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       # taz.de -- Zehn Jahre Selbstenttarnung des NSU: Jeden Tag Herbst in Deutschland
       
       > Der 4. November 2021 markiert auch jahrelanges Behördenversagen in
       > Deutschland. Entschiedenes Vorgehen gegen Rechtsextremismus fehlt noch
       > immer.
       
   IMG Bild: Gedenken an die Opfer des NSU in München 2018
       
       es ist nicht wahr / daß es nicht wahr ist / so war es / erst zuerst dann
       wieder 
       
       Als die afrodeutsche Poetin May Ayim 1992 ihr Gedicht „Deutschland im
       Herbst“ veröffentlichte, gab es den NSU wahrscheinlich noch nicht. Bis zu
       ihrem ersten Sprengstoffanschlag waren es noch sieben Jahre, bis zu ihrer
       Selbstenttarnung gut zwei Jahrzehnte. May Ayim schrieb über die Pogromnacht
       der Neonazis vom 9. November 1938, vom Mord an [1][Antonio Amadeo] am 24.
       November 1990 und über die rassistischen Ausschreitungen von
       [2][Rostock-Lichtenhagen im August 1992]. Obwohl seitdem noch viele
       antisemitische, rassistische und rechte Anschläge und Morde gefolgt sind,
       verliert das Gedicht nicht an Aktualität. Jeden Herbst lese ich es. Und
       immer sticht ein Begriff hervor: einzelfall.
       
       2011 wurde [3][„Döner-Morde“ zum Unwort des Jahres] gewählt. Als wären die
       rassistischen Morde des NSU nicht schon grausam genug, konnten
       Journalist_innen nicht auf menschenverachtende Sprache verzichten. Auch sie
       sind Teil des Versagens, ebenso wie Behörden, die im Zusammenhang mit
       rechtem Terror noch immer von „Einzelfällen“ sprechen.
       
       Der 4. November 2021 markiert nicht nur ein, sondern mindestens zwei
       Jahrzehnte Behördenversagen in Deutschland, wobei „Versagen“ bei diesem
       Ausmaß ein Euphemismus ist. Dass der Verfassungsschutz trotz seiner
       Querfinanzierung des NSU und trotz der Ermittlungssabotagen noch
       weiterexistiert, ist ein Skandal. Dass sein damaliger [4][Chef Hans-Georg
       Maaßen] ganz normal für den Bundestag kandidieren konnte, ebenfalls.
       
       ## Fehlende Aufklärung und Konsequenzen
       
       Bis heute sind die Behörden den Angehörigen der Ermordeten eine lückenlose
       Aufklärung und Konsequenzen für die Mittäter_innen schuldig. Wie wenig
       Lehren aus dem NSU-Komplex gezogen wurden, dürften etwa die Überlebenden
       sowie Angehörigen der Ermordeten von Halle und Hanau wissen. Bis heute
       passiert nichts, um zu verhindern, dass so etwas Grausames wieder passiert.
       Die Strategie der Fahrlässigkeit übernimmt auch die wahrscheinliche neue
       Ampelregierung, die in ihrem Sondierungspapier „Linksextremismus“ in eine
       Reihe mit Antisemitismus und Rassismus als Form der „Menschenfeindlichkeit“
       stellt. Wer weiß, ob der NSU bis heute aufgedeckt gewesen wäre, hätte es
       die Selbstenttarnung vor zehn Jahren nicht gegeben.
       
       so war es // so ist es: deutschland im herbst / mir graut vor dem winter 
       
       Mit diesen Zeilen beendete May Ayim ihr Gedicht. Wie düster und kalt der
       deutsche Herbst noch werden sollte, hat sie nicht mehr selbst bezeugen
       können. In Deutschland ist jeden Tag Herbst. Heute gedenken wir Enver
       Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut,
       İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und
       Michèle Kiesewetter.
       
       4 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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