URI: 
       # taz.de -- Grüne in Friedrichshain-Kreuzberg: „Initiativen sollen uns treiben“
       
       > Clara Herrmann soll die neue grüne Bürgermeisterin für
       > Friedrichshain-Kreuzberg werden. Sie will mehr Kiezblocks und
       > „Pakettermine“ in Bürgerämtern.
       
   IMG Bild: Clara Herrmann, designierte Bezirksbürgermeisterin, an der Spree nahe der Oberbaumbrücke
       
       taz: Frau Herrmann, bei den Bezirksverordnetenwahlen sind die Grünen in
       Friedrichshain-Kreuzberg stärkste Kraft geworden. Sie sind designierte
       Bürgermeisterin und übernähmen [1][das Amt Ihrer Parteifreundin Monika
       Herrmann]. Was können die BürgerInnen erwarten: Ein „Weiter so“ – oder
       machen Sie alles anders? 
       
       Clara Herrmann: Die [2][Grünen sind gestärkt aus der Wahl hervorgegangen],
       das ist ein Rückenwind für das, was wir in den letzten fünf Jahren
       gemeinsam gemacht haben. Von daher sehe ich keinen großen Bedarf, dass sich
       in Friedrichshain-Kreuzberg jetzt vieles ändern muss. Aber dieses stärkere
       Wahlergebnis ist natürlich auch ein Auftrag, dass wir zum Beispiel beim
       Thema Verkehrswende in dem Tempo weitermachen, das wir in den vergangenen
       beiden Jahren vorgelegt haben.
       
       War das ein gutes Tempo? 
       
       In den letzten beiden Jahren haben wir sehr viel erreicht. In der Zeit
       davor hätte es an der einen oder anderen Stelle auch schneller gehen
       können. Zugegeben: Geduld zählt nicht gerade zu meinen Stärken.
       
       Mit dem Erreichten meinen Sie was genau – die [3][Pop-up-Radwege in der
       Pandemie], die Kiezblocks, zum Beispiel in der Bergmannstraße und am
       Chamissoplatz? 
       
       Und auch die Fußgänger*innenzonen. Vieles haben wir erst temporär
       eingerichtet und dann verstetigt, beim Lausitzer Platz ist die
       Fußgänger*innenzone dauerhaft angeordnet. Dieses Vorgehen gibt uns
       die Möglichkeit, zu sehen, wie es wirkt und was gegebenenfalls noch
       angepasst werden muss. So funktioniert agiles Verwaltungshandeln.
       
       Die Verfahren haben teils aber auch Jahre gedauert. Ist man in Zukunft
       schneller? 
       
       Das darf alles nicht so lange dauern, wie es in der Bergmannstraße gedauert
       hat, ganz klar. Bei der Kiezblockdiskussion sehe ich die Notwendigkeit,
       dass wir eine Blaupause für den Prozess brauchen. Dann sieht der Kiezblock
       im Reichenberger Kiez aber immer noch nicht so aus wie der am Ostkreuz.
       Aber wir lernen von Mal zu Mal, und jedes Mal geht es schneller.
       
       Sie selbst vermeiden [4][den Begriff Kiezblock] lieber – weil das
       Blockieren von Autoverkehr immer wieder für Kontroversen sorgt? 
       
       Ich finde die Kiezblockinitiativen sehr unterstützenswert. Auch das, was
       wir im Bergmannkiez machen, ist ein Kiezblockkonzept: ohne
       Durchgangsverkehr, mit Einbahnstraßenregelungen, in Zukunft soll dort eine
       Fußgänger*innenzone entstehen. Auch Entsiegelungsmaßnahmen sind
       geplant. Die Initiativen sollen uns weiterhin treiben, aber wir müssen
       klarmachen, dass nicht alles auf einmal gehen wird. Auch nicht in
       Friedrichshain-Kreuzberg. Klimaschutz im Bezirk heißt: Vorrang für
       Fußgänger*innen und Radverkehr.
       
       Im Bezirk haben die Menschen Sie für diese Politik gewählt. Auf Landesebene
       will eine künftige Regierende Giffey diese Umverteilung des öffentlichen
       Raums zulasten des Autos nicht. Sind Sie da ein bisschen in der Klemme?
       
       Für uns im Bezirk bedeutet die Verkehrswende nicht, dass wir ein
       Verbrenner-Auto durch ein E-Auto ersetzen und gut. Deswegen sehe ich uns da
       nicht in der Klemme. Eher freue ich mich, dass wir in
       Friedrichshain-Kreuzberg die Voraussetzungen haben, das anders zu machen,
       gerade weil wir eine Bevölkerung haben, die sich das mehrheitlich wünscht,
       die größtenteils kein Auto hat. 80 Prozent der Wege werden bei uns nicht
       mit dem Auto zurückgelegt. Der Wunsch, die Stadt klimaneutral umzubauen und
       menschenfreundlich zu machen, den öffentlichen Raum umzuverteilen, ist
       trotz mancher Konflikte in der Bevölkerung vorhanden.
       
       Aber Friedrichshain-Kreuzberg ist ja keine Insel. Sie brauchen für die
       Verkehrswende auch die Landesebene. 
       
       Natürlich, und zwar auf mehreren Ebenen. Das eine sind die Ressourcen. Das
       Zweite ist, dass wir auch in Friedrichshain-Kreuzberg davon profitieren
       würden, wenn es eine Verkehrswende in der ganzen Stadt gibt. Dann quälen
       sich auch nicht mehr so viele Autos über die Frankfurter Allee oder die
       Gitschiner Straße.
       
       Eines von Giffeys wichtigsten Vorhaben ist die Verwaltungsreform. Fürchten
       Sie, dass dahinter ein gezielter Angriff auf die Kompetenzen der Bezirke
       steckt? 
       
       Ich finde es durchschaubar, wenn das am Anfang von Koalitionsverhandlungen
       kommt und Klaus Wowereit, der 13 Jahre für Berlin Verantwortung getragen
       hat, dann öffentlich Sprüche klopft …
       
       … indem er sagt, die Berliner Verwaltung sei schlechter aufgestellt als
       jede Kreissparkasse. 
       
       Das sind billige Sprüche. Zentralisierung ist nicht das Allheilmittel,
       sonst hätten wir in Berlin das beste Schulsystem der Republik. Wenn wir
       zentraler organisiert wären, hätten wir heute noch keine Pop-up-Bikelanes
       und keinen modularen Holzschulbau. Solche innovativen Ansätze kommen aus
       den Bezirken. Wir müssen die Möglichkeit haben, hier auch mal was
       auszuprobieren.
       
       Im [5][rot-grün-roten Sondierungspapier] lebt das alte Versprechen, dass
       jeder innerhalb von zwei Wochen einen Termin beim Bürgeramt bekommt, neu
       auf. Wie wollen Sie das in Ihrem Bezirk einlösen? 
       
       An manchen Stellen ist es, ganz mathematisch, tatsächlich eine
       Ressourcenfrage. Eine Sachbearbeiterin kann nun mal nur eine begrenzte
       Anzahl an Fällen bearbeiten, und die Stadt ist in den letzten Jahren
       gewachsen. Aber ich bin auch selbst Nutzerin von Bürgerämtern, und ja, die
       Berliner Verwaltung kann durchaus noch nutzer*innenfreundlicher
       werden.
       
       Ein Beispiel, bitte. 
       
       Warum gibt es keine Paketlösungen in den Ämtern? Warum muss ich, wenn ich
       ein Kind bekomme, alles einzeln beantragen – Kindergeld, Elterngeld,
       Kita-Gutschein? Und warum kann ich als Mutter oder Vater da nicht auch
       gleich noch meinen Personalausweis mit beantragen? Auch so etwas wie ein
       Abo könnte ich mir vorstellen, denn manche Dienstleistungen, wie einen
       Anwohnerparkausweis beantragen, das muss man ja immer wieder tun.
       
       Sie vermissen den Mut, kreativ zu denken in der Verwaltung? 
       
       Ich erlebe viele Mitarbeiter*innen als sehr lösungsorientiert. Spricht
       man mit ihnen, kommen viele kreative Ansätze. Aber man muss leider auch
       sagen, dass es im Arbeitsalltag oft an den einfachen Dingen scheitert.
       
       Was meinen Sie? 
       
       Unsere IT ist teilweise einfach sehr veraltet. Da reden wir über
       Mailprogramme, die nicht laden, und Akten, die es immer noch nicht digital
       gibt. Aber dennoch erlebe ich die meisten Mitarbeiter*innen trotz der
       mitunter schwierigen Arbeitssituation als sehr motiviert und engagiert. Die
       muss man mitnehmen, statt sie mit irgendwelchen Sprüchen vor den Kopf zu
       stoßen.
       
       Noch ein Riesenthema: Wohnen. Derzeit laufen die Koalitionsgespräche auf
       Landesebene zwischen SPD, Grünen und Linken. Was sind aus Bezirkssicht Ihre
       Forderungen? 
       
       Ich warne wirklich davor, Neubau als Allheilmittel zu verstehen. Wir müssen
       über den Bestand reden. Da ist Vorkauf ein wichtiges Instrument.
       
       Noch-Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) hat dafür in den vergangenen
       Jahren einen Fonds aufgelegt, mit dem [6][die Bezirke Vorkäufe realisieren]
       können. 
       
       Ja, und parallel laufen jetzt ja auch Koalitionsverhandlungen im Bund. Da
       wünsche ich mir, dass zum Beispiel das Vorkaufsrecht noch weiter geschärft
       wird. Dass es künftig möglich ist, nicht zu Spekulationspreisen kaufen zu
       müssen, sondern zum Verkehrswert.
       
       Einerseits muss Wohnraum geschaffen werden, andererseits müssen Sie diesen
       ohnehin dicht bebauten Bezirk grüner machen. Geht beides? 
       
       Natürlich gibt es Zielkonflikte. Ich erwarte aber gerade beim Thema Neubau
       und insbesondere, wenn die öffentliche Hand das macht, bestimmte Standards,
       die eingehalten werden. Das sind zum einen ordentliche
       Partizipationsverfahren. Es muss geschaut werden, für wen gebaut wird –
       hochpreisige Wohnungen brauchen wir nicht. Die Infrastruktur muss
       mitgedacht werden, also Schulen und Kitas. Aber auch der ökologische
       Aspekt: Wir sind der am dichtesten besiedelte Bezirk Berlins. Da sage ich
       schon: Wir können es uns in der Klimakrise nicht mehr erlauben, alles
       zuzubauen. Da werden Flächen frei bleiben müssen, damit wir durchatmen
       können, und zwar auch noch in zehn Jahren.
       
       Also im Zweifel für das Grün? 
       
       Pauschale Antworten sind immer schwierig. Aber im Sinne der
       menschenfreundlichen Stadt: Bevor ich eine Freifläche zubaue, muss ich
       andere Lösungen prüfen, Aufstockungen zum Beispiel. Die Antwort auf die
       Klimakrise in der Großstadt ist nicht mehr Beton.
       
       2 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Monika-Herrmann-ueber-ihre-Zukunft/!5806965
   DIR [2] /Wahlergebnisse-in-den-Bezirken/!5804920
   DIR [3] /Umweltsenatorin-ueber-Klimaschutz/!5797991
   DIR [4] /Verkehrswende-in-Berliner-Kiezen/!5782417
   DIR [5] /Koalitionsverhandlungen-in-Berlin/!5806178
   DIR [6] /Florian-Schmidt-ueber-Gentrifizierung/!5798269
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Klöpper
   DIR Uwe Rada
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Wahlen in Berlin
   DIR Friedrichshain-Kreuzberg
   DIR Monika Herrmann
   DIR Verkehrswende
   DIR Verkehrswende
   DIR Friedrichshain-Kreuzberg
   DIR Berliner Bezirke
   DIR Verkehrswende
   DIR Florian Schmidt
   DIR Florian Schmidt
   DIR Friedrichshain-Kreuzberg
   DIR Schwerpunkt Wahlen in Berlin
   DIR Schwerpunkt Wahlen in Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Verkehrswende in Berlin-Kreuzberg: Radler müssen weiter schleichen
       
       Ein Radfahrer ging gegen das Tempolimit von 10 Stundenkilometern in der
       Bergmannstraße vor. Die Beschränkung bleibt, sagt das
       Oberverwaltungsgericht.
       
   DIR Stadträtin zur Verkehrswende: „Vieles geht nicht schnell genug“
       
       Die Grüne Annika Gerold ist neue Stadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg.
       Zur Verkehrswende zählt für sie, Parken kostenpflichtig zu machen.
       
   DIR Wahl der Stadträte in Berlins Bezirken: Blockade gegen die AfD
       
       In vier Bezirken darf die AfD einen Stadtratskandidaten vorschlagen. Doch
       die wenigsten werden von den demokratischen Parteien gewählt.
       
   DIR Kiezblock in Neukölln: Der Jochen läuft mit
       
       „Kiezblock Rixdorf“ und andere Initiativen machen Druck auf Neuköllns
       grünen Verkehrsstadtrat. Der will dasselbe – möchte aber keine Wunder
       versprechen.
       
   DIR Kreuzberger Stadtrat zu Vorkaufsrecht: „Den Menschen nicht vermittelbar“
       
       Baustadtrat Florian Schmidt kritisiert die Entscheidung des
       Bundesverwaltungsgerichts scharf. Er betont aber: Sie ließe sich leicht
       korrigieren.
       
   DIR Gerichtsentscheidung zum Vorkaufsrecht: Gegen die Mieter in Berlin
       
       Das Bundesverwaltungsgericht erschwert den Kauf von Häusern in
       Milieuschutzgebieten. Berlins Bausenator Scheel spricht von einer
       „Katastrophe“.
       
   DIR Berliner Kiezhausmeister: Ruckzuck, erledigt
       
       Sieben Kiezhausmeister sorgen dafür, dass die Straßen und Parks von
       Friedrichshain-Kreuzberg ein wenig aufgeräumter sind. Ingo Becker ist einer
       davon.
       
   DIR Koalitionsverhandlungen in Berlin: Rot-Grün-Rot soll messbar werden
       
       Beim zweiten Treffen der Spitzen von SPD, Grünen und Linker war vor allem
       der Umgang miteinander das Thema. Auch ein Monitoring ist geplant.
       
   DIR Koalitionen in den Berliner Bezirken: Sonderzug aus Pankow
       
       Eigentlich haben in Pankow die Grünen die Wahl gewonnen. Dennoch könnte der
       Linke Sören Benn Bezirksbürgermeister bleiben.