URI: 
       # taz.de -- Gemeinnütziger Journalismus: Plädoyer für den Aufbau
       
       > Gemeinnütziger Journalismus kann die dritte Säule im Mediensystem werden.
       > Dafür muss die Ampelkoalition jetzt den Weg frei machen.
       
   IMG Bild: Die Heimatzeitung wird dünner und manche Zeitungen verschwinden sogar ganz
       
       „In diesen Tagen könnten sich die Bedingungen für Reporter:innen in
       Deutschland entscheidend verbessern – wenn die Ampel in ihren Verhandlungen
       festschreibt, gemeinnützigen Journalismus möglich zu machen.“ Das
       [1][twitterte am Dienstag Daniel Drepper]. Er ist der Investigativchef von
       Ippen, der vor Kurzem maßgeblich dafür verantwortlich war, den
       [2][Machtmissbrauch von Bild-Chef Julian Reichelt] zu enthüllen. Ich möchte
       kurz erklären, was Drepper meint und wo die große Chance liegt – und was
       die Bild-Story damit zu tun hat.
       
       Formell geht es darum, dass die künftige Regierungskoalition [3][den
       gemeinnützigen Journalismus] in die deutsche Abgabenordnung und die
       Presseförderung aufnimmt.
       
       Dahinter steckt aber mehr. Es geht darum, den digitalen Wandel in den
       deutschen Medien möglichst breit auszurollen. Es geht darum, eine dritte
       Säule im Journalismus zu schaffen, neben Privatverlagen und
       öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Spenden wären von der Steuer absetzbar,
       wie bei einem Sportverein, neue Geschäftsmodelle möglich.
       
       Die Veränderungen auf dem Medienmarkt werden inzwischen vielen Menschen
       schmerzlich bewusst: Die Heimatzeitung wird dünner, enthält belanglosere
       Berichte, Faktenchecks vor Ort existieren nicht – und manche Zeitungen
       verschwinden sogar ganz. Es gibt „Eine-Zeitungs-Kreise“ und die ersten
       „Keine-Zeitungs-Kreise“ dräuen. Damit verschwindet Vielfalt vor Ort und
       damit die Chance für Aufklärung und Demokratie. Es fehlt an Geld.
       
       Die Folgen sind drastisch, wie viele Studien zeigen. Das bürgerschaftliche
       Engagement geht zurück, weil keiner mehr über das Ehrenamt berichtet, heißt
       es in einer Princeton-Studie. Die lokale Korruption nimmt zu, weil keiner
       mehr Fehlverhalten enthüllt, schreibt ein Team der Uni Harvard.
       
       Erst vor Kurzem wurde sichtbar, wie wichtig eine vielfältige
       Presselandschaft in Deutschland ist. Die Enthüllungen über den
       Machtmissbrauch bei Bild konnten in Deutschland lange nicht wirkungsvoll
       veröffentlicht werden, weil der Springer-Verlag in den vergangenen Jahren
       immer wieder seinen Einfluss geltend gemacht hat, um die Veröffentlichung
       von Recherchen in anderen Verlagen zu verhindern.
       
       Und da sind wir bei der Bild-Geschichte von Drepper aus dem Ippen-Verlag.
       Erst eine Veröffentlichung außerhalb Deutschlands, in der New York Times,
       brachte den Stein ins Rollen und erzwang den Abtritt von Julian Reichelt.
       
       Dieser Skandal wirft ein Schlaglicht auf die Zustände in Deutschland.
       Gerade im lokalen Raum sind entsprechende Blockaden der Presse auf Basis
       unterschiedlicher, auch wirtschaftlicher Machteinflüsse umso leichter
       möglich, je weniger Medienschaffende es vor Ort gibt, die publizieren
       können.
       
       ## Spenden nur über Umwege
       
       Die Vielfalt des Angebots ist entscheidend für die Demokratie.
       Gemeinnützige Angebote können dabei helfen, Lücken zu schließen – wenn
       gemeinnütziger Journalismus von der Ampelkoalition endlich ermöglicht wird.
       
       Um es klar zu sagen: Im Augenblick können journalistische Angebote keine
       Spenden annehmen. Dies ist nur über Umwege möglich: [4][Correctiv ]
       beispielsweise ist ein Bildungsangebot, [5][Netzpolitik.org] dient dem
       Verbraucherschutz. Es gibt keine Rechtssicherheit.
       
       Die Gemeinnützigkeit selbst bringt dabei kein Geld – sie kostet den Staat
       aber auch kein Geld. Sie eröffnet nur eine Chance. Erst wenn die
       Geschichten im gemeinnützigen Journalismus gut genug sind, werden Menschen
       bereit sein, dafür zu spenden.
       
       Nennenswerte staatliche Verluste durch die Steuerbefreiung der
       gemeinnützigen journalistischen Organisationen sind nicht zu befürchten, da
       diese sowieso keine Gewinne machen dürfen – und damit auch keine Steuern
       anfallen.
       
       ## Neue Geldquellen fürs Medienmachen
       
       Zugleich könnte ein großer Verlag wie Springer niemals gemeinnützig werden,
       da er auf das Kernziel seiner Existenz verzichten müsste: Gewinne zu
       machen.
       
       Der gemeinnützige Journalismus würde neue Geldquellen fürs Medienmachen
       erschließen. In Deutschland gibt es derzeit rund 23.000 Stiftungen. 95
       Prozent verfolgen gemeinnützige Zwecke. Sie verfügen über ein
       Milliardenkapital. Doch lediglich ein Bruchteil der Stiftungen engagiert
       sich aktuell im journalistischen Feld – weniger als 0,5 Prozent.
       
       Eines der größten Hemmnisse: Viele Stiftungen können qua Satzung
       ausschließlich gemeinnützige Akteure unterstützen. Hierzu zählen
       journalistische Organisationen bislang nicht. Das kann sich mit einem
       Gesetz ändern.
       
       Doch dass diese Chance eröffnet wird, ist nicht sicher. Obwohl die
       Ampelparteien die Einführung des gemeinnützigen Journalismus in ihren
       Wahlprogrammen stehen haben und die Grünen und die FDP sogar schon in der
       Vergangenheit entsprechende Gesetzentwürfe über den Bundestag und den
       Bundesrat eingereicht haben, ist keineswegs klar, dass die Innovation
       kommt.
       
       ## Experimentierfeld und Antreiber für den digitalen Wandel
       
       Mächtige Gruppen machen hinter den Kulissen Stimmung gegen die Einführung
       dieser neuen Form des Journalismus in unser Mediensystem. Die Argumente
       sind teils absurd. Es heißt, etablierte Verlage würden benachteiligt oder
       Geschichten finanziert, die sich nicht verkaufen lassen würden. Der
       gemeinnützige Journalismus diene also der Finanzierung erfolgloser
       Projekte.
       
       Diese Gruppen wünschen sich lieber Subventionen für klassische
       Papierverlage in dreistelliger Millionenhöhe und eine Absicherung
       existierender Biotope, als eine neue Vielfalt im lokalen Raum, die von den
       Spenden einzelner Menschen getragen wird.
       
       Die Mächtigen können sich nicht vorstellen, dass zufriedene Leute für gute
       Geschichten freiwillig Geld spenden. Vor allem innovative Vorhaben können
       mit Hilfe rechnen. Der gemeinnützige Journalismus ist ein Experimentierfeld
       und ein Antreiber für den digitalen Wandel des Journalismus.
       
       Es bleibt zu hoffen, dass die neue Koalition die Blockaden überwindet. Denn
       der gemeinnützige Journalismus ist ein Dienst an der Demokratie.
       
       12 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/danieldrepper/status/1458172938532888578
   DIR [2] /Springer-stellt-Bild-Chef-Reichelt-frei/!5805560
   DIR [3] http://forum-gemeinnuetziger-journalismus.de/
   DIR [4] https://correctiv.org/
   DIR [5] https://netzpolitik.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR David Schraven
       
       ## TAGS
       
   DIR Ampel-Koalition
   DIR Julian Reichelt
   DIR Lokaljournalismus
   DIR Journalismus
   DIR Investigativer Journalismus
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Medien
   DIR Öffentlich-Rechtliche
   DIR Schwerpunkt #metoo
   DIR Bild-Zeitung
   DIR Journalismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Grüne MdBs über Gemeinnützigkeit: Wenn Finanzämter die Macht haben
       
       Gemeinnütziger Journalismus gewährleistet Unabhängigkeit und Staatsferne.
       Doch es fehlt an Rechtssicherheit. Zeit das zu ändern. Ein Gastbeitrag.
       
   DIR Finanzierungsformen für Medienangebote: Gründerwelle im Journalismus
       
       In Deutschland können klassische Medienmodelle die Lücken in der
       Berichterstattung nicht mehr schließen. Zeit für neue gemeinnützige
       Finanzierungsformen.
       
   DIR Schweizer Referendum über Mediengesetz: Zuspitzen und herrschen
       
       Am Sonntag stimmt die Schweiz über ein neues Presseförderungsgesetz ab. Die
       Diskussion darüber ist nicht nur für helvetische Verhältnisse hitzig.
       
   DIR Reform der Öffentlich-Rechtlichen: Aufruf zum Einmischen
       
       Eine Initiative möchte die Öffentlich-Rechtlichen reformieren. Sie fordert
       eine echte Digitalstrategie und mehr Lokaljournalismus.
       
   DIR Nach Rauswurf von „Bild“-Chef Reichelt: Wer im Glashaus sitzt
       
       Sex mit Mitarbeiterinnen, Lügen und Machtmissbrauch: Am Montag musste
       „Bild“-Chef Julian Reichelt doch gehen. Ändert sich etwas?
       
   DIR Abgesang auf Julian Reichelt: Hausgemachter „Bild“-Skandal
       
       „Bild“-Chef Julian Reichelt ist freigestellt, nachdem die „New York Times“
       dessen Machtmissbrauch aufdeckte. Macht strömte ihm aus jeder Pore.
       
   DIR Grüne für Non-Profit-Journalismus: Her mit dem Gemeinnutz
       
       In den USA ist gemeinnütziger Journalismus längst Realität, in Deutschland
       fehlt eine gesetzliche Grundlage. Ein neuer Vorstoß kommt von den Grünen.