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       # taz.de -- Die Marvel-Verfilmung „Eternals“: Die Unsterblichen sind divers
       
       > Oscar-Gewinnerin Chloé Zhao führte Regie in der neuesten
       > Marvel-Verfilmung. „Eternals“ orientiert sich an zweidimensionalen
       > Comicbildern.
       
   IMG Bild: Vom Marvel-Comic-Universum ins Kino: die „Eternals“
       
       Wenn man unsterblich ist, hat man satt Zeit, sich auseinanderzuleben. So
       geschehen mit dem ehemals glücklichen Pärchen Ikaris (Richard Madden) und
       Sersi (Gemma Chan). Jahrhundertelang hat die zu den außerirdischen,
       humanoiden „Eternals“ gehörende Frau den männlichen Eternal geliebt, und
       vice versa. In letzter Zeit, wir sprechen von Monaten, knutscht Sersi
       allerdings mit dem eindeutig sterblichen Dane (Kit Harington), und der hat
       keine Ahnung von der im wahrsten Wortsinn ewigen Vorgeschichte seiner
       Freundin.
       
       Bei seinem Vorschlag einer möglichen gemeinsamen Wohnung zögert sie – der
       unsterbliche Exfreund lässt sich eben nicht so schnell vergessen. Vor allem
       nicht, wenn eine Zusammenarbeit ansteht: Bevor Sersi ihrem menschlichen
       Verehrer seine dringliche Frage beantworten kann, muss sie gemeinsam mit
       anderen Unvergänglichen ein weiteres Mal die Welt retten.
       
       Denn die „Deviants“, Kreaturen, denen die Gemeinheit ins Monstergesicht
       (und in den Namen) geschrieben steht und wegen denen die Eternals einst als
       schnelle Eingreiftruppe auf die Erde entsandt wurden, bedrohen nach
       Tausenden von Jahren mal wieder den Planeten.
       
       ## Biblische Dimensionen
       
       Seinen titelgebenden Held:innen entsprechend sind es fantastische
       Zeiträume, in denen „Eternals“ spielt. Der dem Film zugrunde liegende,
       erstmals 1976 bei Marvel erschienene Comic erstreckt sich über biblische
       Dimensionen: Zwischen 50.000 vor der Zeitenwende in Mesopotamien über die
       Antike, Hiroshima 1945 bis in die Jetztzeit retten die Ewigen, deren
       Wirkungskreis auf den Kampf gegen die Deviants begrenzt ist (sonst würden
       sie schließlich gar nicht mehr rauskommen aus dem Kriegsmodus), die Welt.
       
       Vielleicht nimmt sich die Regisseurin Chloé Zhao, deren [1][dokumentarisch
       anmutendes Sozialporträt „Nomadland“] sie in diesem Jahr zur ersten
       Regie-Oscar-Gewinnerin „of Asian descent“ machte, darum auch alle Zeit der
       Welt, um ihre formal klassisch-simple Marvel-Geschichte –
       Superheld:innen schützen Menschen vor Bösewichten – zu etablieren.
       
       ## Verwurzelt in den Weltmythen
       
       Denn der 26. Film des stark expandierenden Marvel Cinematic Universe hält
       sich lange mit dem alten
       Blues-Brothers-We’re-getting-the-band-back-together-Thema auf: Kapitelweise
       blättert Zhao, die das Drehbuch mit dem jungen Autor Patrick Burleigh sowie
       den Langspielfilm-Erstlingsautoren Ryan und Kaz Firpo schrieb, das An- und
       Umwerben eines Eternals-Mitglieds nach dem anderen auf. Die Erzählung
       springt dabei immer wieder in Flashbacks zu zentralen Punkten in der Story
       ihrer Held:innen zurück.
       
       Und wichtig sind die Punkte in ihren Biografien allemal, das muss man den
       mächtigen Wesen lassen, deren Namen nach Verwurzelung in sämtlichen
       Gründungs- und sonstigen Weltmythen duften: Ikaris ist laut Comicvorlage
       der Vater von Ikarus. Thena (Angelina Jolie) hat nur das „A“ vor ihrem
       Namen geixt: Sie ist unschwer als Göttin des Kampfs zu erkennen. Der Name
       Ajaks (Salma Hayek), der Anführerin der Eternals, erinnert an den
       sagenhaften trojanischen Kriegshelden Ajax.
       
       Sogar der „vergöttlichte“ König Gilgamesch findet sich als „Gilgamesh“,
       gespielt vom koreanischen Schauspieler Don Lee, in Zhaos Kaleidoskop der
       neuen Retter:innen wieder. Wer auch immer die Eternals sein sollen, ob,
       wie Erich von Däniken fabulierte, die Götter Astronauten waren, oder
       umgekehrt: Kulturell, geschlechtlich, altersmäßig divers sind sie in jedem
       Fall.
       
       ## Ein bleiernes Gewicht
       
       Doch die Unendlichkeit, die den Film auf der Symbolebene trägt, hängt sich
       als bleiernes Gewicht an seine erzählerische Dramaturgie – denn eine
       „gefühlte Ewigkeit“ ist nie gut für ein Narrativ, schon gar nicht, wenn
       Action erwartet wird.
       
       Die „Aktionen“, die Zhao ihren „Eternals“ zugesteht, orientieren sich eins
       zu eins an den echten, zweidimensionalen Comicbildern: In den meisten
       Szenen stehen die Eternals unbeweglich im Greenscreen herum und reden. Das
       ist bei aller Schauspielpräsenz – Richard Maddens Sensibilität bahnt sich
       sogar ihren Weg durch den mit esoterischen Fantasy-Symbolen bedruckten
       Gummi-Suit und der Comedian Kumail Nanjiani als Bollywood-Eternal Kingo
       trägt bravourös den gesamten Comic Relief auf seinen Schultern – als Film
       ziemlich langweilig.
       
       ## Die Gefechte sind zu artifiziell
       
       Die zwischen die hölzernen Dialoge gesetzten Kampfsequenzen mit
       tentakeltragenden Gegenspielern wimmeln dagegen von schnellen,
       märchenhaften Bildern. Doch ihre Künstlichkeit erzeugt ebenfalls kaum
       Spannung: Der virtuelle Effektraum, in dem sie stattfinden, ist zu weit
       entfernt, das Setting zu fantastisch, die Gefechte sind zu artifiziell, um
       Empathie hervorzurufen. Auch und erst recht nicht, wenn die von Ramin
       Djawadi in jeder einzelnen Filmsekunde aufdringliche Musik es einem so
       angestrengt nahelegt.
       
       Dabei geht unsterbliches Geballere durchaus mit Gefühlen zusammen: In der
       2020 für Netflix entstandenen Comicadaption „The Old Guard“ von Regisseurin
       Gina Prynce-Bythewood und Drehbuchautor Greg Rucka musste sich Charlize
       Theron mit ähnlichen Problemen wie die Eternals herumschlagen. Sie spielte
       Andy, die eigentlich „Andromache“ hieß und ihre zweischneidige Amazonenaxt
       bereits im antiken Griechenland schwang.
       
       ## Der Glaube an göttliche Macht
       
       Als Anführerin einer Söldnertruppe von „immortal warriors“, die sich
       teilweise noch aus den Kreuzzügen kennen, kämpfte Andy zwar – zugegeben –
       nicht gegen außerirdische Biester, sondern gegen böse Normalsterbliche.
       Doch im Subtext beschäftigte sich der Actionfilm auf elegante Weise mit
       Nebeneffekten der Unsterblichkeit, die man wiederum als Echos
       gesellschaftlicher Diskurse deuten konnte.
       
       Wenn man ohnehin nicht sterben kann – wie achtsam geht man dann mit dem
       eigenen Körper um? Kann man angesichts der Ewigkeit von emotionalen
       Verletzungen dem Gegenüber besser verzeihen – oder schlechter? Und wenn
       jemand (wie Andy) einst selbst als Göttin verehrt wurde – wie stark kann
       der Glaube an eine göttliche Macht dann überhaupt noch werden?
       
       ## Die frühen Werke waren substanziell
       
       Der in den Medien bereits als „Blockbuster“ (als ob „Blockbuster“ eine
       inhaltliche Beschreibung wäre) antizipierte Marvel-Film Zhaos, der bislang
       auf ein geteiltes Echo stieß, krankt dagegen an seinem festen, pompösen
       Rahmen. Dabei hat die Regisseurin bewiesen, wie vielschichtig sie
       inszenieren kann, wenn der Rahmen flexibel ist: Ihr Erstling „Songs My
       Brothers Taught Me“ von 2015 erzählte anrührend von den Schwierigkeiten des
       Erwachsenwerdens zweier Lakota-Sioux-Geschwister aus Pine Ridge und webte
       Fragen von Identität und Verlust ein.
       
       Der im gleichen Reservat spielende Post-Western „The Rider“ behandelte zwei
       Jahre später die Probleme eines jungen, angeschlagenen Rodeoreiters und
       gewann einen Teil seiner Authentizität und Intensität wie sein Vorgänger
       durch die Besetzung von Laiendarsteller:innen. Und auch Zhaos dritter Film,
       „Nomadland“, knackte das Fiktiongenre vorsichtig auf, indem er sich an
       einer echten Reportage über „Vandweller“, Wohnmobilbewohner:innen, in den
       USA entlanghangelte und mit der Story um die beiden einzigen von
       Profi-Schauspieler:innen gespielten Charaktere Fern (Frances McDormand) und
       Dave (David Strathairn) zusätzlich zur „Großen Rezession“ der nuller Jahre
       auch noch Beziehungsmodelle und Bindungsangst behandelte.
       
       Doch so substanziell wie Zhoes vorherigen Filme waren, so sehr erstickt
       „Eternals“ in seinen massiven Schauwerten. Immerhin gibt es einen hübschen
       Plot Twist, über den sich nicht nur Genrefreund:innen freuen werden,
       und der darum hier nur angedeutet werden darf. Vielleicht so viel: Von
       Thena kann man noch etwas lernen.
       
       3 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
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