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       # taz.de -- Nach Kanzler-Rücktritt in Österreich: Die Loyalität zu Kurz bröckelt
       
       > Nach außen halten Österreichs Regierungspartei ÖVP und ihr Jugendverband
       > Ex-Kanzler Sebastian Kurz die Treue. Doch intern rücken viele von ihm ab.
       
   IMG Bild: Sebastian Kurz, bald ganz allein?
       
       Wien taz | Auf einem Treffen der Wiener ÖVP herrscht Katerstimmung. Knapp
       zwei Wochen nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz als Bundeskanzler liegt
       Ratlosigkeit in der Luft. Trotzige Loyalitätsbekundungen zum gefallenen
       Shooting-Star der österreichischen Konservativen sind zu hören, obwohl die
       Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen den
       35-Jährigen ermittelt. Doch von Selbstkritik ist nichts zu hören.
       
       Anders sieht es in einer Wiener Bar bei einem Treffen der JVP aus, der
       Jugendorganisation der Partei. Die Schuldigen allerdings verortet man nicht
       in der eigenen Partei: „Der größte Fehler von Sebastian Kurz war, der Alma
       Zadić das Justizministerium zu überlassen“, sagt ein JVP-Mitglied, nicht
       wissend, dass sich ein [1][Reporter der Wochenzeitung Falter]
       eingeschlichen hat.
       
       „Wäre es in türkisen Händen, würde es die ganzen Ermittlungen gar nicht
       geben und die Chatnachrichten wären nie an die Öffentlichkeit gekommen.“
       Türkis steht in Österreich für die ÖVP unter Sebastian Kurz. Ministerin
       Zadić ist Grüne und hat der Justiz freie Hand bei den Ermittlungen
       zugesichert. An ein politisches Comeback seines Idols glaubt das
       JVP-Mitglied nicht.
       
       Nach außen hält die JVP eisern an ihrem Parteichef fest und zeigt sich
       überzeugt, dass Kurz bald die „falschen Vorwürfe“ widerlegen und gestärkt
       ins Kanzleramt zurückkehren werde. Doch auch die Jugendlichen, die ihre
       Treue mit türkisfarbigen T-Shirts unterstreichen, wissen, dass ein
       Strafprozess Jahre dauern kann. Selbst wenn es Kurz gelingen sollte,
       strafrechtlich ungeschoren davonzukommen, so die Ansicht vereinzelter
       ÖVP-Funktionäre, so sei seine moralische Verantwortung unbestritten und
       seine einstige Strahlkraft verglüht.
       
       Die WKStA ermittelt gegen Kurz und mehrere seiner Getreuen wegen des
       Vorwurfs, sie hätten gefälschte Umfragen in Auftrag gegeben und mit
       Steuergeld bezahlen lassen, um die Karriere von Kurz zu befördern. Der
       Mann, der einst mit dem Slogan „Zeit für Neues“ angetreten ist, hat die
       alten Methoden der politischen Intrige nur verfeinert und mit großer
       Kaltschnäuzigkeit durchgezogen.
       
       ## Verharmlosender Spin
       
       Wie die von der WKStA sichergestellten [2][Chatprotokolle des Kurz-Intimus
       Thomas Schmid dokumentieren], torpedierte Kurz 2016 vielversprechende
       Projekte der SPÖ/ÖVP-Regierung, nur um seinen eigenen Aufstieg zum ÖVP-Chef
       zu beschleunigen und die Regierung zu sprengen. Das empört auch viele
       innerhalb der ÖVP, allen voran die Landeshauptleute, die in Windeseile von
       Kurz abgerückt sind.
       
       Günther Platter, Landeshauptmann von Tirol, der Kurz nach dem Publikwerden
       der Vorwürfe noch Nibelungentreue geschworen hatte, sieht mittlerweile nach
       Lektüre der WKStA-Akten „schwerwiegende Vorwürfe, die man nicht wegwischen
       kann“. In einer Lokalzeitung legte er Wert auf die Feststellung, er sei
       „ein Schwarzer“, also ein Anhänger der traditionellen christlich-sozialen
       ÖVP, und habe gegenüber der türkisen, von Kurz geprägten Bundes-ÖVP „schon
       immer andere Anschauungspunkte gehabt“.
       
       Platters Tiroler Parteifreund Erwin Zangerl fordert sogar einen kompletten
       Rückzug von Exkanzler Kurz: „Für einen Neuanfang in der ÖVP und in der
       Bundesregierung sollte alles absolut besenrein übergeben werden“, ließ er
       sich bereits vergangene Woche zitieren.
       
       Der vor einigen Jahren gegründete Ethikrat der ÖVP hat sich auch bereits
       mit den Intrigen, die Kurz und seinen Leuten vorgeworfen werden, befasst.
       Ohne Kurz beim Namen zu nennen, stellt er fest, „dass die Wortwahl und der
       mangelnde Respekt in einigen der an die Öffentlichkeit gelangten Chats
       völlig unangemessen und abzulehnen ist und dem Verhaltenskodex
       widerspricht, auch wenn es sich nicht um öffentlich getätigte Äußerungen
       handelt“.
       
       Das ist der Spin, der auch von den Türkisen, also der Gruppe um Sebastian
       Kurz, weiterverfolgt wird. Da geht es um die „unglückliche Wortwahl“, derer
       sich der Exkanzler „im jugendlichen Überschwang“ befleißigt und für die er
       sich schon entschuldigt habe. Auf die empörende Intrige geht keiner ein.
       
       21 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.falter.at/zeitung/20211018/inside-jvp-teil-1-katerstimmung-im-vino
   DIR [2] /Ruecktritt-von-Kanzler-Kurz/!5804258
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Leonhard
       
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