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       # taz.de -- Film über NS-Minister Albert Speer: Schönfärben einer Nazikarriere
       
       > In ihrem Film „Speer Goes to Hollywood“ erzählt Vanessa Lapa, wie der
       > ehemalige NS-Rüstungsminister sich in der Nachkriegszeit reinwaschen
       > wollte.
       
   IMG Bild: Klappe für den Nazi: Albert Speer in einer Archivszene aus „Speer Goes to Hollywood“
       
       Die Publikation von Albert Speers sogenannten Erinnerungen brachten Hitlers
       ehemaligem Rüstungsminister Ende der 1960er Jahre nicht nur einen Batzen
       Geld, sondern auch einen Batzen Leserbriefe ein. Verfasst hatte Speer das
       Buch, während er eine 20-jährige Haftstrafe absaß, zu der er im Nürnberger
       Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des Nationalsozialismus verurteilt
       wurde. In Filmaufnahmen kann man ihm zusehen, wie er Briefumschläge öffnet
       und einem Interviewer auf Französisch erklärt, dass er all die Briefe
       beantworte. Er hoffe aber, dass das mit den Briefen auch mal wieder
       aufhöre. „Man möchte ja auch ein Privatleben haben.“
       
       [1][Speers Selbststilisierung], die Lügen und Beschönigungen,
       oberflächliche Reue und vermeintlich aufrichtige Zeitzeugenschaft verwebt,
       stieß weltweit auf offene Ohren. Zu Beginn ihres Dokumentarfilms „Speer
       Goes to Hollywood“ zeigt [2][Vanessa Lapa] Speer auf dem Höhepunkt seines
       Erfolgs in der Nachkriegszeit. Die andauernde Faszination für den
       Nationalsozialismus und die Logik des Kalten Kriegs, in der ein Nazi, dem
       man nichts nachweisen kann, ein Verbündeter im Kampf gegen den Kommunismus
       ist, haben Speer eine zweite Karriere ermöglicht.
       
       Für eine Weile scheint Speer omnipräsent, alle Welt will ein Interview mit
       ihm. Ein Jahr, nachdem sein Buch auf Englisch erscheint, erwirbt der New
       Yorker Anwalt Stanley Cohen die Filmrechte, wenig später zeigt sich
       Paramount Pictures an einer Verfilmung interessiert.
       
       Das Studio engagiert den Mittzwanziger Andrew Birkin, der in den Jahren
       zuvor unter den Fittichen von Stanley Kubrick seine Karriere mit
       wechselnden Jobs in der Filmbranche begonnen hatte. Über Monate gehen Speer
       und Birkin die Rohfassung des Drehbuchs Szene für Szene durch.
       
       ## Der Film, der nie realisiert wurde
       
       Der Film wird nie realisiert. Die Tonbandaufzeichnungen der Gespräche
       zwischen den beiden sind die zentrale Quelle für Lapas Film. Die Stimmen in
       Lapas Film sind jedoch die von Schauspielern.
       
       „Das Ziel ist, dass das Publikum sich in den ersten fünf Minuten mit Ihnen
       identifiziert“, erklärte Birkin in einem der frühen Gespräche seinen Ansatz
       beim Drehbuch. Eine Intention, die Speer erkennbar recht ist. Die Gespräche
       nehmen ihren Lauf: Speer schildert, wie es gewesen sei, Birkin nimmt das
       zur Kenntnis. Nur das Zögern in den zustimmenden Kommentaren variiert.
       
       Speer erzählt, wie er die Inszenierung Hitlers bei den Parteitagen erfunden
       habe, rümpft die Nase über die Besucher auf Hitlers Berghof. In der Partei
       habe es wenige Intellektuelle (gemeint ist: wie ihn selbst) gegeben. Kurz
       darauf versucht der [3][britische Regisseur Carol Reed] Birkin ein erstes
       Mal vorsichtig beizubringen, dass Speer ihn einwickelt mit seinen harmlosen
       Erzählungen.
       
       In Momenten wie diesem zeigt sich die Klugheit von Lapas Film. „Speer Goes
       to Hollywood“ rekonstruiert Speers Versuch, sich auf der großen Bühne eines
       Hollywood-Biopics reinzuwaschen. Als die Sprache auf die
       Zwangsarbeiter_innen kommt, die Speer für die deutschen Rüstungsbetriebe
       versklavte, ist diesem vor allem eines wichtig: zu betonen, wie viele
       Menschen seinem Kommando unterstanden. Er rattert die Zahlen der
       Zwangsarbeiter_innen aus dem Gedächtnis herunter.
       
       ## Quellenmaterial Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen
       
       Ob er in einem Konzentrationslager gewesen sei, daran kann sich Speer
       angeblich nicht erinnern. Wieder und wieder konfrontiert Lapa Speers
       verharmlosende Darstellungen mit Szenen aus dem Nürnberger
       Kriegsverbrecherprozess, in dem er als einer der Angeklagten als
       Hauptkriegsverbrecher verurteilt wurde. Dass das ohne externen Kommentar
       gelingt, ist in erster Linie dem beeindruckenden Quellenmaterial zu
       verdanken, allen voran den Tonbandaufnahmen.
       
       Beim Umgang mit den Bildern muss man etwas schlucken. Diese werden, wie
       durch Fernsehgepflogenheiten eingerissen ist, ins Format aktueller
       Abspielgeräte geschnitten und nachträglich mit einer extrem
       generisch-naturalistischen Tonspur unterlegt. Überdies: Auch Lapas Film
       verzichtet nicht darauf, Material aus dem geschichtsrevisionistischen
       Sammelsurium von Karl Höffke zu verwenden, der mindestens in der
       Vergangenheit offene Kontakte zur deutschen Rechten hatte.
       
       Neben der Auseinandersetzung mit Speers Selbstdarstellung hat Lapa ein
       zweites Anliegen: zu zeigen, dass Paramount und Drehbuchautor Birkin allen
       Warnungen von außen zum Trotz weit auf dem Weg fortgeschritten waren,
       Speers eigene Darstellung seines Aufstiegs in den inneren Führungszirkel
       des Nationalsozialismus in eine beschönigende Filmbiografie zu übersetzen.
       
       Das aber [4][bestreitet Andrew Birkin in einem Brief, mit dem er auf eine
       Rezension der World Socialist Web Site reagiert]. Birkin schreibt: „Es war
       nie unsere Intention, zu trivialisieren oder Speers Verbrechen gar zu
       beschönigen. Vielmehr enthielt mein Drehbuch mehrere verurteilende Szenen.“
       Am Rande klingt das sogar in Lapas Film an, wirkt dort aber eher wie ein
       Feigenblatt.
       
       Birkins Replik, die ob ihrer vielen Details sehr lesenswert ist, endet
       damit, dass das Projekt letztlich an den Verlegern von Speers Büchern
       gescheitert sei – an seinem deutschen Verleger Wolf Siedler und Gerald
       Gross vom New Yorker Verlag Macmillan. Von außen ist nicht zu entscheiden,
       was der Wahrheit näherkam. Aber selbst wenn nur die Nahaufnahme von Speers
       biografischen Lügen übrig bliebe, wäre Lapas Film noch ein Verdienst.
       
       10 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Historiker-ueber-Albert-Speer/!5418482
   DIR [2] /Neue-Found-Footage-Filme/!5033022
   DIR [3] /Archiv-Suche/!1563169&s=Carol+Reed&SuchRahmen=Print/
   DIR [4] https://www.wsws.org/en/articles/2020/03/13/birk-m13.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Tietke
       
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