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       # taz.de -- Zensur vor Olympia in China: Der Sturz, den es nicht geben darf
       
       > Ein Rodler aus Polen stürzt schwer auf der Olympiabahn. Erfahren soll das
       > in China niemand. Kritische Berichterstattung wird unterdrückt.
       
   IMG Bild: Rodeltraining bei Peking: Ausländische Medien berichten über den Unfall, chinesische nicht
       
       Peking taz | In China kann nicht sein, was nicht sein darf: Am
       Montagnachmittag rast der polnische Rodler Mateusz Sochowicz mit 60 km/h
       die olympische Bahn in Yanqing hinunter und stürzt direkt in eine
       Absperrung. In der Parallelwelt des Olympischen Gastgebers hingegen ist der
       Unfall schlicht nicht passiert: Keine einzige Nachricht lässt sich dazu
       finden, selbst die Suchmaschinen spucken null Ergebnisse aus.
       
       Stattdessen publizieren die Staatsmedien und Diplomaten des Landes allein
       am Dienstag abertausende Propaganda-Postings auf den sozialen Medien. Die
       Sportabteilung der Parteizeitung „Peoples Daily“ berichtet von der
       Trainingswoche für Rodler, ohne den gestürzten Athleten mit einer einzigen
       Silbe zu erwähnen. Der chinesische Diplomat Zhang Heqing lädt auf seinen
       Twitter-Account ein idyllisches Foto der schneeverhangenen Rodelbahn, die
       wie ein „im Schnee schwimmender Drache“ aussehen würde.
       
       Wer in China lebt, der ist von solchen Vorfällen längst nicht mehr
       überrascht. Ganz offensichtlich haben die Zensoren wieder einmal
       zugeschlagen und den Medien einen Maulkorb verpasst. Offensichtlich soll
       nichts [1][die Olympia-Idylle] trüben, auch kein Sportunfall.
       
       Die absurde Desinformation der chinesischen Regierung wurde am Dienstag
       umso offensichtlicher, als dass die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua
       tatsächlich für kurze Zeit eine knappe Nachricht über den Rodel-Unfall
       publizierte – nur, um sie wenige Minuten später wieder zu löschen. Der
       Weltöffentlichkeit ist dies nur bekannt, weil ein polnischer
       China-Korrespondent dies mit einen Screenshot dokumentierte.
       
       Was tatsächlich passiert ist, lässt sich nur im freien Netz außerhalb der
       Volksrepublik nachlesen: Der 25-jährige Sochowicz musste nach einer Fraktur
       der Kniescheibe und Prellungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die
       Ursache seiner Kollision, so scheint es, ist menschliches Versagen: Der
       Rodler absolvierte seine Trainingsfahrt von der Frauen-Startposition. Diese
       wurde jedoch von einer Weiche verschlossen. Wer genau für den Fehler
       verantwortlich zeichnet, ist bislang unklar.
       
       ## Ausdruck des Systems
       
       Doch der Athlet selbst kritisiert gegenüber polnischen Medien die
       offensichtlich überforderten Einsatzkräfte: „Das Bahnteam war sehr
       inkompetent. Sie wussten überhaupt nicht, was sie tun sollen. Jemand kam zu
       mir und versuchte, meinen freigelegten Knochen mit einem Handschuh zu
       berühren.“
       
       Dass selbst der Unfall eines Athleten in China unter Verschluss gehalten
       wird, ist kein Einzelfehler, sondern Ausdruck eines autoritären Systems,
       das wenig mehr fürchtet als einen freien Informationsfluss.
       
       Erst letzte Woche hat der Pekinger Korrespondentenclub in einem Report
       öffentlich gemacht, wie die Behörden sämtliche Vorberichterstattung über
       die im Februar stattfindenden Winterspiele verhindern. Ein
       Fernsehjournalist wurde beispielsweise vom Organisator eines Pressetermins
       wüst beschimpft, nachdem dieser in einem Bericht auch die Boykottdebatte
       aufgrund Chinas Menschenrechtsverletzungen ansprach. „Er drohte mir, dass
       wir keine Einladungen mehr bekommen werden – seitdem haben wir auch keinen
       Zugang mehr erhalten“, sagt der Kollege, der aus Angst vor Repressionen
       anonym bleibt.
       
       Andere Korrespondenten berichten gar, dass sie auch von Polizisten
       eingeschüchtert und bei Recherchen gehindert worden sein. Das vielleicht
       größte Problem ist der generell fehlende Zugang: Interviewanfragen werden
       fast durchgehend entweder ignoriert oder abgelehnt.
       
       All dies steht in krassem Widerspruch zur Olympischen Charta: Diese
       beinhaltet, dass eine „möglichst vollständige Berichterstattung“
       gewährleistet werden sein muss. Doch Pekings Staatsführung, daran besteht
       mittlerweile kein Zweifel mehr, geht es vor allem um [2][eine imposante
       Propaganda-Show], die nicht durch kritische Journalisten vermiest werden
       soll. Doch man muss kein Hellseher sein um vorauszusagen, dass genau jene
       Kontrollwut am Ende ihr Gegenteil erreichen wird.
       
       10 Nov 2021
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
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