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       # taz.de -- Umgang mit chronischem Stress: Einfach mal hinlegen
       
       > Die Optimierungsgesellschaft kennt keine Grenzen: Wir googeln „was mache
       > ich, wenn ich oft müde bin“, statt uns auszuruhen.
       
   IMG Bild: Sich ein Beispiel an der Katze nehmen: ausruhen, wenn man müde ist
       
       Wir leben bekanntermaßen in einer Optimierungsgesellschaft. Leistungen
       sollen optimiert werden, Outcomes, Teams, Prozesse, Kommunikation, auch
       Freundschaften und, natürlich – der eigene Körper. Er soll nicht krank
       werden, er soll das leisten, was wir brauchen, zu jeder Zeit. Wer kann es
       sich schon „leisten“, nicht zu funktionieren?
       
       Damit das alles reibungslos läuft, nehmen wir Pillen, Kügelchen oder auch
       mal Drogen. Wir fühlen uns müde? Wir googeln „[1][was mache ich, wenn ich
       oft müde bin]“, anstatt uns mal auszuruhen. Wir haben Kopfschmerzen, aber
       keine Zeit, uns hinzulegen? Auf zum Medikamentenschrank.
       
       Wir können nicht schlafen? Wir probieren es mit Baldrian, aber das
       funktioniert nicht, also gehen wir zu*r Ärzt*in, die*der uns auch
       ziemlich schnell ein entsprechendes Schlafmittel verschreibt. Millionen von
       Menschen haben Schlafprobleme, liegen nachts wach und denken „jetzt habe
       ich noch fünf Stunden Schlaf, jetzt nur noch vier, ich werde so müde sein
       bei meiner Präsentation morgen …“ In Deutschland sind 1,7 Millionen
       Menschen [2][abhängig von Medikamenten], und davon zum größten Teil von
       Schlafmitteln.
       
       Besonders beliebt im täglichen Pillen-Mix sind
       [3][Nahrungsergänzungsmittel]. Die Regale der Drogerien sind voll davon.
       Was soll es also schaden? Denn wenn wir googeln „was mache ich, wenn ich
       oft müde bin“, steht da etwas von „Mangelernährung“, und das macht ja
       irgendwie auch Sinn, schließlich läuft das mit der Ernährung nicht gerade
       glatt, aber wann soll man auch kochen bei den Arbeitszeiten? Dabei zeigen
       Untersuchungen, dass zu hohe Dosen mancher Vitamine sehr wohl schaden,
       sogar zu Krebserkrankungen führen können.
       
       ## Nicht jeder kann sich Erholung leisten
       
       Die Industrie der Lifestyle- und Abhängigkeits-Pillen (Schmerz und Schlaf)
       ist eine Milliarden-Euro-Industrie. Sie basiert unter anderem auf den
       Strukturen unser Optimierungs- und Ausbeutungsindustrie. [4][Und wir, wir
       interpretieren es als Schwäche, wenn der Körper „versagt“]; dabei sollten
       wir unserem Körper dankbar dafür sein, dass er die meiste Zeit
       „funktioniert“. Wir könnten ihm als Dank ab und zu Pausen schenken,
       Fürsorge und Zeit. Oder, ganz verwegen: Liebe.
       
       Der Staat, die kapitalistischen Strukturen werden unseren Körpern diesen
       Gefallen nicht tun. Diejenigen von uns, die es sich leisten können, sollten
       es aber tun. Auch für diejenigen, die es nicht können. Denn es gibt
       Menschen, die es sich nicht leisten können, gesund zu leben, gesund zu
       kochen, gesund zu schlafen, zum Beispiel weil sie am Rand des
       Existenzminimums leben oder unter psychischen Erkrankungen leiden. Gerade
       für sie muss sich diese Optimierungsgesellschaft ändern.
       
       Es klingt einfach, ist aber potenziell radikal: Ausruhen, wer krank ist.
       Kochen anstatt Pillen schlucken. Ausschlafen, anstatt sich müde ins Büro zu
       schleppen. Denn: Unsere Körper sind keine Maschinen. Und am Ende des Tages
       werden immer sie es sein, die den Ton angeben.
       
       2 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlaf
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=5NRVJKDa4Eo
   DIR [3] /Kollagen-als-Nahrungsergaenzungsmittel/!5777920
   DIR [4] /Idealtypen-von-Koerpern/!5807513
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gilda Sahebi
       
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