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       # taz.de -- Doku-Serie über Narco-Netzwerk: Auf den Spuren des Unantastbaren
       
       > In „Matarife“ möchte Journalist Daniel Mendoza Leal den mächtigsten Mann
       > in Kolumbien enttarnen. Es ist niemand geringeres als Ex-Präsident Uribe.
       
   IMG Bild: Kolumbiens Ex-Präside Uribe auf einer Wand in Bogotá
       
       Der kräftige rote Faden und die dicken, mit einem bunten Zylinderkopf
       versehenen Nadeln gehören zum Handwerkszeug des Kriminologen, Journalisten
       und Juristen Daniel Mendoza Leal. Mit den Nadeln spießt er die Porträtfotos
       des parapolitischen Narco-Netzwerks rund um [1][Ex-Präsident und Ex-Senator
       Álvaro Uribe Vélez] auf, der rote Faden dient ihm dazu, die Verbindungen
       zwischen den Protagonist*innen auch optisch sichtbar zu machen.
       
       Dicke rote Fäden, die sich über eine ganze Wand erstrecken, mit Dutzenden
       von Gesichtern, die oft gar nicht so bekannt sind in Kolumbien, aber in
       aller Regel in Schlüsselpositionen sitzen. So wie Daniel Palacios, der
       ehemalige Privatsekretär von Álvaro Uribe Vélez, der seit dem 20. Februar
       2020 die Nationale Schutzeinheit (UNP) leitet. Mit Bodyguards, gepanzerten
       Autos und schusssicheren Westen soll die UNP diejenigen schützen, die in
       die Schusslinie von Paramilitärs, Guerilla oder kriminellen Organisationen
       geraten sind.
       
       In Kolumbien sind diese landesweit aktiv und längst nicht immer
       einverstanden mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement von
       Aktivist*innen. 145 Morde an sogenannten líderes sociales,
       Aktivist*innen für Land- und Umweltrechte, aber auch für Menschen- und
       politische Rechte, zeugen davon. „Viele davon galten den Analysen der UNP
       zufolge als nicht gefährdet, wurden jedoch oft ein paar Tage nach dem
       UNP-Bescheid mit mehreren Kugeln im Leib tot aufgefunden“, kritisiert
       Mendoza Leal.
       
       Für den 43-jährigen ist das kein Zufall, sondern es hat System. „In
       Kolumbien funktionieren die Institutionen nicht mehr, um Verbrechen zu
       verhindern oder die Täter zumindest zu bestrafen, sondern immer öfter, um
       sie zu fördern“, klagt der drahtige mittelgroße Mann und fährt sich durch
       den pechschwarzen, nicht allzu dichten Vollbart: „Wir haben es mit einem
       von Paramilitärs und Drogenkapos durchdrungenen Staat zu tun, an dessen
       Spitze der Mann steht, um den sich in Matarife alles dreht.“
       
       ## Treffen im elitären Club
       
       Seit Mai 2020 läuft auf Youtube eine Serie, die Licht in die dunklen
       Machenschaften bringen soll. „Schlächter“ heißt der Titel der
       Dokumentationsserie übersetzt, deren erste Episode in Kolumbien am 22. Mai
       2020 online ging und mehr als 2,5 Millionen Zugriffe in den ersten sechs
       Stunden hatte. Kein Wunder, denn noch nie hat jemand in Kolumbien den
       Versuch unternommen, den als unantastbar geltenden mächtigsten
       Strippenzieher des Landes, Álvaro Uribe Vélez, zu demaskieren.
       
       Dabei setzt Mendoza Leal auf eine Fülle von wasserdichten Infos, sorgsam
       zusammengestelltes historisches Bildmaterial, schnelle Schnitte und gute
       Musik, sodass zumindest die ersten Episoden von „Matarife“ an einen
       Psychothriller erinnern. Daniel Mendoza Leal hatte nicht nur die Idee zu
       dieser rasanten historischen Dokumentation, sondern schrieb auch das
       Drehbuch und leistete den Großteil der Recherche. Zudem ist er auch vor der
       Kamera zu sehen.
       
       Sein Büro in Bogotá, vollgestopft mit Ordnern, Mappen, Fotos berühmter
       Drogenkapos, liefert die Kulisse für die ersten Episoden. Auf seinem
       Computer blinken die Dossiers, aber auch die Videos von den Opfern der
       paracos auf. So werden die Paramilitärs in Kolumbien genannt. Der elitäre
       Club El Nogal an der 7. Straße im Norden der Hauptstadt war ihr Dreh- und
       Angelpunkt. Dort trafen und treffen sich Unternehmer, Politiker und damals
       eben auch Paramilitärs, um ihre Strategien im gemeinsamen Kampf gegen die
       Linken zu besprechen.
       
       Anfang der 2000er Jahre war es also ganz alltäglich, dass sich dort die
       relevanten Politiker mit den [2][paramilitärischen comandantes wie
       Salvatore Mancuso], trafen. Kolumbiens derzeit amtierende Außenministerin,
       Marta Lucía Ramírez, die gerade erst auf Visite in Deutschland war, hatte
       damals ein Zimmer im dazugehörigen Hotel. Sie gehörte und gehört wohl auch
       heute noch zu den Schwungrädern im System Uribe.
       
       Von ihrem Foto an der Wand zieht Daniel Mendoza gleich mehrere rote Fäden
       zu anderen Protagonisten, und zu dem Drahtzieher der paramilitärischen
       Gewaltwelle, die Kolumbien Anfang der 2000er mit Dutzenden von Massakern,
       Morden und Vertreibungen erschütterte.
       
       Für den Ex-Präsidenten, der seine politische Karriere mit der Vergabe von
       Fluglizenzen für das Medellín-Kartell von Pablo Escobar Anfang der 1980er
       Jahre in Schwung brachte und mit den convivir, sogenannten
       Selbstverteidigungskommandos, die Vorläufer der Paramilitärs gründete, ist
       „Matarife“ eine handfeste Bedrohung. Mehrfach hat er vergeblich Klagen
       gegen die Doku-Serie und deren Inhalte angestrengt. Obendrein haben die
       Recherchen von La Nueva Prensa, jener Redaktion, in der Mendoza Leal
       zuletzt gearbeitet hat, dazu geführt, dass der oberste Gerichtshof Uribe
       Vélez unter Hausarrest stellte. Wegen Bestechung von Zeugen wird derzeit
       ermittelt. Ein Achtungserfolg für unabhängige Medien.
       
       ## Gutes Drehbuch, exzellente Filmmusik, einfallsreiche Regie
       
       Zudem konnten die Kollegen von La Nueva Prensa belegen, das Álvaro Uribe
       Vélez den Wahlsieg seines politischen Zöglings Iván Duque, heute
       amtierender Präsident, 2018 durch Stimmenkauf eintütete. Ein weiterer
       Skandal, der in Kolumbien dazu beiträgt, dass die Anzahl der Menschen, die
       für ernsthafte Ermittlungen gegen den Ex-Präsidenten plädieren,
       weitersteigt. Dazu trägt „Matarife“ bewusst bei. Erklärtes Ziel der Serie
       ist der subversive Frontalangriff auf den von Paramilitärs und Narco-Kapos
       unterwanderten Staatsapparat. Ein gutes Drehbuch, exzellente Filmmusik, die
       einfallsreiche Regie des mexikanischen Regisseurs César Andrade sowie eine
       gute Dramaturgie haben zum Erfolg von „Matarife“ beigetragen.
       
       Im März diesen Jahres wurde die Doku-Serie, deren Dreharbeiten zur zweiten
       Staffel noch nicht abgeschlossen sind, mit zwei Preisen vom wichtigsten
       Filmfestival Kolumbiens in Cartagena ausgezeichnet. Ein Erfolg, der den
       quirligen und manchmal wie getrieben wirkenden Kopf hinter „Matarife“
       anspornt. Ein Bedürfnis, nein, eine Notwendigkeit sei die Serie, deren
       erste Episoden sechs bis acht Minuten dauerten und vor allem für
       Kolumbianer*innen gemacht waren.
       
       Aufrütteln, Empörung stiften, dass wollte Mendoza in erster Linie erreichen
       und dachte dabei auch an die spezifisch kolumbianischen Hürden bei der
       Mediennutzung. „Für sechs bis acht Minuten reicht in der Regel das
       Datenvolumen, welches die Menschen auf ihren Handys zur Verfügung haben –
       der Internetzugang ist teuer in Kolumbien.“ Deshalb geht es bei der ersten
       Staffel intensiv, emotional, schnell und manchmal plakativ zu. Ganz bewusst
       hat Mendoza Leal seine Serie auch nicht bei Netflix oder ähnlichen
       Anbietern angeboten, sondern sie auf Youtube gestellt.
       
       Daran hat sich auch mit der zweiten Staffel, deren Episoden dreißig bis
       vierzig Minuten lang sind, nichts geändert – nur der Fokus hat sich
       verschoben. Mehr Informationen, mehr Details und auch die Untertitel deuten
       darauf hin, dass der bekennende Unruhestifter ein internationales Publikum
       in den Blick nimmt. Kein Zufall, denn der mittelgroße Mann mit den unruhig
       blickenden Augen lebt im Exil. Flüchten vor den auf ihn bereits angesetzten
       Killern musste er.
       
       Erst karrten ihn Freunde im Kofferraum ihrer Autos über Wochen von einer
       Wohnung zur nächsten in Bogotá, dann rettete er sich dank der Hilfe von
       Amnesty International in die französische Botschaft. Drei Wochen später
       landete er im europäischen Exil. Das hat die Perspektive von Mendoza Leal
       verschoben und dazu beigetragen, dass „Matarife“ europäische Zuschauer
       erreichen will. Das funktioniert, wie das Feedback der User und 37
       Millionen Zugriffe belegen. Positive Zahlen, aber nicht genug für Mendoza
       Leal.
       
       Er ist sich sicher, dass Kolumbien mehr Unterstützung braucht. Nicht der
       korrupte Apparat, sondern die Zivilgesellschaft, deren massive Proteste
       zwischen April und Juni martialisch von Polizei und Militär unterdrückt
       wurden. Für ihn geht es bei den Wahlen im kommenden April nicht mehr um
       links oder rechts, sondern um Leben oder Tod. „Wir brauchen den Wechsel,
       das Ende des paramilitärischen Narco-Staats, den Uribe zu verantworten
       hat“, appelliert er an die internationale Gemeinschaft. Vielleicht kann er
       dann auch irgendwann zurück nach Bogotá und auch den Club wieder besuchen,
       wo alles begann – den Club Nogal. Dort ist der Filmemacher kurioserweise
       Mitglied – bei der Recherche hat das durchaus geholfen.
       
       15 Nov 2021
       
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