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       # taz.de -- Obdachlosigkeit in Berlin: Schutz bis zum Frühstück
       
       > Die Kältehilfe startet mit 1.000 Notschlafplätzen für Obdachlose.
       > Verbände fordern mehr Unterstützung für EU-Bürger*innen.
       
   IMG Bild: Aufenthaltsraum in einer Kältehilfe in Berlin-Reinickendorf
       
       BERLIN taz | Anlässlich des offiziellen Starts der Kältehilfesaison am 1.
       November fordern die in der LIGA Berlin zusammengeschlossenen
       Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege mehr Engagement der Politik
       gegen Wohnungs- und Obdachlosigkeit. „Die Kältehilfe ist ein Notsystem im
       Winter zum Schutz vor dem Kältetod“, sagte Gabriele Schlimper,
       Geschäftsführerin der Paritäter am Montag – das sei keine nachhaltige
       Hilfe, um Obdachlosigkeit zu beenden. „Die Menschen brauchen einen Platz,
       wo sie tagsüber und nachts bleiben und unterstützt von
       Sozialarbeiter*innen eine Perspektive entwickeln können“, erklärte
       Ursula Schoen, Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg.
       
       In der Kältehilfe geht das nicht, hier müssen die Menschen nach dem
       Frühstück gehen, dürfen erst am Abend wiederkommen. Seit Montag gibt es
       [1][1.000 solcher Notübernachtungsplätze, zudem Essenausgaben und
       Waschmöglichkeiten], im Oktober war man mit 500 Plätzen in die „Vorsaison“
       gestartet. Alle Angebote sind in der [2][Kältehilfe-App] gebündelt.
       
       Das Notsystem wurde 1989 zunächst von Kirchengemeinden eingerichtet,
       inzwischen ist es ein jährlich wachsendes Hilfesystem mit zahlreichen
       Trägern und aufrechterhalten von Tausenden Ehrenamtlichen. Im vorigen
       Winter gab es 1.200 Betten, das war Rekord, diesen Winter sollen es bis zu
       1.500 werden. Seit gut zehn Jahren beobachten die Helfer eine stete Zunahme
       von ausländischen Obdachlosen, oftmals EU-Bürger*innen aus Ost- und
       Südosteuropa, die bei der Arbeitssuche scheitern oder unter ausbeuterischen
       Verhältnissen schuften. In vielen Notübernachtungen machen sie inzwischen
       die Mehrheit der „Gäste“ aus.
       
       Um etwas gegen den steigenden Bedarf an Nothilfe zu tun und Obdachlosigkeit
       wie im Masterplan von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) angekündigt
       bis 2030 zu beenden, braucht es nach Auffassung der LIGA neben mehr
       bezahlbaren Wohnungen vor allem eine bessere Unterstützung obdachloser
       Menschen.
       
       ## Bezirke könnten mehr unterbringen
       
       Diese Forderung zielt vor allem auf die Bezirke, die für die Unterbringung
       Wohnungloser zuständig sind. Noch immer hätten die meisten nicht
       verstanden, dass sie in der Pflicht sind, mehr ganztägig geöffnete
       Unterbringungsplätze mit Beratung anzubieten, sagt Schlimper. Als löbliche
       Ausnahme nannte sie Charlottenburg-Wilmersdorf. Svenja Ketelsen, Leiterin
       der Frostschutzengel, kritisierte, dass die Bezirke noch immer nicht in der
       Lage seien, angemessen mit wohnungslosen EU-Bürger*innen umzugehen. Die
       Frostschutzengel sind eine Beratungseinrichtung der Gebewo-Soziale Dienste,
       die aufsuchende mehrsprachige Hilfe und Beratung anbietet*. „Bestehende
       Ansprüche auf Unterbringung werden von den Bezirken regelmäßig verwehrt“,
       erklärte Ketelsen.
       
       So kursiere in den sozialen Wohnhilfen der Bezirke immer noch die
       Auffassung, man müsse wohnungslose EU-Bürger*innen nur dann unterbringen,
       wenn sie Sozialleistungen von den Jobcentern, etwa Mietkostenzuschuss oder
       -erstattung, bekommen. Diesen Anspruch hätten allerdings nur die wenigsten
       EU-Bürger*innen, so Ketelsen. „Das Recht auf Unterbringung ist aber nicht
       geknüpft an das Recht auf Sozialleistungen“, betonte sie. Die
       Sozialverwaltung teile diese Rechtsauffassung, es gebe dazu auch immer mehr
       diesbezügliche Gerichtsurteile. Die Bezirke setzten das aber meist erst um,
       „wenn wir intervenieren“.
       
       Häufig würden hilfesuchende EU-Bürger*innen für einen Schlafplatz an die
       Kältehilfe verwiesen. Oder sie würden weggeschickt mit der Aufforderung,
       einen Dolmetscher mitzubringen, berichtete Ketelsen – anstatt dass die
       Bezirks-Mitarbeitenden Dolmetscher-Dienste oder Übersetzungs-Apps in
       Anspruch nehmen. Oft würde auch nur eine „Rückkehrberatung“ angeboten –
       ungeachtet dessen, ob die Betreffenden das überhaupt wollen.
       
       Ketelsen betont, dieser Umgang mit wohnungslosen EU-Bürger*innen sei
       zynisch. „Es gibt einen Bedarf an Arbeitskräften aus der EU, aber im Moment
       der Hilfsbedürftigkeit lassen wir sie allein.“
       
       *in einer ersten Version des Textes stand fälschlicherweise, dass die
       Frostschutzengel ein Verein sind. Richtig ist, dass sie zur Gebewo-Soziale
       Dienste Berlin gGmbH gehören. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
       
       1 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.kaeltehilfe-berlin.de/
   DIR [2] https://www.kaeltehilfe-berlin.de/kaeltehilfe-app
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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