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       # taz.de -- Geflüchtete an der EU-Außengrenze: Ein Ausdruck von Hilflosigkeit
       
       > Die Grünen-Spitze will Migrant*innen per Infokampagne stoppen.
       > Immerhin tun sie damit so, als würden sie das Problem anpacken.
       
   IMG Bild: Migrant*innen in provisorischen Camps an der EU-Außengrenze Polen-Belarus
       
       Es ist wirklich eine grandiose Idee der beiden Grünen-Chefs Annalena
       Baerbock und Robert Habeck: Wir organisieren mal eben eine groß angelegte
       Kampagne in Ländern wie Irak und Syrien, um potenzielle Migrant*innen
       davon zu überzeugen, sich vielleicht doch lieber nicht in einen Flieger
       nach Belarus zu setzen. Dabei sollte natürlich der Hinweis nicht fehlen,
       [1][dass es dem Minsker Machthaber Alexander Lukaschenko herzlich egal ist,
       ob Menschen elendig verrecken] – seien es Belaruss*innen in heimischen
       Knästen oder Kurd*innen bei Minusgraden im Niemandsland zwischen Belarus
       und Polen.
       
       Um es gleich vorweg zu nehmen: Eine derartige Aufklärungsaktion, sollte es
       sie denn überhaupt geben, dürfte komplett ins Leere laufen. Zumindest ist
       bislang nicht überliefert, dass sich [2][Menschen, die fest entschlossen
       sind, ihrer Heimat den Rücken zu kehren], durch Appelle von diesem
       Vorhaben hätten abbringen lassen.
       
       Das wissen wohl auch Baerbock und Habeck. Warum dann trotzdem dieser
       Vorstoß, der doch vor allem ein Ausdruck von Hilflosigkeit ist? Gründe
       dafür gibt es viele. Angesichts Tausender Migrant*innen, die teilweise seit
       Wochen an der EU-Außengrenze unter freiem Himmel und entwürdigenden
       Bedingungen vor sich hin vegetieren, ist Nichtstun auch keine Lösung. Will
       heißen: Wir positionieren uns und packen es an. Zumindest tun wir so.
       
       Das ist aber noch nicht alles: In der grünen Wähler*innenklientel
       dürfte es den Einen oder die Andere geben, der oder die, wenn auch hinter
       vorgehaltener Hand, der Aufnahme weiterer Geflüchteter eher ablehnend
       gegenüber steht. 2015, war da was? Eben. Willkommenskultur war gestern.
       
       Minenfeld Flüchtlingspolitik 
       
       Auch in der noch nicht freigeschalteten Ampel scheint Flüchtlingspolitik –
       vor allem im Hinblick auf die FDP – eher ein Minenfeld zu sein und
       Konfliktstoff zu bergen. Ergo: Es wäre doch praktisch, blieben die Menschen
       zu Hause. Dann müsste auch niemand ernsthaft darüber nachdenken, mit
       Alexander Lukaschenko oder Russlands Präsidenten Wladimir Putin in
       Verhandlungen zu treten, um die Krise zu entschärfen.
       
       Aber Baerbock und Habeck haben zum Thema noch mehr im Köcher. Die
       EU-Sanktionen gegen Belarus müssen verschärft werden, lautet die Forderung
       – als klares Zeichen, dass man sich von Lukaschenko nicht erpressen lasse.
       
       Einmal abgesehen davon, dass bisherige Strafmaßnahmen den Wahnsinnigen in
       Minsk nicht haben stoppen können: Dem Oberschleuser Alexander Lukaschenko
       geht es um sehr viel mehr als nur die Aufhebung der Sanktionen. Vielmehr
       will er, von Rache getrieben, die Europäische Union in ihren Grundfesten
       erschüttern. Dafür gibt es schon jetzt viele Einfallstore, und die stehen –
       auch in der Flüchtlingspolitik – weit offen.
       
       Womit wir bei einem weiteren Punkt wären: Humanitäre Unterstützung für
       [3][die Geflüchteten, die an der EU-Außengrenze gestrandet sind], so das
       richtige Credo des grünen Doppels. Dem würde niemand widersprechen, wäre da
       nicht die Realpolitik. Denn leider spielt Polen nicht mit, christliche
       Nächstenliebe hin oder her. Humanitäre Hilfslieferungen werden in den
       Grenzstreifen, wo seit Wochen Ausnahmezustand herrscht, nicht vorgelassen –
       genauso wenig wie Journalist*innen. Offensichtlich ist es, zumindest bis
       jetzt, wichtiger, schwere Menschenrechtsverletzungen wie Pushbacks, die
       klar europäischem Recht widersprechen, zu vertuschen, als Menschenleben zu
       retten.
       
       Ehrlich gesagt: Eine Lösung, wie mit dieser Situation umzugehen ist, haben
       nicht nur die Grünen nicht. Niemand hat sie. Aber einen Versuch ist es
       wert. Das Schreckliche ist nur: Es geht um Leben und Tod – und das jeden
       Tag ein wenig mehr.
       
       12 Nov 2021
       
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