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       # taz.de -- Facebooks „Metaverse“: Weniger Demokratie wagen
       
       > Das neue „Metaverse“ von Facebook verspricht „echten Blickkontakt“ in
       > Meetings – birgt aber auch Gefahren für die Autonomie der
       > Nutzer*innen.
       
   IMG Bild: Wirkt fast unecht: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg im Metaversum
       
       Vor Kurzem hielt Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der das Unternehmen
       [1][jüngst in „Meta“ umbenannte], eine seiner Ansprachen. Die Reden, in
       denen die Chefs der weltweit größten Tech-Konzerne, wie Elon Musk oder Tim
       Cook, regelmäßig ihre Visionen teilen, haben zumindest für begeisterte
       Technikanhänger*innen Zäsurcharakter.
       
       Genaues Zuhören ist auch dann sinnvoll, wenn man sich nicht für das neueste
       iPhone oder andere technische Spielereien interessiert. Denn die dort
       vorgestellten Pläne – sollten sie jemals so umgesetzt werden – haben eine
       Tragweite angenommen, [2][die tiefgehende Veränderungen für die
       Gesellschaft] und das Leben einer*eines jeden Einzelnen bedeuten.
       
       Sie sollen Zukunft atmen und erinnern dabei in Plot und Setting nicht
       selten an Science-Fiction-Filme. So auch [3][Zuckerbergs jüngster
       Auftritt]: Zunächst vor einer Wohnkulisse, die, mit fein abgestimmter
       Dekoration und elegant platzierten Büchern im Hintergrund, vermutlich
       Heimeligkeit ausstrahlen soll und doch so eigentümlich steril wirkt wie die
       meisten Vorstellungen, die das Kino von der Zukunft hegt. In einen
       schmucklosen Sweater und eine darauf abgestimmte Hose gekleidet, fügt sich
       der Chef des Tech-Unternehmens hervorragend in die Szenerie ein.
       
       Er spricht vom „verkörperten Internet“, das ein „Gefühl von Präsenz“ und
       „echter menschlicher Interaktion“ vermitteln soll. Beim Spielen mit
       Freund*innen wird man sich dadurch fühlen, als wäre man tatsächlich
       zusammen und nicht allein vor dem Computer. Es soll Meetings mit echtem
       Blickkontakt ermöglichen und dem Starren auf einen leblosen Bildschirm ein
       Ende setzen.
       
       ## Digitale Parallelwelt
       
       Es klingt fast, als würde Zuckerberg einen Ersatz für etwas beschreiben,
       das es längst gibt und wofür man zumindest in der Prä-Corona-Zeit keine
       Technologie brauchte. Etwas, das eigentlich immer eine
       Selbstverständlichkeit gewesen ist: echte zwischenmenschliche Begegnungen.
       Worauf er aber eigentlich hinauswill, ist das sogenannte „Metaverse“, eine
       Art digitale Parallelwelt.
       
       Mit ein paar Handbewegungen zaubert er eine Simulation dessen herbei, wie
       es einmal aussehen könnte: Plötzlich steht er vor einer Fensterfront mit
       weitem Ausblick und offener Feuerstelle. Man meint, das Projekt soll
       spektakuläre Wohnträume, wie sie sonst nur Milliardäre wie ihm vorbehalten
       sind, wahr werden lassen. Oder zumindest die Illusion davon.
       
       Das allein wäre aber noch nicht kühn genug, wie im nächsten Schritt zu
       sehen ist: Zuckerberg tritt mit einem Avatar, der ihm nachgebildet ist,
       einer Besprechung bei, die in einer im Weltall schwebenden Raumkapsel
       stattfindet. Einige seiner Kolleg*innen haben sich ebenfalls für ein
       menschliches Antlitz entschieden, andere kommen beispielsweise als Roboter.
       
       Der Reiz am „Metaverse“ soll also nicht in der schieren Nachbildung der
       Realität bestehen, sondern in der Ausdehnung des Möglichkeitsrahmens, wie
       diese aussehen könnte – und wahrscheinlich noch wichtiger: wer wir darin
       sein können.
       
       Das Metaverse „könnte zu einer dramatischen Erweiterung dessen führen, was
       altmodische Denker unsere ‚Lebenswelt‘ genannt haben“, sagt Thomas
       Metzinger, Professor für theoretische Philosophie an der Universität Mainz.
       Das Vorhaben überrascht den Ethiker, der im Rahmen eines EU-Projekts
       bereits zur Übertragung des Ich-Gefühls in Avataren forschte, nicht.
       
       ## Idee aus einem Sci-Fi-Roman
       
       Die Sache sei bereits klar gewesen, [4][als Facebook vor wenigen Jahren]
       mit „Oculus“ einen zentralen Hersteller von „Virtual Reality“-Headsets –
       also jener Hardware, die für das Eintauchen in das „Metaverse“ notwendig
       sein wird – aufgekauft hat.
       
       Die Idee ist nicht neu. Die Begrifflichkeit geht auf einen Sci-Fi-Roman aus
       dem Jahr 1991 zurück. In „Snow Crash“ schildert Neal Stephenson eine
       digitale Parallelwelt, in die sich die Menschen angesichts grassierender
       sozialer Ungleichheit und zunehmend chaotischer Zustände nach umfassenden
       Privatisierungen zurückziehen.
       
       Im von Großkonzernen und organisiertem Verbrechen dominierten „Metaverse“
       ist der Staat als Ordnungsmacht ebenso restlos verschwunden. Dennoch
       erscheint es vielen als lebenswertere Alternative, was dazu führt, dass
       sich ein Großteil der Nutzer*innen nur noch zur Befriedigung der
       nötigsten menschlichen Bedürfnisse in der realen Welt bewegt.
       
       Warum sich das Silicon Valley ausgerechnet auf einen Terminus festgelegt
       hat, der aus einem dystopischen Kontext stammt, bleibt ein Rätsel. Eines
       gewissen Zynismus entbehrt er nicht. „Epic Games“-Chef Tim Sweeney und
       Microsoft-CEO Satya Nadella sprechen nicht nur ebenfalls vom „Metaverse“,
       sondern haben auch angekündigt, ebenso an einem solchen zu arbeiten.
       
       Letztgenanntes Unternehmen hat unter der Bezeichnung „Mesh“ gerade sogar
       erste konkrete Pläne für eine Avatar-Funktion im Meeting-Tool „Teams“
       veröffentlicht, die bereits in der ersten Jahreshälfte 2022 in die Realität
       umgesetzt werden sollen.
       
       ## Getrieben von Gier
       
       Dass das „Metaverse“ kommt, scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Wie es
       genau aussehen, wie es die Gesellschaft als Ganzes und den Alltag des
       Einzelnen verändern wird, lässt sich schwer vorhersagen. „Es könnte zu ganz
       neuen systemischen Effekten kommen, an die jetzt noch niemand denkt.
       
       Aber das Geschäftsmodell der interessierten Konzerne ist grundsätzlich von
       Gier getrieben und wachstumsorientiert. Der Aufbau eines ‚Metaverse‘ wäre
       niemals gemeinwohlorientiert, dahinter steht kein prosozialer Impuls“, sagt
       Metzinger.
       
       Besonders problematisch findet der Philosoph, dass in der digitalen
       Parallelwelt voraussichtlich keine Repräsentation politischer Institutionen
       stattfinden und damit jede demokratische Legitimation fehlen würde.
       Zugespitzt, würden die Spielregeln letztlich von ein paar wenigen
       US-amerikanischen Milliardären diktiert. Die Möglichkeit, das „Metaverse“
       durch bestehende rechtliche Infrastrukturen zu regulieren, schätzt
       Metzinger als gering ein.
       
       Für dieses Urteil schöpft er aus Erfahrungen aus der Arbeit in der
       hochrangigen Expertengruppe zur Erarbeitung der EU-Ethikrichtlinien für
       künstliche Intelligenz, wo wirtschaftliche Akteure bedeutendere ethische
       Forderungen oft bereits im Keim erstickt hätten. Weil die großen
       Tech-Konzerne die lukrativeren Gehälter bezahlen, hätten sie auch das
       Spitzenpersonal auf ihrer Seite, das früh juristische Schlupflöcher
       ausfindig mache und so den Behörden häufig einen Schritt voraus sei. Dass
       das „Metaverse“ als globaler Raum angelegt ist, erschwere es, rechtliche
       Standards weltweit geltend zu machen.
       
       Im Hinblick auf die demokratische Ordnung sieht Metzinger noch eine zweite
       Gefahr: „Wir verpassen womöglich gerade eine historische Chance: Wir
       verlieren die digitale Souveränität. Und zwar nicht nur im politischen
       Sinne, sondern auch in Bezug auf unsere mentale Autonomie.“
       
       ## Wie ein LSD-Trip
       
       Algorithmen verstünden es bereits jetzt sehr gut, die Aufmerksamkeit der
       Nutzer*innen abzusaugen und mit den so erlangten Informationen an
       Werbekund*innen zu verkaufen. Ein „Metaverse“ könnte das Engagement auf
       eine neue Ebene heben, noch mehr Aufmerksamkeitsressourcen extrahieren, die
       geistige Selbstkontrolle weiter beschädigen und so die Demokratie
       untergraben, die auf eine kritische Menge mündiger Bürger*innen
       angewiesen ist.
       
       Facebook – beziehungsweise „Meta“ – hat indes eine erste Kampagne zum
       geplanten „Metaverse“ veröffentlicht, die sich ganz auf den hedonistischen
       Aspekt des Projektes konzentriert. Im Trailer ist eine Gruppe Jugendlicher
       in einem Museum zu sehen, die ihre Smartphones auf ein Gemälde richtet.
       Schließlich tauchen sie virtuell darin ein, die Dschungellandschaft erwacht
       scheinbar zum Leben, Tiger beginnen zu sprechen, Affen, Gnus und Flamingos
       tanzen.
       
       Das Spektakel wirkt wie ein gigantischer psychedelischer Trip, den der
       Konzern überschreibt mit dem Slogan: „Das wird ein großer Spaß.“ Als sei
       der Name des Projekts nicht bereits zynisch genug, ist das nun erschienene
       Video mit einem Song von SL2 unterlegt. Der Titel: „Way in My Brain“.
       
       16 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Facebooks-Zukunftsplaene/!5809487
   DIR [2] /BGH-Urteil-zu-Facebook/!5790474
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=gElfIo6uw4g
   DIR [4] /Facebooks-Veroeffentlichungsregeln/!5798098
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Arabella Wintermayr
       
       ## TAGS
       
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