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       # taz.de -- Die Wahrheit: Schütze Arsch vom Altersheim
       
       > Die Bundeswehr setzt jetzt zur Modernisierung der Truppe eine Wunderpille
       > gegen altersbedingten Personalmangel ein.
       
       Los, los, los! Ihr alten Säcke!“, krächzt Oberstabsfeldwebel Friedhelm
       Wuttkes helles Knaben-Vibrato über den Truppenübungsplatz der
       baden-württembergischen Albkaserne. Gut zwei Dutzend Wehrpflichtige in
       Retro-Trainingsanzügen robben vor den Augen der Presse unter Stacheldraht
       durch den Matsch, überwinden per Hechtsprung und Judorolle mannshohe
       Palisaden und schwingen sich an armdicken Tauen dynamisch über
       vermeintliche Minenfelder.
       
       Das Besondere: Obwohl die blutjung aussehenden Rekruten den Drill eher wie
       eine Schulsportstunde aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts
       wirken lassen, üben hier laut Belegungsplan der Bundeswehr-Akademie
       ausschließlich rüstige Mittsiebziger für zukünftige Kampfeinsätze.
       
       Wie kann das sein? Seit das US-Militär ein Medikament des
       Pharma-Unternehmens MetroBiotech, das die Auswirkungen des Alterns
       rückgängig und Leistungsmerkmale von Frontsoldaten signifikant verbessern
       soll, erfolgreich an zivilem Personal getestet hat, setzten neben den
       „Special Forces“ auch die von Nachwuchssorgen gebeutelten deutschen
       Streitkräfte in ihrer Operation „Methusalem 2.0“ voll auf die
       Anti-Aging-Wunderpille. Wuttke, dessen schlanker Lausbubenkörper nur zu
       Teilen aus der schlabbrigen und viel zu großen Uniform herauslugt, ist
       selbst Proband der ersten Stunde.
       
       „Zuerst sollte das Präparat bloß die Leistungsmerkmale der Prostata
       erhöhen, damit unsere angegrauten Übersee-Legionäre beim nächtlichen
       Latrinengang nicht mehr ständig von Schakalen angefallen werden“, maunzt
       der 69-jährige gebürtige Bautzener im hauchzarten Prä-Stimmbruch-Sächsisch.
       „Bei näherer Beobachtung wurden dann zusätzliche, verblüffende Nebeneffekte
       wie verbesserte Ausdauer, beschleunigte Wundheilung sowie eine generelle
       Tendenz zu … ähm … repetitiver autoerotischer Fixation festgestellt.“
       
       Wuttke errötet und kratzt sich linkisch das aknegeplagte Teenie-Kinn.
       
       „Na ja, im Einsatzführungskommando hat man sich daraufhin gedacht, warum
       die ‚Generation Z‘ unter Tränen zum Bleiben jenseits der Probezeit
       anflehen, wenn wir Rentnern den Exerzierplatz mit einer Mischung aus
       geschicktem Marketing und dreistem Lügengebilde als Hort von ewiger Jugend
       und Glückseligkeit verkaufen können?“
       
       ## Käpt’n Jopi
       
       Auf den gewaltigen Erfolg eines 30-sekündigen TV-Werbespots mit dem
       knackfrischen Wolfgang Joop als makellos lächelnden Fregattenkapitän, sei
       man allerdings nie und nimmer vorbereitet gewesen.
       
       „Weil wir den wütenden Ansturm zu Anfang nur schwer bewältigen konnten,
       haben wir auf eine Eingangsuntersuchung verzichtet und das Alter der
       Kombattanten im Eilverfahren geschätzt. Da ließ sich die ein oder andere
       Überdosierung natürlich nicht vermeiden.“
       
       Der halbwüchsige Ausbilder deutet auf das umzäunte, mit „Kita-Bataillon
       Astrid Lindgren“ überschriebene Gebäude neben dem Trainingsareal, wo
       drollig behelmte Miniatur-Pioniere ihre Schützengräben bis zum Erreichen
       der Schulreife erst mal nur mit Plastikschaufeln und unter Aufsicht
       ausheben dürfen.
       
       „Da wir unseren Schrumpfis zudem späte Skatrunden, Rauchen und
       Cognactrinken verbieten mussten, um die körperliche Aufholjagd nicht zu
       gefährden, ist es mit der Moral in diesem Teil der Truppe nicht weit her“,
       erhebt der Kompanie-Spieß seine Stimme über das Gebrüll der am Draht
       rüttelnden Kampfzwerge. Größtes Hindernis auf dem Weg zur geriatrischen
       Wiederbewaffnung ist und bleibt laut Wuttke jedoch das rein physiologische
       Wirkungsprinzip der Arznei. „Verhaltensweisen, die mit Lebenserfahrung und
       persönlicher Reife einhergehen, werden in der Regel von der Droge nicht
       beeinflusst. Im Angesicht des Feindes kann Altersmilde da genauso zum
       Problem werden wie Altersstarrsinn beim Befolgen von Marsch- oder
       Schießbefehlen.“
       
       Aber damit nicht genug, klagt Wuttke. Während „genuine“ Teenager in der
       Grundausbildung allenfalls an Wochenenden mal über die Stränge schlügen,
       seien die verjüngten Alten in einem Maß hedonistisch, dass einem Hören und
       Sehen vergehe.
       
       ## Mainau und zurück
       
       „Im Moment sind ganze Hundertschaften von Feldjägern mit nichts anderem
       beschäftigt, als Heranwachsende in Baumwollpullundern und Stretchcordhosen
       mehrmals in der Woche von der Blumeninsel Mainau, dem Baden-Badener
       Kurgarten oder einem 200 Kilometer entfernten Outlet für orthopädische
       Schuhmode zurück in die Kaserne zu bringen“, poltert der Baby-General so
       agitiert, dass ihm sein überdimensionierter Stahlhelm kurz ins Gesicht
       rutscht. „Sie sollten mal sehen, was hier bei Damenwahl im örtlichen
       Seniorenstift los ist. Da müssen wir Warnschüsse in die Luft feuern, um die
       Bande von den Toren wegzuhalten!“
       
       Wuttke, der als Befehlshaber gegen einen Rückfall in seniorenkonformes
       Verhalten täglich mehrere Liter Energydrinks trinken, mindestens zehn
       Stunden „Call of Duty“ spielen und seinen eigenen Youtube-Kanal betreiben
       muss, wirft einen genervten Blick auf seine antik aussehende Armbanduhr und
       kramt aus der Brusttasche eine Trillerpfeife hervor, in die er nach Kräften
       hineinbläst. Auf unsere fragenden Blicke entgegnet er brummend:
       „Freispielpause. Die haben sich die alten Bastarde viermal täglich
       zusichern lassen, bevor sie den Behandlungsvertrag unterschrieben haben.“
       
       Die Scheinkadetten verlassen ihre jeweiligen Positionen auf dem Parcours,
       nehmen auf schattigen Parkbänken Platz, spielen Boule oder finden sich in
       losen Gruppen zum Tai-Chi oder Lachyoga zusammen. Wuttke zündet sich
       kopfschüttelnd eine Pall Mall ohne Filter an. Nur mit Mühe unterdrücken wir
       den Impuls, dem Jungspund die Kippe aus dem Mundwinkel zu schnippen.
       
       „Sehen Sie“, keucht der Wüstenfuchswelpe hustend, „wir halten den Betrieb
       hier nur so lange am Laufen, bis die verdammte Pille auch für echte
       Minderjährige zugelassen ist. Dann können Schulabbrecher selbst
       entscheiden, ob sie sich für 100, 200 oder 500 Jahre oder gleich für die
       Ewigkeit verpflichten wollen. Um die Zukunft der Bundeswehr auf Dauer zu
       sichern, brauchen wir eigentlich nur noch einen einzigen geburtenstarken
       Jahrgang.“
       
       Mit unserer letzten, kaum ernst gemeinten Frage, ob es für die uralte und
       schrottreife Ausrüstung eine ähnliche Wunderlösung wie bei den Soldaten
       geben wird, scheinen wir einen wunden Punkt getroffen zu haben. Friedhelm
       Wuttke lässt sich quengelnd zu Boden fallen und trommelt mit den Fäusten
       minutenlang auf den staubigen Trainingssand. Uns wird das Ganze nun langsam
       zu bunt. Wir zerren ihn am Ohrläppchen zum Büro der Kasernenkommandantin.
       Seiner Mutter.
       
       6 Nov 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patric Hemgesberg
       
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