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       # taz.de -- Konflikt beim Klimagipfel: Geld gegen schlechtes Gewissen
       
       > Beim Klimagipfel in Glasgow entbrennt Streit über Schadenersatz für
       > Klimaschäden. Die Reichen bieten Geld. Die Armen wollen Hilfe und
       > Mitsprache.
       
   IMG Bild: Es trifft auch die Reichen: Sturmschäden am Taishogun-Schrein in Kyoto, Ort des Klimagipfels 1997
       
       Glasgow taz | Am 8. November 2013 verwüstete der Megasturm „Hayan“ Teile
       der philippinischen Küstenregion. Häuser verschwanden, mehr als 6.000
       Menschen starben. Die Delegierten auf der 19. Klimakonferenz im polnischen
       Warschau, die zeitgleich stattfand, schockierte ein dramatischer Appell des
       damaligen philippinischen Verhandlers, dessen Familie mitten in der
       Katastrophe um ihr Leben fürchtete. U[1][nd die Konferenz reagierte: Sie
       beschloss den „Internationalen Warschau-Mechanismus“ (WIM), der sich mit
       Verlusten aus der Klimakrise beschäftigen sollte.]
       
       Acht Jahre später ist Marinel Ubaldo von der philippinischen Organisation
       Klima-Aktion und Umwelt-Gerechtigkeit auf der Konferenz in Glasgow und
       sagt: „Die Menschen, die umgesiedelt wurden, fanden keine Jobs und kommen
       zurück. Sie leben wieder an der Küste, der nächste Sturm wird sie genauso
       treffen.“ Koordinierte internationale Hilfe oder Wiederaufbau habe es nicht
       gegeben.
       
       ## Kampf um Thema voll entbrannt
       
       Der WIM debattierte und legte Berichte vor. „Technisch haben wir
       Fortschritte gemacht“, sagt Sven Harmeling von der Hilfsorganisation Care,
       „aber wer als Entwicklungsland das Thema wirklich anspricht, wird immer
       noch schnell zum Schweigen gebracht.“
       
       Der Kampf, das Thema „Verluste und Schäden“ im UN-Prozess zu verankern, ist
       in Glasgow jetzt voll entbrannt. Die Entwicklungsländer wollen erreichen,
       dass das Thema einen eigenen Tagesordnungspunkt bekommt, dass es ernst
       genommen wird und in den Finanzverhandlungen auftaucht. Das Forum der
       verwundbaren Länder (CVF), ein Zusammenschluss von 48 direkt betroffen
       Staaten, warnt vor Kosten von bis zu 4 Billionen Dollar jährlich ab dem
       Jahr 2030 – und vor der Ausbreitung von Hunger, Armut, Wasserknappheit und
       Migration.
       
       Bisher haben die Industriestaaten gemauert. Aber jetzt gibt es den ersten
       kleinen Riss in ihrer Verteidigung: Eine Million Pfund will die schottische
       Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon aus ihrem Budget für die „Schäden und
       Verluste“ der armen Länder im Klimawandel abzweigen. Die Summe ist klein,
       die politische und symbolische Wirkung aber groß.
       
       ## „Loss and Damage“
       
       „Loss and Damage“, („L & D“) wie es im Konferenzjargon heißt, ist der
       Inbegriff für das schlechte Gewissen der Industriestaaten im UN-Prozess.
       Dieser kümmert sich bisher mit seinen Töpfen und Programmen um
       Emissionsreduktion oder Anpassung an den Wandel. Aber einen wirksamen
       UN-Prozess für Hilfen an Menschen, die direkt unter zerstörten Häusern oder
       versalzenen Feldern leiden, gibt es bisher nicht.
       
       Geld ist nicht das größte Problem. Die Industrieländer fürchten vor allem,
       dass sie in die juristische und finanzielle Verantwortung für die
       Klimakrise genommen werden könnten – obwohl das im Pariser Abkommen
       ausdrücklich ausgeschlossen ist. Gleichzeitig fühlen sich viele Delegierte
       aus Industrieländern zunehmend unwohl. „Den Leuten fliegen die Häuser weg
       und wir tun nichts, das kann nicht sein“, sagt ein Verhandler.
       
       Der Ausweg lautet bisher: mehr Geld. Die britische Regierung hat deshalb am
       Montag beim offiziellen „Tag für Anpassung, Schäden und Verluste“ dazu
       aufgerufen, die „Welt widerstandsfähig gegen den Klimawandel“ zu machen.
       Sie gibt dafür insgesamt 290 Millionen Pfund für Klimaschutz und Anpassung
       – aber nur eine kleine Million dafür, um schneller und besser in Krisen zu
       helfen, „einschließlich bei klimabedingten Katastrophen“.
       
       ## Geld für Anpassung, nicht für Schäden
       
       Das zeigt das alte Muster, das die armen Länder kritisieren: Geld fließt
       für Windkraftanlagen oder in den Bau von Deichen, also in Klimaschutz oder
       „Anpassung“ – aber gesicherte Hilfen für den Verlust von Häusern oder
       versalzte Felder gibt es kaum.
       
       Die deutsche Regierung greift deutlich tiefer in die Tasche: Traditionell
       hat sie Versicherungsmodelle für bedrohte Staaten vorangetrieben, jetzt
       sollen noch einmal 150 Millionen Euro für den UN-Anpassungsfonds und einen
       Fonds für die am wenigsten entwickelten Länder fließen. Aber bei der Frage
       nach einem Geldtopf für „L & D“ bremst Jürgen Zattler vom deutschen
       Entwicklungsministerium: „Wir wollen diese Diskussion, aber sie ist noch
       ganz am Anfang.“
       
       Überall sonst in Glasgow ist allerdings die Rede davon, dass es jetzt aber
       dringend mal richtig losgehen müsse. [2][Das fordert zwischen den Zeilen
       auch ein Gutachten der OECD, das die Deutschen bei der letzten COP
       angeschoben haben] und jetzt leicht verschämt vorlegten. Das Papier nennt
       keine konkreten Zahlen. Aber es fordert immerhin: „Ein Kurswechsel ist
       nötig.“ Die Industriestaaten sollten vorangehen, denn in vielen
       Entwicklungsländern müsse „der Schutz der verwundbarsten Gemeinschaften
       angemessen auf der internationalen Ebene unterstützt werden“.
       
       Hilfe gegen die Folgen der Klimakrise sei dabei nicht nur ethisch geboten,
       sondern auch eine Frage des Eigennutzes, stellt das OECD-Papier fest: „In
       einer vernetzten Welt können Verluste und Schäden in einem Land über
       geopolitische Grenzen schwappen, etwa durch die Unterbrechung von
       Lieferketten, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten und die Migration
       von Menschen.“
       
       Die Industrieländer geraten zusätzlich unter Druck, wenn immer häufiger
       Urteile weltweit eine juristische Verantwortung der großen Klimasünder
       annehmen – und die „Zuordnungswissenschaft“ immer genauer sagen kann, wie
       wahrscheinlich eine „Wetterkatastrophe“ eigentlich Teil der Klimakrise ist.
       Der Prozess eines peruanischen Bergführers gegen den Energiekonzern RWE
       wegen der Gefährdung seiner Heimat durch schmelzende Gletscher geht etwa
       nächstes Jahr in seine entscheidende Phase.
       
       Ohnehin kann „Loss and Damage“ in der Klimakrise plötzlich auch ein Thema
       für die Industrieländer werden. Als im Sommer in der Hochwasserkatastrophe
       in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen die Überflutungen fast 200
       Menschen töteten und ganze Flusstäler verwüsteten, belief sich der Schaden
       laut Bundesregierung auf gut 28 Milliarden Euro.
       
       Das können sich nicht nur Entwicklungsländer kaum leisten. Umso mehr ist
       die philippinische Aktivistin Marinel Ubaldo, die den Taifun „Hayan“
       überlebt hat, überzeugt, dass sie sich nicht abspeisen lassen will: „Sie
       sagen uns, wir sollen nach Hause gehen. Aber viele haben gar kein Zuhause
       mehr.“
       
       8 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Klimakonferenz-in-Paris/!5255704
   DIR [2] https://www.oecd.org/publications/managing-climate-risks-facing-up-to-losses-and-damages-55ea1cc9-en.htm
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
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