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       # taz.de -- Globaler Rückzug aus Fossilen: Der Anfang vom Ende von Öl und Gas
       
       > Für den Klimaschutz müssen große Mengen Bodenschätze unangetastet
       > bleiben. In Glasgow wird erstmals über Sterbehilfe für die Fossilen
       > debattiert.
       
   IMG Bild: Dänemark stellt um: Hier der größte Windpark des Landes, nahe der Insel Anholt
       
       Glasgow taz | Der dänische Energieminister Dan Jørgensen machte es
       feierlich: „Wir hoffen, dass heute der Anfang vom Ende von Öl und Gas ist“,
       sagte er am Donnerstag auf der Klimakonferenz in Glasgow. „Es wird hart,
       aber es macht einen großen Unterschied, und das ist es, was die
       Wissenschaft und die Menschen erwarten.“
       
       Zusammen mit Costa Rica präsentierte Dänemark die „Allianz jenseits von Öl
       und Gas“ (Boga) – Staaten und Regionen, die beschlossen haben, keine neuen
       Lizenzen für die Suche und Förderung von Öl und Gas zu vergeben, oder die
       diesen Schritt planen. Zu den ersten Mitgliedern der diplomatischen
       Initiative gehören Frankreich, Schweden, Irland, Grönland, Québec und
       Wales. Kalifornien, Neuseeland und Italien haben Unterstützung
       signalisiert.
       
       Das sei „ein großer Wandel“, lobte die Klimaorganisation 350.org, „nachdem
       der UN-Prozess über Jahrzehnte die wichtige Frage ignoriert hat, wie die
       Welt aus den Fossilen aussteigen will, die die Klimakrise antreiben“. Im
       Boga-Gründungsaufruf [1][heißt es, die Initiative werde darauf
       hinarbeiten,] „die heimische Produktion von Öl und Gas in Einklang mit den
       Erfordernissen des Pariser Abkommens zu begrenzen“. Dänemark hat dabei
       Erfahrung: Es hat 2017 den staatlichen Öl- und Gaskonzern Dong zum
       Windanbieter Ørsted umgebaut.
       
       Wie schwierig der Ausstieg ist, zeigt Gastgeber Schottland: 125 Kilometer
       westlich der Shetland-Inseln liegt das bislang unberührte Öl- und Gasfeld
       „Cambo“, das für 25 Jahre Energiesicherheit, Jobs und Millionengewinne
       verspricht. Die britische Regierung will das Projekt bis Ende des Jahres
       genehmigen, aber die [2][schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hat
       London aufgefordert, die Genehmigung zu überdenken].
       
       ## Auch Investoren haben Angst
       
       Mit Boga beginnt eine globale Debatte: Wie, wo und wann gelingt der
       Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle, schnell und möglichst ohne große
       ökonomische und soziale Verwerfungen?
       
       Was lange ein Wunschtraum von UmweltschützerInnen war, wird damit immer
       mehr zum Standard in Politik und Finanzwirtschaft: Ein „geordneter Rückzug“
       („managed decline“) der fossilen Brennstoffe. „Die Erzählung von 1,5 Grad
       und von Klimaneutralität bis 2050 ist immer stärker geworden“, sagt Alex
       Dalman, Analyst beim britischen Thinktank „Carbon Tracker“, „und wenn man
       sie ernst nimmt, läuft das eben auf den geordneten Niedergang von Öl und
       Gas hinaus.“
       
       Dahinter stehen nicht nur Ökogedanken. Sondern auch die Angst der
       Investoren vor „gestrandeten Kosten“ in Öl- und Gasinfrastruktur, die schon
       in wenigen Jahrzehnten überflüssig sein kann. Nicht umsonst warnt schon
       seit Jahren das „Financial Stability Board“, ein Beratungsgremium der G20,
       der Klimawandel könne Geldanlagen entwerten und das globale Finanzsystem
       erschüttern.
       
       [3][Um das Problem zu lösen, seien bis 2050 bis zu 100 Billionen Dollar
       nötig.] Und nicht umsonst haben die Analysten von [4][„Carbon Tracker“ ihr
       aktuelles Gutachten zur Ölindustrie „Anpassung zum Überleben“ (Adapt to
       survive)] genannt – nicht nur für die Inselstaaten, sondern auch für die
       großen Öl- und Gasfirmen.
       
       Um die Klimaziele einzuhalten, müsse einfach ein großer Teil der fossilen
       Reserven im Boden bleiben, hatte schon 2012 US-[5][Journalist und
       Klimaaktivist Bill McKibben vorgerechnet.] Der Weltklimarat bestätigte das:
       [6][Für 1,5 Grad müsste die Kohleproduktion bis 2050 auf 18 Prozent der
       heutigen Werte sinken], die Ausbeutung von Öl auf 34 und die von Erdgas auf
       57 Prozent.
       
       ## In der Realität fällt die Umsetzung schwer
       
       Der Rest der Boden„schätze“ würde damit zu „unverbrennbarem Kohlenstoff“.
       Im September 2021 kam dann auch aus Paris rotes Licht: Die Internationale
       Energieagentur IEA erklärte: Game over. Um das Ziel von 1,5 Grad zu halten,
       [7][brauche es „von heute an keine neuen Investitionen mehr in neue Objekte
       für den Nachsc]hub an fossilen Brennstoffen“.
       
       Die Realität an Ölplattformen und Gasquellen ist allerdings ganz
       unterschiedlich: [8][So hat etwa die norwegische Regierung, sonst gern
       Ökovorreiter, gerade erklärt], die Suche nach neuem Öl und Gas werde erst
       einmal weitergehen. Der [9][Ölkonzern BP hat als bislang erstes großes
       Energieunternehmen angekündigt, bis 2050 aus den fossilen Brennstoffen]
       auszusteigen und sich auf Erneuerbare zu konzentrieren.
       
       Aber auch der geordnete Rückzug fällt Unternehmen und Staaten schwer. Denn
       mit den Öl- und Gasquellen sprudelt auch viel Geld. Bei Staaten wie dem
       Irak (89 Prozent) oder Äquatorial-Guinea (81 Prozent) machen [10][die Öl-
       und Gaseinnahmen nach einer Studie über die „Petrostaaten“ den Großteil des
       Staatsbudgets] aus, in Nigeria sind es 45, in Saudi-Arabien 69 Prozent.
       Aber auch G20-Nationen hängen an der Ölspritze: Russland finanziert 23
       Prozent seines Etats durch Öl und Gas, Mexiko 18 Prozent, Norwegen 15
       Prozent. Laut „Carbon Tracker“ verlören Russland, Saudi-Arabien, Ägypten
       oder Norwegen bei ernsthaftem Klimaschutz bis 2040 jeweils etwa die Hälfte
       ihrer Staatseinnahmen.
       
       Nötig wäre ein internationales Abrüstungsabkommen zum Kohlenstoff, meint
       jedenfalls eine [11][Initiative, die einen „Vertrag zum Verbot der
       Weiterverbreitung von fossilen Brennstoffen“ fordert.] Wie Atomwaffen sei
       der Klimawandel eine „große globale Bedrohung.“ Um ihr zu begegnen, seien
       drei Schritte nötig: das Ende aller Suche und Produktion von Kohle, Öl und
       Gas, dann ein Ausstieg aus der Förderung und ein „gerechter Übergang“, mit
       dem Arbeiter und Regionen der Abschied von den Fossilen ermöglicht werde.
       
       Für den Thinktank „Oil Change International“ jedenfalls gibt es nur drei
       Alternativen: geordneter Rückzug der Fossilen; ungeordneter Rückzug samt
       Firmencrashs und Wirtschaftskrise oder schlicht: Klimakatastrophe. Um das
       zu verhindern, sei ein schneller und gerechter Übergang nötig, heißt es in
       einem Positionspapier zu der Studie „The Sky’s Limit“. Den Anfang machen
       sollte die westliche Welt: „Der Ausstieg sollte da am schnellsten kommen,
       wo er sozial und wirtschaftlich am wenigsten disruptiv ist“, heißt es,
       „besonders in reicheren Ländern, die weniger von der Öl- und Gaswirtschaft
       abhängig sind.“ Wie zum Beispiel 125 Kilometer westlich der
       Shetland-Inseln.
       
       12 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.reuters.com/business/sustainable-business/denmark-costa-rica-seek-alliance-speed-up-end-oil-gas-2021-08-25/
   DIR [2] https://www.bbc.com/news/uk-scotland-57762927
   DIR [3] https://www.imf.org/external/pubs/ft/fandd/2021/09/mark-carney-net-zero-climate-change.htm
   DIR [4] https://carbontracker.org/reports/adapt-to-survive/
   DIR [5] https://www.rollingstone.com/politics/politics-news/global-warmings-terrifying-new-math-188550/
   DIR [6] https://www.nature.com/articles/s41467-020-17679-3
   DIR [7] https://www.iea.org/reports/net-zero-by-2050
   DIR [8] /Oslos-Umweltpolitik-in-der-Kritik/!5801314
   DIR [9] https://www.bp.com/en/global/corporate/news-and-insights/press-releases/bernard-looney-announces-new-ambition-for-bp.html
   DIR [10] https://carbontracker.org/reports/petrostates-energy-transition-report/
   DIR [11] https://fossilfueltreaty.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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