar
       ergänzt sich das in diesem Fall.
       
       Und um die Frage, wer sich wie ergänzt, geht es ohnehin. Noch berührender
       ist es, vorher oder nachher einen Raum weiter auf einer zweiten Videoarbeit
       Copeland und seine Partnerin Elizabeth über die Liebe sprechen zu hören,
       ihnen zuzusehen, wie sie beide in elegantem Blau Hand in Hand dasitzen und
       über die Herausforderungen und Ängste sprechen, die mit der Verbindung
       zweier Menschen einhergehen, und über all das Schöne, das geschehen kann,
       wenn man bereit ist, sich diesen zu stellen.
       
       23 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.fragile.berlin/
   DIR [2] https://bortolozzi.com/
   DIR [3] https://beverlyglenncopeland.com/
   DIR [4] https://www.instagram.com/iamkelseylu/?hl=en
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Beate Scheder
       
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