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       # taz.de -- Geflüchtete aus Belarus: „Plötzlich sind sie verschwunden“
       
       > Wie können in Belarus verbotene Organisationen dennoch Geflüchteten
       > helfen? Alena Tschechowitsch und Wadim Mojeiko berichten über die Lage.
       
   IMG Bild: Ärzte einer polnischen Organisation helfen Geflüchteten an der Grenze zu Belarus
       
       taz am wochenende: Frau Tschechowitsch, Ihre Organisation Human Constanta
       gründete sich 2016, um Geflüchteten in Belarus zu helfen. Nun sind Sie
       selbst im Exil, während Migranten [1][an den Außengrenzen] Ihres Landes
       feststecken. Können Sie trotzdem etwas für sie tun?
       
       Alena Tschechowitsch: Im Moment versuchen wir, uns ein Bild von der Lage zu
       machen. Auch wenn unsere Organisation aufgelöst worden ist, gibt es in
       Belarus immer noch Freiwillige, die uns unterstützen. Sie versuchen, an
       Informationen zu kommen. Das ist für sie sehr riskant. Wir sind ja in
       Belarus illegal. Ich kann deshalb nicht zu viel verraten, weil es für sie
       gefährlich sein könnte. Außerdem haben wir immer noch unsere Internetseite.
       Geflüchtete versuchen, uns zu kontaktieren. Oder es melden sich ihre
       Familien in der Heimat, die uns um Hilfe bitten.
       
       Wie können Sie den Migranten oder ihren Angehörigen helfen? 
       
       Tschechowitsch: Wir bieten online Beratungen an. Gerade bereiten wir einen
       Leitfaden vor, der Geflüchtete über das Asylprozedere in der EU informieren
       soll. Darin steht zum Beispiel, dass sie in Polen oder Litauen um Asyl
       bitten sollen, statt zu versuchen, sich nach Deutschland durchzuschlagen.
       Wir können auch Kontakte herstellen zum UN-Flüchtlingswerk oder zum
       Belarussischen Roten Kreuz. Letzteres ist allerdings schwierig für uns,
       weil es eine regierungsnahe Organisation ist. Verwandte teilen uns oft mit,
       dass ihre Angehörigen sich zuletzt aus Minsk oder Grodno gemeldet haben.
       Und plötzlich sind sie verschwunden.
       
       Herr Mojeiko, die belarussische Zivilgesellschaft ist seit den
       Präsidentschaftswahlen 2020 im Konflikt mit dem Machthaber Alexander
       Lukaschenko. Wie sind die Reaktionen auf die „Migrantenkrise“? 
       
       Wadim Mojeiko: Lukaschenko hat der Zivilgesellschaft den Krieg erklärt und
       die meisten unabhängigen Organisationen zerschlagen. NGOs fallen deshalb
       als Helfer in der Krise aus. Wer sich in einem Land wie Belarus für
       Menschenrechte einsetzt, tut das aus dem Herzen heraus und in dem Wissen um
       die Gefahren. Deshalb gibt es auch jetzt Einzelne, die sich für Geflüchtete
       einsetzen.
       
       Welche Informationen haben Sie über die Lage der Migranten in Belarus? 
       
       Tschechowitsch: Derzeit wissen wir wenig. Einige Freiwillige und
       Journalisten berichten uns von obdachlosen Migranten auf den Straßen von
       Grodno und Minsk. Wir vertrauen diesen Quellen, aber bestätigen können wir
       das nicht. Andere mieten sich unseren Beobachtern zufolge von ihrem eigenen
       Geld Zimmer in Hostels oder Herbergen. Wir gehen davon aus, dass sie sich
       selbst mit allem Nötigen versorgen, bis sie zur Grenze gebracht werden.
       
       Mojeiko: Die Regierung gibt keine offiziellen Zahlen bekannt. Es gibt nur
       Schätzungen, von Tausenden, die entweder in den Wäldern unterwegs sind
       oder, sofern es ihr Budget erlaubt, sich eine Unterkunft mieten.
       
       [2][Polen und die baltischen Staaten errichten Barrieren an ihren Grenzen],
       um sie undurchdringbar zu machen. Was würde es für die Migranten in Belarus
       bedeuten, wenn der Weg nach Westen versperrt ist? 
       
       Tschechowitsch: Das wäre das Ende ihrer Flucht. Die belarussischen Behörden
       würden sie aufspüren und einsperren, bis sie abgeschoben werden können.
       
       Einige Beobachter sprechen davon, dass Lukaschenkos Versuch, die EU mit
       Migranten unter Druck zu setzen, für ihn selbst gefährlich werden könnte,
       weil die Bevölkerung unruhig wird. Sehen sie Anzeichen für Spannungen? 
       
       Tschechowitsch: Wir haben uns 2016 gegründet, als eine Gruppe Tschetschenen
       an der polnischen Grenze zurückgewiesen wurde. Die Dimensionen sind heute
       viel größer. Aber die Zahl der Migranten ist auf der anderen Seite nicht so
       riesig, dass die Geflüchteten den meisten Belarussen auffallen würden. Ich
       denke, dass Lukaschenko die Situation schnell in seinem Sinne und mit
       seinen Methoden lösen wird, wenn die Belastung für sein Regime
       überhandnimmt.
       
       Mojeiko: Sicher wird das Regime hart durchgreifen. Es spielt über die Köpfe
       der Belarussen und [3][der Geflüchteten] ein politisches Spiel mit der EU.
       Die spannende Frage ist, was passiert, wenn die Migranten ihre letzten
       Mittel aufgebraucht haben, die Grenzen geschlossen sind und sie ziellos und
       verzweifelt durch das Land ziehen. Dann kann es Probleme mit der lokalen
       Bevölkerung geben. Den Belarussen wird durch die Geflüchtetenkrise erneut
       vor Augen geführt, dass diese Regierung ihnen nur Schwierigkeiten bereitet.
       
       1 Nov 2021
       
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