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       # taz.de -- Coronalage in Deutschland: Es geht alle an
       
       > Die Zahl der Corona-Opfer steigt rasant. Das Robert-Koch-Institut hat das
       > lange vorausgesagt und spricht jetzt eine klare Empfehlung aus.
       
   IMG Bild: Die Kirche im Dorf lassen. Und die Maske im Gesicht
       
       Berlin taz | Der Satz wiederholt sich seit Wochen in nur leichten
       Abwandlungen. „Ein Anstieg der Infektionszahlen im Herbst und Winter ist zu
       erwarten“, hieß es schon [1][im Corona-Wochenbericht] des Robert
       Koch-Instituts Ende September. „Für den Herbst und Winter ist mit einem
       erneuten Anstieg der Fallzahlen zu rechnen“, schrieb das RKI in den beiden
       folgenden Wochen. Am 21. Oktober wurde das Institut ein wenig deutlicher
       und sprach davon, dass sich „der Anstieg der Fallzahlen noch beschleunigen
       wird.“
       
       In dieser Woche ist die Zahl der Neuinfektionen nun tatsächlich rasant
       geklettert. Über 28.000 Fälle wurden am Donnerstag gezählt. Ein Tageswert,
       der selbst in der bisher fatalsten, zweiten Welle rund um Weihnachten des
       vergangenen Jahres nur äußerst selten übertroffen wurde.
       
       Der 7-Tage-Mittelwert, der statistische Ausreißer an einzelnen Tagen
       glättet, stieg am Freitag auf 17.406. Er lag damit um 47 Prozent höher als
       vor einer Woche. Vor einer Woche lag dieses Wachstumstempo noch bei rund 37
       Prozent, vor zwei Wochen bei nur 7,4 Prozent.
       
       Das ist die Beschleunigung, die das RKI vorausgesagt hatte. Setzt sich
       diese Entwicklung auch nur annähernd im gleichen Tempo fort, wird in
       Deutschland am Ende der kommenden Woche ein neues Allzeithoch an
       Neuinfektionen erreicht.
       
       Die vierte Welle schwappt durch die Republik. Und ihr Ende ist bei Weitem
       nicht absehbar. Im Gegenteil. „Es ist damit zu rechnen, dass sich im
       weiteren Verlauf des Herbstes und Winters der Anstieg der Fallzahlen
       fortsetzen wird“, heißt es auch im jüngsten am Donnerstagabend
       veröffentlichten Wochenbulletin des Robert Koch-Institutes.
       
       ## Die kommenden Toten
       
       Das hat fatale Folgen. Schon in dieser Woche mussten im Schnitt fast 88
       Tote pro Tag gezählt werden. Zwar stirbt aktuell von allen Neuinfizierten
       weniger als ein Prozent innerhalb weniger Wochen. Angesichts der hohen
       Fallzahlen ist aber schon jetzt absehbar, dass in der zweiten
       Novemberhälfte die täglichen Todeszahlen bei 150 bis 200 liegen werden.
       Steigt die Infektionszahl wie prognostiziert in den nächsten zwei, drei
       Wochen weiter, werden im Advent auch die Opferzahlen noch höher liegen. Bis
       Weihnachten wird es daher nochmals mehrere Tausend Coronatote geben. Es ist
       leider nicht unwahrscheinlich, dass die Gesamtzahl der Opfer bis dahin die
       100.000-Marke übersteigt.
       
       Das Problem ist die Deltavariante, die derzeit nahezu 100 Prozent aller
       Infektionen in Deutschland verursacht. Und die weitaus aggressiver ist als
       der Wildtyp, die im ersten Coronajahr dominierte. So kommt es zu der absurd
       anmutenden Entwicklung, dass es trotz der Impfungen aktuell deutlich mehr
       Tote gibt als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Im September und Oktober
       2020 wurden rund 900 Corona-Opfer gezählt. Im September und Oktober 2021
       waren es 3.370, mithin fast viermal so viele.
       
       War also alles Impfen vergeblich? Nein, im Gegenteil. Impfen wirkt. Auch
       das zeigen aktuelle Zahlen des Robert Koch-Institutes. Dessen
       Wissenschaftler:innen schätzen die Impfeffektivität bei den 18- bis
       59-Jährigen auf etwa 75 Prozent. Mit anderen Worten: Ungeimpfte infizieren
       sich viermal so oft wie Geimpfte.
       
       Vor einer Hospitalisierung, also vor einer Einweisung in ein Krankenhaus,
       schützt die Impfung laut RKI gar zu 90 Prozent. Vor der Aufnahme auf eine
       Intensivstation zu 94 Prozent. Vor dem Tod durch Corona zu 98 Prozent. Bei
       den Über-60-Jährigen ist der Schutz nicht ganz so hoch. Aber es sind immer
       noch imposante Werte. Das RKI spricht von einem „ausgeprägten Effekt“.
       
       Auch die wachsende Zahl an Impfdurchbrüchen widerspricht dem nicht. Zwar
       gibt es mittlerweile bei den Über-60-Jährigen mehr Geimpfte als Ungeimpfte
       unter den Neuinfizierten. Aber das liegt schlichtweg daran, dass es in
       dieser Altersgruppe nur noch wenige ohne Doppelimpfung gibt.
       
       Mit anderen Worten: ohne die Impfkampagne hätte die vierte Coronawelle das
       Land noch weit härter getroffen und die fatalen Zahlen der zweiten und
       dritten Welle längst in den Schatten gestellt. Aber da die Impfungen nicht
       hundertprozentig schützen können, geht die Pandemie weiter. Unter Kinder
       und Jugendlichen, die bisher wenig oder gar nicht geimpft werden konnten,
       sogar nahezu ungebremst.
       
       Da aber deutlich weniger Infizierte Symptome bekommen oder gar schwer
       erkranken, stellt sich auch weniger die Frage, wie viele Infizierte sich
       die Gesellschaft leisten kann, sondern vor allem, wie viele tatsächlich
       Erkrankte. Antworten darauf soll die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz
       liefern. Sie gibt an, wie viele Patient:innen pro 100.000
       Einwohner:innen in den letzten sieben Tagen wegen Corona in ein
       Krankenhaus eingeliefert wurden.
       
       ## Die Grenzen der Kliniken
       
       Die Hospitalisierungsinzidenz stieg am Donnerstag laut RKI auf 3,31.
       Tatsächlich wird dieser Tageswert schon fast doppelt so hoch gelegen haben,
       weil er durch zahlreiche Nachmeldungen in den kommenden Wochen stets um 80
       bis 100 Prozent nach oben korrigiert werden muss. Vor allem in den zweiten
       Oktoberhälfte stieg die tatsächliche Kurve steil an, wie man in einer
       sogenannten Adjustierung des Robert Koch-Instituts sehen kann, die die noch
       fehlenden Nachmeldungen prognostiziert. Als Warnwert ist diese Inzidenz
       folglich nur bedingt aussagekräftig.
       
       Schon werden erste Warnungen vor einer erneuten starken Belastung der
       Kliniken laut. Wenn die derzeitige Entwicklung anhalte, müssten bald wieder
       planbare, weniger dringliche Eingriffe verschoben werden, sagte der Chef
       der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß. Dann „haben wir schon in
       zwei Wochen wieder 3.000 Patienten auf Intensivstation“, ohne Einschränkung
       des Regelbetriebs werde das nicht gehen. Am Donnerstag waren gut 1.800
       Intensivpatient:innen in Deutschland registriert.
       
       Wie aber sind all diese Zahlen in Einklang zu bringen mit der anderen
       Kurve, die derzeit steil nach oben zeigt: die der Zahl der Forderungen nach
       einem Ende aller Maßnahmen? Oder wenigstens dem Auslaufen der
       [2][sogenannten epidemischen Lage]? Mit dem Wegfall der Maskenpflicht in
       Schulen? Mit dem Wiederanlaufen der Partys in Clubs? Mit der Sehnsucht nach
       einem absehbaren Ende, einem Freedom Day?
       
       ## Der Rat der Wissenschaftler:innen
       
       Das Robert Koch-Institut ist auch hier sehr klar. Es empfiehlt zunächst
       dringend, sich impfen zu lassen. Angesichts der „jetzt deutlich steigenden
       Fallzahlen“, heißt es im Wochenbericht darüber hinaus, sollten alle
       Menschen konsequent die AHA+L-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske +
       Lüften) einhalten, Situationen insbesondere in Innenräumen, bei denen
       sogenannte Super-Spreading-Events auftreten können, meiden, nicht
       notwendige Kontakte reduzieren und weiterhin die Coronawarnapp nutzen.
       
       Das Wort „alle“ hat das RKI in seinem Bericht gefettet. Denn dieser Rat,
       betonen die Wissenschaftler:innen, gelte unabhängig vom Impf-, Genesenen-
       oder Teststatus.
       
       Anmerkung der Redaktion: in einer früheren Fassung des Textes hieß es
       versehentlich, dass im Jahr 2020 die Alphavariante dominierend gewesen sei.
       Die setzte sich in Deutschland jedoch erst Anfang 2021 durch, bevor sie von
       Delta verdrängt wurde. 2020 hingegen dominierte noch der sogenannte
       Wildtyp.
       
       29 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenberichte_Tab.html;jsessionid=6CED1792A5DFE75CA6B728C204C190B0.internet111?nn=13490888
   DIR [2] /Ende-des-Coronanotstands/!5811476
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gereon Asmuth
       
       ## TAGS
       
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