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       # taz.de -- Wirtschaftsweiser zur Konjunktur: „Die Unsicherheit ist hoch“
       
       > Der Wirtschaftsweise Achim Truger berät die Bundesregierung. Er plädiert
       > für eine Obergrenze für kreditfinanzierte Investitionen.
       
   IMG Bild: Windkraft als Investition, für die man sich ruhig verschulden kann, findet Achim Truger
       
       taz: Herr Truger, die [1][Wirtschaftsweisen] haben ihre Wachstumsannahme
       für dieses Jahr reduziert, für 2022 aber auf 4,6 Prozent erhöht. Lassen
       sich angesichts des Durcheinanders der Coronakrise verlässliche Prognosen
       abgeben? 
       
       [2][Achim Truger]: Konjunkturprognosen sind nie genau. Das können sie auch
       nicht sein. Trotzdem lagen wir in jüngster Zeit mit unseren Annahmen
       ziemlich gut. Doch jetzt ist die Unsicherheit natürlich besonders hoch. Es
       ist schwer zu sagen, wie sich beispielsweise die Probleme in den
       Lieferketten weiterentwickeln oder zu welchen Einschränkungen wegen der
       Pandemie es noch mal kommt.
       
       Die kommende Bundesregierung hat ein [3][Finanzproblem]: Ihre Vorhaben
       erfordern Dutzende Milliarden Euro jährlich zusätzlich, doch SPD, Grüne und
       FDP können sich offenbar nicht auf die Art der Geldbeschaffung einigen. Was
       empfiehlt der Sachverständigenrat? 
       
       Der Rat ist in dieser Frage gespalten. Deshalb haben wir die neue Rubrik
       „Zur Diskussion gestellt“ in das Gutachten aufgenommen. Monika Schnitzer
       und ich halten es für plausibel, dass tatsächlich ein großer staatlicher
       Investitionsbedarf etwa für die Transformation der Energiewirtschaft und
       Infrastruktur besteht.
       
       Dagegen haben Veronika Grimm und Volker Wieland eher Zweifel, was die
       nötige Dimension betrifft. Frau Schnitzer und ich haben dann überlegt, wie
       man große Volumen mobilisieren kann. Wir meinen, dass Kreditfinanzierung
       dabei eine Rolle spielen und man die Spielräume der Schuldenbremse ausloten
       sollte. Frau Grimm und Herr Wieland sind da sehr viel konservativer.
       
       Sie wollen beispielsweise öffentlichen Unternehmen und Gesellschaften
       erlauben, mehr Schulden aufzunehmen. Entstehen dadurch nicht
       unkontrollierbare Schattenhaushalte? 
       
       Wir haben solche Unternehmen ja bereits, zum Beispiel die Deutsche Bahn.
       Und wenn neue Investitionsgesellschaften gegründet würden, sollte man im
       Einrichtungsgesetz genau beschreiben, wie die parlamentarische Kontrolle
       funktioniert
       
       Sollte staatliche Finanzpolitik nicht eher in Parlamenten beschlossen
       werden anstatt in Vorständen und Aufsichtsräten, auf die die Politik nur
       wenig Zugriff hat? 
       
       Ja, das stimmt. Aber wir müssen auch sehen, dass die Schuldenbremse im
       Grundgesetz den entsprechenden Handlungspielraum der staatlichen
       Fiskalpolitik erheblich einschränkt. Und die drei Parteien der Ampel haben
       sich darauf geeinigt, daran im Prinzip nichts zu ändern.
       
       Sollte es Ihrer Meinung nach eine Begrenzung der Schulden in
       Nebenhaushalten geben? 
       
       Wenn man eine dauerhafte Möglichkeit für zusätzliche, kreditfinanzierte
       Investitionen schafft, wäre eine Obergrenze wahrscheinlich hilfreich –
       schon, um Ängsten vor zu großer Verschuldung vorzubeugen. Die Grenze könnte
       dann beispielsweise 1 oder 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen,
       was momentan etwa 35 bis gut 50 Milliarden Euro zusätzlichen Spielraum pro
       Jahr bedeuten würde.
       
       Die [4][Angst vor der Inflation] kehrt zurück: Die Wirtschaftsweisen nehmen
       zwar an, dass die Inflationsrate im kommenden Jahr wieder unter 3 Prozent
       sinkt. Aber wirken der steigende Kohlendioxidpreis, der höhere Mindestlohn
       und die Lohnforderungen der Gewerkschaften nicht in die entgegengesetzte
       Richtung? 
       
       Im Moment gehen wir davon aus, dass die höhere Inflation durch
       Sonderfaktoren wie steigende Energiepreise verursacht wird und sie sich
       nächstes Jahr wieder zurückbildet. Wir nehmen auch an, dass die jetzt
       absehbaren Lohnforderungen keinen Inflationsdruck ausüben werden.
       
       10 Nov 2021
       
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