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       # taz.de -- Wahlen in Nicaragua: Ortega lässt sich bestätigen
       
       > Offiziell ist Daniel Ortega mit rund 75 Prozent der Stimmen in Nicaragua
       > wiedergewählt. Oppositionelle sprechen von 80 Prozent Wahlenthaltung.
       
   IMG Bild: Neuer, alter Präsident: Daniel Ortega mit Ehefrau Rosario Murillo auf einem Wahlplakat
       
       Wien taz | [1][Daniel Ortega] ist für weitere fünf Jahre zum Präsidenten
       von Nicaragua gewählt. Und seine Ehefrau Rosario Murillo wird ihm als
       Vizepräsidentin zur Seite stehen. Lange bevor der Oberste Wahlrat (CSE) ein
       offizielles Ergebnis verkünden konnte, stand das Ergebnis des Urnengangs
       vom Sonntag fest. Glückwunschbotschaften aus dem Ausland, die zu den
       diplomatischen Ritualen zählen, sind aber dünn gesät. Zu offensichtlich hat
       sich der seit fast 15 Jahren regierende Veteran der Sandinistischen
       Revolution der Opposition entledigt und alle Staatsgewalten unter seine
       Kontrolle gebracht.
       
       Schon nach seiner Stimmabgabe am Sonntag trat Daniel Ortega über die
       gleichgeschalteten Fernsehkanäle an die Öffentlichkeit und feierte den
       Urnengang als „Zeichen des Engagements der Mehrheit für den Frieden.“ Den
       mit Feuer und Schwert niedergeschlagenen friedlichen Volksaufstand von
       2018, der seinen Rücktritt gefordert hatte, bezeichnete er als „Akt des
       Terrorismus“.
       
       Kurz nach 2:00 Uhr Ortszeit meldete CSE-Präsidentin Brenda Rocha ein
       vorläufiges Ergebnis. Daniel Ortega habe 74,99 Prozent der gültigen Stimmen
       erhalten, der engste Verfolger, Walter Espinoza von der
       Liberal-Konstitutionalistischen Partei (PLC) 14,4 Prozent. Keine der
       restlichen vier Kleinparteien, die sich für das Ritual hergaben, erreichte
       mehr als fünf Prozent. Den Auszählungsgrad gab der Wahlrat als knapp unter
       50 Prozent an. Die Wahlbeteiligung bezifferte er mit 65,34 Prozent.
       
       Die Bürgerplattform [2][Urnas Abiertas] bezweifelt die Echtheit dieser
       Zahlen. Sie schätzt die Wahlenthaltung auf 81,5 Prozent. Ihre 1.450
       Beobachter verglichen in 563 der insgesamt 3.106 Wahllokale die Anzahl der
       möglichen Stimmen mit den tatsächlich erschienenen Wählerinnen und Wählern.
       
       ## Auf Lastwagen zu den Urnen gekarrt
       
       Schon bei den Präsidentenwahlen 2016 hätten höchstens 40 Prozent der
       Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Unabhängige ausländische
       Wahlbeobachter wurden genausowenig ins Land gelassen wie ausländische
       Presseleute. Selbst die Propagandaplattform der Regierung
       www.el19digital.com ist für unliebsame Journalisten unzugänglich: „Sie sind
       temporär von dieser Website verbannt“ heißt es dort auch für die taz.
       
       Die Wahlbeteiligung wäre zweifellos noch niedriger ausgefallen, wenn
       Mitglieder der der Vizepräsidentin unterstehenden Bürgermachtsräte (CPC)
       nicht Unwillige zu Hause aufgesucht und zur Stimmabgabe gedrängt hätten. In
       mehreren Gemeinden wurden Wahlberechtigte unter Druck mit Fahrzeugen
       verschiedener staatlicher Institutionen, selbst auf Armeelastwagen, zu den
       Urnen befördert. Staatsbedienstete sollen aufgefordert worden sein, ihre
       Stimme für Ortega mittels Handyfoto zu dokumentieren. Studierenden wurde
       der Entzug des Stipendiums angedroht, falls sie die Wahl boykottierten.
       
       Nicht einmal nach außen wurde der Schein einer freien und unabhängigen Wahl
       gewahrt. Vor zahlreichen Wahllokalen war Propaganda der regierenden FSLN zu
       sehen und Aktivisten marschierten Slogans rufend und die rot-schwarze
       Parteifahne schwingend durch die Straßen. Beisitzer der evangelikalen
       Partei Camino Cristiano klagten, sie seien nicht in ins Wahllokal gelassen
       worden. In manchen Wahllokalen hätten bewaffnete Zivilisten eine Stimmung
       der Einschüchterung erzeugt.
       
       Pedro Fonseca von Urnas Abiertas berichtete von gewalttätigen
       Zusammenstößen und der Festnahme von mindestens 21 Personen, die
       oppositionellen Bündnissen zugerechnet werden. Die prominentesten
       Kandidaten der Opposition sind noch vor Beginn des Wahlkampfes und vor
       einer geplanten Vorwahl eines Einheitskandidaten [3][verhaftet] oder unter
       Hausarrest gestellt worden.
       
       International wird das Schauspiel vom Sonntag deshalb fast einhellig als
       „Wahlfarce“ zurückgewiesen. US-Präsident Joe Biden sieht Ortega als
       „Autokraten“. Der US-Kongress hat in den vergangenen Monaten Sanktionen
       über Akteure des Regimes verhängt, darunter Vizepräsidentin Rosario
       Murillo.
       
       8 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Fruehere-Sandinistin-ueber-Ortega/!5540563
   DIR [2] https://twitter.com/UrnasAbiertas/status/1457560585097207811
   DIR [3] /Oppositionspolitikerin-in-Nicaragua/!5776289
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Leonhard
       
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