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       # taz.de -- Die Wahrheit: Die Geisterjäger von Karlsruhe
       
       > Noch nicht genug gegruselt? Nach Halloween kommt Allerheiligen – und die
       > lange Nacht der Nachtwanderung.
       
   IMG Bild: Sie waren einfach überall: Geister, die niemand rief
       
       Ein altes Gemäuer im Mondenschein, elektrische Geräte, huschende Schatten,
       eine muntere Truppe von sechs Menschen und zwei Reportern, die der alten
       Geschichte einer jungen Frau, die von ihrem Vater verflucht wurde, auf den
       Grund gehen wollen – was kann da schon schiefgehen?
       
       Wir treffen uns mitten in der Nacht mit den Karlsruher Para Hunters – das
       sind Marc, Eule, Stephan, genannt Psycho, Silvana, Steffi und Sven – am
       Fuße der Ruine der St. Barbara-Kapelle bei Karlsruhe. Die Ruine ist auf
       einer Anhöhe gelegen, von der weniger klettererfahrene Wanderer vielleicht
       sagen würden, dass dieser Hügel ein stattlicher Berg sei. Es ist schon
       kalt, einer der sommerverwöhnten Gespensterjäger – also ich – ist mit
       kurzer Hose unterwegs, kraxelt den steilen Tretpfad durch Brennnesselbüsche
       und Brombeerkrallen hinauf, den Schein der kleinen Taschenlampe stets im
       Auge. Hoffentlich hält die Batterie. Unsere Stimmung ist freudig aufgeregt
       und fühlt sich wie eine Mischung aus Pfadfinder-Abenteuer und Gefahr an.
       Ein Uhu uhut.
       
       Wer jemals eine spannende Nachtwanderung mit Raureif und ungewissem Ausgang
       unternommen hat, kann möglicherweise nachvollziehen, wie die verschiedenen
       Büsche und Blätter und Baumstümpfe im Schein des Mondes, der sich immer
       wieder hinter Wolken versteckt, auf ein zartes Gemüt wirken können. Wir
       sprechen hier nicht von nackter Angst, sondern von einem ungewissen Gefühl,
       das sich nicht zwischen Lachen und „Oh Gott, hoffentlich kommt nicht
       wirklich ein Geist“ entscheiden kann.
       
       Mit echten Geistern hatten es die Para Hunters nämlich tatsächlich schon zu
       tun. Marc erzählt von einer wirklich beängstigenden Fotografie, auf der er
       eine dunkle Gestalt festhalten konnte, die Psycho eine Pranke auf die
       Schulter gelegt hatte. Psycho ist der Mann, der wie ein Magnet auf die
       Wesen aus dem Jenseits wirkt. „Ich muss, wenn wir unterwegs sind und ich
       spüre, dass etwas bei mir ist, nur schnell Marc ein Zeichen geben. Marc
       weiß dann gleich Bescheid und schießt Fotos.“ Das Pranken-Foto konnte – wie
       alles Bild- und Tonmaterial der Para Hunters – erst im Nachhinein
       ausgewertet werden, denn direkt vor Ort zeigen sich die Geister nicht. Sie
       können es nicht, oder sie möchten es nicht. Das ist von Geist zu Geist
       verschieden.
       
       ## Doch
       
       Doch auf dem Material, das in mühevoller Kleinarbeit im Anschluss an die
       nächtlichen Expeditionen ausgewertet wird, sind die Wesenheiten umso
       deutlicher zu erkennen. So wie die Pranken-Gestalt, die sich wie magisch
       von Psycho angezogen fühlte und ihn an der Schulter anfasste. „Es war
       wirklich erschreckend“, bestätigen die Para Hunters einander. Was aber
       folgte, war noch viel verstörender: „Es ist kaum zu glauben, aber als wir
       das Foto noch einmal ansehen wollten, war es sowohl von der Kamera als auch
       vom Computer, auf dem wir es gespeichert hatten, restlos verschwunden.“ Ich
       möchte gerne wissen, ob Geister auch auf Computertechnik einwirken können,
       und Marc, Psycho und Steffi schließen das nicht aus.
       
       Aber zurück zur Kapellenruine, die sich – passend zum Anlass – mit
       silbrigem Nebelgewand umhüllt hat und dadurch ein beinahe jungfräuliches
       Bild abgibt. Die junge Frau, die hier umgeht, hatte einst vor vielen
       Jahrhunderten den Bau des Gemäuers überwachen sollen, doch als sie der
       Wünsche des Vaters nicht achtete und mehr Fenster einbauen ließ, als der es
       geboten hatte, verfluchte er das Mädchen, welches seither als Weiße Frau
       unerlöst herumspukt und kistenweise Schätze sowie einen noch unentdeckten
       Geheimgang bewacht. Auch ein schwarzer Mönch wurde in der Umgebung schon
       gesehen.
       
       Die Kapelle duftet nach Moder und Geschichten.
       
       ## Bevor
       
       Bevor es richtig losgeht, ordnen die Jäger ihre Geräte. Marc erklärt: „Der
       Begriff ‚Jäger‘ trifft auf uns eigentlich nicht zu, denn wir jagen die
       Geister nicht, wir möchten sie nur kontaktieren und ihnen nichts tun.“
       Hoffentlich denken die Geister umgekehrt genauso … Einer der Gründe für
       dieses schöne und außergewöhnliche Hobby ist, dass die Geisterfreunde an
       ein Leben nach dem Tod glauben und dafür Beweise sammeln möchten. Sie alle
       hatten schon den ein oder anderen Kontakt zu den Wesen aus der anderen Welt
       und möchten es entweder begreifen oder vertiefen.
       
       Nachdem die Metallkoffer mit den Voice- und Audiogeräten, den Kameras und –
       besonders wichtig: dem KII-EMF-Meter, mit dem sich Spitzen in der
       elektromagnetischen Strahlung messen lassen, nachdem also all diese
       nützlichen Hilfsmittel ausgepackt sind, geht es auch schon los. Die Para
       Hunters stellen sich innerhalb des Gemäuer-Innenhofes im Kreis auf, ich
       stehe etwas abseits und werde gebeten, still zu sein. Dann erklärt Marc den
       Geistern: „Wir kommen in freundlicher Absicht. Ist hier jemand, der mit uns
       in Kontakt treten möchte?“, fragt er. „Falls ihr da seid, könnt ihr jetzt
       mit uns sprechen oder euch bemerkbar machen, indem ihr dieses Gerät hier
       berührt.“ Er deutet auf den KII-EMF-Meter, der erwartungsvoll in der Mitte
       des Kreises liegt.
       
       Plötzlich ein kleiner, gellender, spitzer Schrei! Oh nein, er entrang sich
       meiner eigenen Kehle, denn im schwarzen Oval des halbverfallenen Torbogens
       habe ich eine Gestalt entdeckt. Sie steht bewegungslos dort und starrt uns
       an! Als ich sie mit einem einfühlsamen „Verdammt, was machen Sie hier?“
       anfahre, verschwindet sie wieder im Dunkel der Nacht. Als ich die Profis
       frage, ob das ein Gespenst war, lachen sie gütig und es fehlt nicht viel
       dazu, dass sie mir beruhigend über das Haar streicheln: „Nein, das war nur
       ein Betrunkener, er hatte Markenschuhe und eine Bierdose. Solche Typen
       kommen hier öfter vorbei, sie suchen einen Kick.“ Markenschuhe statt
       Sandalen und eine Dose Glühwein hätte ich grad auch gerne, denn ich friere
       wie ein Schneider.
       
       Da der betrunkene Mann hier die Stimmung verdorben hat, beschließen wir,
       uns zu trennen. Fünf von uns gehen in den finsteren Wald und drei bleiben
       bei der 300 Meter entfernten Kapelle. Der KII-EMF-Meter kommt abermals zum
       Einsatz, Marc erklärt auch im Wald den Geistern, was wir vorhaben, und wir
       warten. Ein Walkie-Talkie-Anruf aus der Kapelle: „Hier war jemand, er ist
       jetzt auf dem Weg zu euch!“ Gebannt starren wir auf den KII-EMF-Meter – und
       da: Er blinkt! Ich kann mir eine Gänsehaut nicht verkneifen und ich fühle,
       wie meine Haare vor Angst schlohweiß werden. Mir reicht es, ich schnappe
       meinen Fotografen und stolpere schreiend durchs Dickicht hinunter ins Dorf,
       hinein in das Auto und kann für fünf Stunden nicht aufhören zu bibbern. Was
       für ein tolles und unvergessliches Abenteuer!!! Danke, Para Hunters, danke,
       Geister, es war so schön mit euch! Gerne irgendwann wieder, dann auch mit
       Mönch …
       
       1 Nov 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Corinna Stegemann
       
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