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       # taz.de -- Belarus und EU-Außengrenze: An die Grenze gedrängt
       
       > Laut Polen werden Geflüchtete von Belarus bewusst an die Grenze gebracht.
       > So soll die Lage pünktlich zur EU-Debatte eskalieren.
       
   IMG Bild: Tausende Migrant:innen stecken an der Grenze zwischen Belarus und Polen fest
       
       Kuźnica taz | Schon seit Tagen hatte das Gerücht die Runde gemacht: Am 15.
       November, am Montag also, würden Busse kommen, um die ausharrenden
       Flüchtlinge an der Grenze zu Belarus abzuholen und nach Deutschland zu
       bringen. Doch das einzige, was am Montag wirklich kam, waren Wasserwerfer
       und Soldaten. Am seit sieben Tagen geschlossenen Grenzübergang Kuźnica
       standen sich rund 3.500 Flüchtlinge auf der belarussischen Seite und eine
       Phalanx polnischer Sicherheitskräfte gegenüber – vor sich
       Stacheldrahtbarrieren, über sich tief fliegende Hubschrauber.
       
       „Immer mehr Gruppen von Migranten werden von belarussischen Truppen zum
       Grenzübergang Kuźnica gebracht“, teilte das polnische
       Verteidigungsministerium mit. [1][Polen] bereite sich angesichts erwarteter
       Versuche von Grenzdurchbrüchen „auf jegliches Szenario“ vor. Videos nach zu
       urteilen, die auf der belarussischen Seite aufgenommenen wurden, bauten die
       Flüchtlinge Zelte auf und entzündeten Feuer, griffen aber keine polnischen
       Grenzschützer an.
       
       [2][Belarus] hatte letzteres offensichtlich gezielt zu provozieren
       versucht, um die Situation pünktlich zur EU-Debatte über weitere Sanktionen
       eskalieren zu lassen. Schon seit einer Woche waren Flüchtlinge von Soldaten
       aus anderen Abschnitten des Grenzstreifens in die Nähe des Übergangs von
       Kuźnica eskortiert worden. Dort hatten sie seither in der Eiseskälte
       ausgeharrt.
       
       Die Grupa Granica, die größte der Hilfsorganisationen auf polnischer Seite,
       veröffentlichte am Sonntag eine alarmierte Erklärung: Belarus habe
       Flugblätter unter den Festsitzenden verteilt, die den Menschen Hoffnungen
       auf den Weitertransport in westeuropäische Länder weckten. „Zudem erhalten
       wir verstörende Informationen, dass Druck auf die Flüchtlinge ausgeübt
       wird, Gewalt gegen polnische Polizisten anzuwenden.“
       
       ## Grenzzone weiter für Öffentlichkeit gesperrt
       
       So sehr die Flüchtlingshelfer und die polnische Regierung in allen anderen
       Fragen auseinander liegen – diesen Punkt sahen beide Seiten ähnlich. Polens
       Innenministerium änderte den Text der SMS, der auf alle ausländischen
       Handys der Region geschickt wird: „Lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen
       und unternehmen Sie keine Schritte gegen unseren Grenzschutz.“ Darunter war
       ein Link zur Webseite des polnischen Innenministeriums. Dort ist zu lesen,
       dass die Geschichte mit den Bussen eine „Lüge“ sei, um die Migrant:innen
       „zum Sturm auf die Grenze zu bewegen“. Auch das deutsche
       Bundesinnenministerium sah sich genötigt auf Twitter klarzustellen, dass
       keine Busse kommen würden.
       
       Offenbar um die Eskalation anzufeuern, hatte die staatliche
       Nachrichtenagentur BelTA noch am Montagmorgen Videos verbreitet, auf denen
       zu sehen ist, wie Hunderte Flüchtlinge einen Zaun auf belarussischer Seite
       durchbrechen, um zum Grenzübergang Kuźnica vorzustoßen. Polens Regierung
       sprach von „belarussischen Truppen“, die sich konzentrieren würden, und
       einer von „Weißrussland kontrollierten Eskalation“.
       
       Kuźnica liegt innerhalb der „Emergency Zone“ – der Zutritt für Beobachter
       ist verboten. Am Rande der Zone, etwa 4 Kilometer westlich des
       Grenzübergangs, hatten seit Sonntag Journalist:innen ausgeharrt und den
       regen Verkehr vom Polizei- und Militärtransportern beobachtet. Was
       innerhalb der Roten Zone passiert, das erfährt die Öffentlichkeit weiterhin
       nur aus Textnachrichten der Geflüchteten oder vom polnischen Staat. Da
       hilft, dass immerhin die belarussische Seite seit einigen Tagen
       internationaler Presse Zugang zu der Region gewährt.
       
       Deutlich ereignisloser als jene der ausgesperrten Journalist:innen sind
       indes die Tage der Fahrer von an die 1.000 Lkws. Die stauen sich wegen der
       Schließung von Kuźnica auf mittlerweile 36 Kilometer Länge, teils in zwei
       Reihen, auf der Landstraße vor dem nächstgelegenen Grenzübergang
       Bobrowniki. Am Sonntagabend standen die Fahrer mit Warnwesten im eiskalten
       Nebel, um die Zeit totzuschlagen.
       
       ## Mit einer solchen Wartezeit hat niemand gerechnet
       
       Ihre Lage ist höchst prekär: „Seit drei Tagen stehe ich hier“, sagte Pawel,
       ein Fahrer aus der Ukraine. Zu essen kaufen könne er nur einmal am Tag
       etwas, am Vormittag kämen Händler mit einem Transporter. An Bushaltestellen
       entlang der Strecke stehen vereinzelte Dixi-Toiletten und Wasserspender,
       für eine solche Menge an Wartenden in keinem Fall ausreichend. Und auch ihr
       Diesel wird nicht ewig reichen, um die Standheizungen in Gang zu halten.
       Mit einer solchen Wartezeit hat hier niemand gerechnet.
       
       Doch bis sich der Verkehr hier wieder normalisiert, wird es wohl dauern.
       Der polnische Grenzschutz verbreitete am Montag Luftaufnahmen von
       verlassenen Flüchtlingscamps in den belarussischen Wäldern. In diesen
       hatten die Wartenden offenbar gewohnt, bevor sie in Richtung des
       Grenzübergangs Kuźnica gezogen waren oder dorthin getrieben wurden. Dort
       sollen sich die Flüchtlinge offenbar nun erst mal einrichten.
       
       Die Regierung gab gegenüber der Agentur AFP an, „Hilfslieferungen“ wie
       Zelte und Heizgeräte dorthin gebracht zu haben, „wodurch das Lager an der
       Grenze dauerhafter werden könnte“, so AFP. Polen wiederum warf Belarus am
       Montag vor, die Menschen daran zu hindern, die Grenzregion in Richtung des
       Landesinneren zu verlassen. Das ist allerdings schon seit August der Fall.
       
       Lukaschenko sagte derweil am Montag, Belarus könne auch ein Angebot der
       Stadt München annehmen, die Flüchtlinge mit der staatlichen Airline Belavia
       direkt nach Deutschland zu fliegen, sollte Polen keinen „humanitären
       Korridor“ zur Verfügung stellen.
       
       15 Nov 2021
       
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