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       # taz.de -- Afghanischer Verlag setzt Zeichen auf der Buchmesse: „Menschen weinen mit uns“
       
       > Der afghanische Verlag Aazam präsentiert auf der Frankfurter Buchmesse
       > keine Bücher. „Wir wollen zeigen, dass wir trauern“, sagt Yalda Abassi.
       
   IMG Bild: Leerer Stand: Yalda Abassi vom afghanischen Verlag Aazam auf der Frankfurter Buchmesse
       
       taz: Frau Abassi, Sie sitzen am Stand Ihres Verlags Aazam, es ist der
       einzige aus Afghanistan, aber ohne Bücher. Hinter ihnen hängt ein Banner,
       auf dem zu lesen ist: „No books this year!“ Warum? 
       
       Yalda Abassi: Ich denke, jeder weiß, [1][wie es derzeit um Afghanistan
       bestellt] ist. Aus einer politischen Krise ist eine humanitäre Krise
       geworden. Wir nehmen seit sieben Jahren an der Buchmesse teil. In diesem
       Jahr hatten wir keine Hoffnung. Wir wollten anfangs gar nicht zur Messe
       kommen. Wie können wir hier Bücher ausstellen, während zu Hause die
       Menschen hungern?
       
       Nun sind Sie aber hier. 
       
       Da haben wir erst vor einigen Tagen beschlossen. Wir leben noch. Es ist
       nicht unsere Schuld, dass die Bücher nicht hier sein können. Die Bücher
       sind ein Symbol für Bildung und Kultur. Auch wenn sie verschwinden: Wir
       sind noch da. Wir lieben Bücher, [2][wir glauben an Kultur], also müssen
       wir hier präsent sein. Wir wollen den Menschen auf der Welt zeigen, dass
       wir trauern.
       
       Sie hätten Ihre Bücher präsentieren können, aber haben sich dafür
       entschieden, ein Zeichen zu setzen. 
       
       Ja. Die Bücher unseres Verlags befinden sich in Frankfurt. Aber wir wollen
       sie nicht zeigen, weil unser Herz blutet. Es ist nicht die Zeit, um Bücher
       zu präsentieren. Wir glauben, dass Bildung und Kultur das Wichtigste im
       Leben sind. Aber die Lage ist so schlecht, dass selbst die Bücher jetzt an
       zweiter Stelle kommen.
       
       Kommen viele Leute zu Ihrem Stand? 
       
       Viele besuchen uns. Das ist sehr bewegend. Oft kommen Menschen und weinen.
       Sie umarmen uns. Sie sind in ihrem Herzen getroffen und zeigen uns ihre
       Solidarität. In einem gewissen Sinn ist das unsere beste Buchmesse, weil
       wir so viel Aufrichtigkeit erleben.
       
       Welche Bücher hat Ihr Verlag publiziert? 
       
       Der Verlag hat ursprünglich medizinische Bücher veröffentlicht, weil unser
       Gründer Medizin studiert hat und weiterhin als Arzt arbeitet. In den
       vergangenen Jahren hat sich das Spektrum erweitert, wir haben vor allem
       politische Bücher verlegt. Wir haben auch Bücher aus dem Ausland übersetzt.
       
       Welche Hoffnung verbinden Sie mit Ihrem Auftritt hier auf der Messe? 
       
       Wir erwarten nichts. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber dennoch
       hoffen wir. Vielleicht wird unser Handeln einen Schmetterlingseffekt haben.
       Wenn man das Richtige zur rechten Zeit und am richtigen Ort tut, kann
       anderswo ein Tornado entstehen. Wir haben in den letzten Tagen auf der
       Messe Menschen getroffen, die mit uns geweint haben, und das gibt uns viel
       Kraft. Was wir hier tun, wird irgendwo auf der Welt etwas bewirken. Aber
       politisch wird es nichts ändern.
       
       Kann Ihr Verlag in Afghanistan noch arbeiten? 
       
       Die Maschinen stehen still. Unsere Mitarbeiter sind im Wartemodus. Sie
       arbeiten nicht, und wir haben keine Hoffnung, dass die Lage in der nahen
       Zukunft besser werden wird. Wir hoffen, dass es auf lange Sicht besser
       wird.
       
       Wie stellt sich die Lage in Afghanistan aus Ihrer Perspektive heute dar? 
       
       Die Hälfte der Bevölkerung, also [3][Mädchen und Frauen, können nicht zur
       Schule gehen]. Die andere Hälfte ist nicht genug gebildet, um ein Interesse
       an Büchern haben zu können. Davon abgesehen sind die Menschen derzeit damit
       beschäftigt, zu leben und nicht zu sterben.
       
       23 Oct 2021
       
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