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       # taz.de -- Elegante Hommage an Ingmar Bergman: Ein Sommer auf der Insel
       
       > In ihrem Spielfilm „Bergman Island“ lässt Mia Hansen-Løve schöne Menschen
       > schöne Dinge tun. Und das auch noch im umwerfenden Schweden.
       
   IMG Bild: Vicky Krieps als Christy und Tim Roth als Tony auf „Bergman Island“
       
       Bei den Dreharbeiten zu „Wie in einem Spiegel“ entdeckte Ingmar Bergman
       1960 die nördlich von Gotland gelegene Insel Fårö und verliebte sich auf
       den ersten Blick in das karge kleine Eiland. In den Folgejahren baute er
       für sich und seine damalige Lebensgefährtin Liv Ullmann dort ein Haus.
       
       Ullmann verließ es und ihn nach ein paar Jahren, Bergman aber blieb.
       Heiratete wieder, zum soundsovielten Mal, und erwarb weitere Häuser auf der
       Insel – zum Arbeiten, für Gäste, für die Haushälterin. Er selbst lebte von
       1967 [1][bis zu seinem Tod 2007] auf Fårö, wenn er nicht gerade in seiner
       Stockholmer Wohnung war.
       
       Nach dem Tod des Regisseurs gelang es seiner jüngsten Tochter, der
       Schriftstellerin Linn Ullmann, einen norwegischen Mäzen zu finden, der alle
       Anwesen übernahm und auch den gesamten übrigen Nachlass ersteigerte.
       [2][Aus den Bergman’schen Besitzungen auf Fårö wurde das „Bergman Center“,
       ein Kulturzentrum mit Museum,] Bibliothek und Veranstaltungsprogramm, das
       außerdem ein Residency-Programm für KünsterInnen aller Sparten betreibt.
       
       Man muss das alles nicht unbedingt wissen, um Mia Hansen-Løves „Bergman
       Island“ zu sehen und zu verstehen, aber es ist ganz nützlich. Denn die
       ProtagonistInnen ihres Films kommen nach Fårö, um eben eine solche
       Residency zu genießen: Chris und Tony, gespielt von Vicky Krieps und Tim
       Roth, machen beide selbst Filme und wollen auf der Insel an Drehbüchern
       arbeiten. Ihre kleine Tochter ist derweil in der Obhut der Großmutter
       zurückgeblieben.
       
       ## Abwesender, kalter Vater
       
       Das spielt insofern eine Rolle, als dieses Kind in der allerletzten Szene
       des Films persönlich auftreten wird, und weil Kinder-Eltern-Beziehungen
       auch ein wichtiges Thema bei Ingmar Bergman sind, dessen Leben und Werk in
       „Bergman Island“ natürlich wiederholt zur Sprache kommen. Ein abwesender,
       kalter Vater sei er gewesen, sagt an einer Stelle jemand, neun Kinder von
       fünf Frauen, und nie habe er sich gekümmert.
       
       Ein schrecklicher Mensch müsse er gewesen sein, der nur für seine Kunst
       gelebt und über die eigene Kindheit zu viel gejammert habe, heißt es an
       einer anderen Stelle. Diese Ansicht schreibt Chris, die Filmemacherin, die
       sich fragt, wie sie als Frau neun Kinder hätte haben und doch Filme drehen
       können, einem ihrer eigenen Filmcharaktere zu. Denn nach und nach, je
       weiter der kreative Prozess der StipendiatInnen voranschreitet, entwickelt
       die Handlung sich zu einem Film im Film, beziehungsweise entwickelt sich
       überhaupt eine Handlung.
       
       Denn die Rahmengeschichte ist überwiegend Atmosphäre. Diese speist sich aus
       mehreren Quellen: zum einen aus der Umgebung, dem Kontrast zwischen den
       schlichten und dabei überlegen ästhetischen Interieurs der Bergman-Häuser
       und der harschen Insel-Natur. Zum zweiten aus der meist flüchtigen
       Begegnung mit Menschen, InselbewohnerInnen oder anderen Bergman-Aficionados
       und -nadas.
       
       Eine heitere Zwanglosigkeit scheint über allem zu liegen. Leute, die sich
       eben noch fremd waren, vertiefen sich in Diskussionen über Ingmar Bergman;
       einmal trifft Chris zufällig auf einen Filmstudenten (Hampus Nordensen),
       mit dem sie spontan einen nachmittagsfüllenden Ausflug unternimmt.
       
       ## Emotionsgeladene Film-im-Film-Handlung
       
       In der Zweierbeziehung von Chris und Tony werden dagegen leichte Spannungen
       spürbar, die mit der Arbeit zu tun haben. Denn während Tony Seiten um
       Seiten seines Journals mit Texten und Skizzen füllt, hadert Chris mit ihrem
       Projekt und findet bei Tony nicht das Maß an mentaler Unterstützung, das
       sie sich wünscht.
       
       Und doch wird erst im Gespräch mit ihm ihr Filmprojekt lebendig, und wir
       gleiten fast unmerklich hinüber in eine andere Filmgeschichte, eine
       „richtige“ Geschichte, in der Mia Wasikowska und Anders Danielsen Lie ein
       einstiges Liebespaar spielen, das nicht voneinander lassen kann und just
       auf Fårö wieder aufeinandertrifft. Diese emotionsgeladene
       Film-im-Film-Handlung, aber das lässt sich als kleiner ironischer Kniff
       verstehen, ist nicht frei von Klischees; und selbstverständlich hat die
       Quälerei einer ewigen On-off-Beziehung etwas ziemlich Bergmaneskes.
       
       Bei Hansen-Løve aber findet keine schlimme, schwarze Qual zwischen
       Liebesleuten statt; in ihrem (nein: Chris’) Film bleibt es bei
       träumerischer Melancholie. Und obgleich Chris, nur so gesprächsweise, über
       ein mögliches tragisches Ende für ihre Filmheldin fantasiert, so können wir
       uns doch ziemlich sicher sein, dass sie es dazu nicht kommen lassen wird
       und dass solche Ideen nur bergmanbeflissenes Gerede sind.
       
       Im Übrigen können wir uns das Ende für den Film, den Chris schließlich
       gedreht haben wird, ohnehin selbst aussuchen. Denn wie genau die schwierige
       Liebesgeschichte von Amy und Joseph ausgeht, diesen Punkt hat Mia
       Hansen-Løve netterweise für uns offengelassen. Genau wie so viele andere
       Stellen in diesem Film, der so anmutig hingetupft daherkommt wie ein zart
       schattiertes Schönwetterwölkchen am schwedischen Sommerhimmel.
       
       3 Nov 2021
       
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